THE AFGHAN WHIGS & ED HARCOURT

Batschkapp, Frankfurt, 13.06.2017

The Afghan WhigsWas darf‘s denn heute sein? Zelebrieren wir die Sonnenseiten des Lebens oder doch eher den schleichenden Zerfall? Lauschen wir dem US-Schauspieler Kiefer Sutherland, der im Frankfurter Gibson seine Country-Weisen zelebriert, oder ergötzen wir uns am schauerlichen Bösen in Form der griechischen Black Metal-Pioniere ROTTING CHRIST im Wiesbadener Kesselhaus? Beides wäre einen Konzertbesuch wert. Doch alles verblasst neben der Chance, beides zu feiern: den Tod und das Leben, den Rausch und den Verzicht, die Ekstase und den Verlust. Meine Damen und Herren: Das pralle Leben war in der Frankfurter Batschkapp zu Gast, mit all seinen Höhen und Tiefen. Vorhang auf für einen Großmeister der Leidenschaft, Vorhang auf für Greg Dulli mit seinen wieder vereinigten AFGHAN WHIGS.

Dabei habe ich die Hochzeit des ehemaligen Quartetts aus Cincinnati, Ohio – die grungigen Neunziger – komplett ignoriert. Dass THE AFGHAN WHIGS die einzige Nicht-Seattle-Band auf Sub Pop waren. Dass Dulli ein wichtiger Part des ersten FOO FIGHTERS-Album war. Dass die Einflüsse von Soul, R&B und Hip Hop mindestens genauso groß war auf den Sound der WHIGS wie der von Ikonen wie den ROLLING STONES oder Neil Young – geschenkt. Roch mir zu sehr nach Hype.

Ich fand SOUNDGARDEN schon krass überschätzt und wollte lieber Metal hören. Bis ich einen Sommer in Berlin verbrachte und selbst dort zu dieser Zeit livetechnisch tote Hose war – 2006 war das, die AFGHAN WHIGS längst The Afghan WhigsGeschichte. Dulli trat mit den TWILIGHT SINGERS auf. Kannte ich nicht, nur Dullis Ruf, also hin. Zwei Dinge brannten sich an diesem Abend in mein Gedächtnis ein: Zum einen, dass man selbst in Berlin diesem verfluchten Schöfferhofer nicht entrinnen kann, zum anderen, dass Dulli die gottverdammt perfekteste Rampensau ist, die man sich überhaupt nur vorstellen kann. Songs zwischen Gosse und Erlösung, zwischen nicht enden wollendem Zigarettenqualm als private Party auf der Bühne zelebriert, bei der wir glücklichen Anwesenden nur offenmundig staunen konnten oder uns ebenso rasend verausgaben. Dass Dullis Kumpel Mark Lanegan, mit dem er wenig später die GUTTER TWINS gründete (und der uns diesen Monat noch im The Afghan WhigsGibson beehrt) die Zeit seines Lebens auf denselben Brettern zu haben schien, war dem Genuss natürlich in keinster Weise abträglich. Eines der großartigsten Konzerte, die ich jemals erleben durfte.

Seit 2011 sind die erweiterten und leicht veränderten THE AFGHAN WHIGS nun wieder am Start, teilweise mit Original-Personal wie dem Bassisten John Curley, teilweise mit welchem der TWILIGHT SINGERS/GUTTER TWINS wie dem Streicher und andere Instrumente spielenden Rick G. Nelson. Und, zumindest auf dieser Tour, dem Allrounder Ed Harcourt, der vorher eine halbe Stunde lang das Vorprogramm bestritt.

Und wie er das tat. Der mir unbekannte Harcourt, der von einigen im Saal seit Jahren verehrt wird und bisher kaum oder gar nicht im Rhein/Main-Gebiet auftrat, spielte Bass, Schlagzeug, Gitarre und Piano. Manchmal gleichzeitig, Ed Harcourtmoderner Technik sei Dank. Sein Vortrag war von Anfang an so leidenschaftlich, dass er sofort als Greg Dullis Bruder im Geiste durchging. Er röchelte etwas vom „Biest“ in ihm, beschwor vergangene und zukünftige Lieben und versetzte das Publikum in ähnliches Staunen, das ich damals in Berlin verspürt hatte. Rick G. Nelson unterstützte ihn bei einem Song, wie im folgenden Videoclip festgehalten:

Später ließ er es sich nicht nehmen, den Fotograben zu entern und mit einer Bewunderin einen Song zusammen zu schmettern. Vielleicht fand er zufällig die Ed HarcourtEinzige, die seine Lieder kannte. Aber es traf die Richtige, die Harcourt so sehr rührte, dass er sie an sich zog und ihr einen Kuss auf den Kopf verpasste. Da machten sich Künstler und Fan mal gegenseitig glücklich, das passiert ja auch nicht alle Tage. Nach den 30 Minuten vorläufiger Abgang, die Anwesenden hatte er alle gekriegt. Glückwunsch.

Dulli hatte sie alle natürlich schon vorher. Die AFGHAN WHIGS 2017 sind ein Sextett, einer ist aber krank und nicht mehr live dabei, nur noch spirituell. Dulli meinte, die AFGHAN WHIGS spielten für ihn, „heute“ und „immer“. Dabei ist The Afghan Whigsauch klar, dass THE AFGHAN WHIGS/ TWILIGHT SINGERS komplett Dullis Baby sind – auf den offiziellen Seiten findet man keinen Eintrag zu den Besetzungen der Bands.

Netterweise erlaubte Dulli das Fotografieren, tat aber per Aushang und durch Mitarbeiter kund, dass Blitzen absolut verboten sei (Bediensteter: „You don’t want to be the guy who ruins this evening“) und man das Event nicht durch den Sucher eines Smartphones begutachten sollte. Na gut, nur das Nötigste. Ohne The Afghan WhigsBlitz war sowieso nicht viel zu reißen bei dem ständigen Gegenlicht, welches den „Noir“-Charakter seiner Lieder jedoch perfekt illustrierte. In der Frankfurter Neuen Presse stand mal, dass kein Sänger außerhalb des Metal so „schön kreischt“ wie Greg Dulli und traf damit den Nagel auf den Kopf. Was dieser Mann voller Inbrunst aus sich herausholt ist beeindruckend; dass er „Soul“ hat, ist unverkennbar. Auch wenn anno 2017 auf die Kippen verzichtet wird und in den neuen Dulli The Afghan Whigszwei alte reinpassen würden, so hat die Intensivität seiner Darbietung kein Stück gelitten.

Nach einer Setlist, die gleichermaßen aus Songperlen der Alben „1965“, „Black Love“, „Congregation“ sowie den Spätwerken „Do the Beast“ und dem aktuellen „In Spade“ gespeist wurde und 90 Minuten Live-Darbietung war Schluss. Viele Städte haben es in der Vergangenheit verkackt bei Dulli, mangels Enthusiasmus oder Anwesenheit des Publikums. Frankfurt dürfte wohl wieder auf dem Tourplan stehen. Auf dass wir wieder zusammen das Leben feiern, mit allem, was es uns zu bieten hat und was es uns manchmal vorenthält. Der gestrige Abend war perfekt. Oder, wie es André Bosse im Visions formuliert: „Keine Rockband der Welt klingt wie die AFGHAN WHIGS.“

Links: http://www.edharcourt.com/, https://www.facebook.com/edharcourtuk/, https://soundcloud.com/ed-harcourt, https://www.last.fm/music/Ed+Harcourt, https://theafghanwhigs.com/, https://www.facebook.com/TheAfghanWhigsOfficial, https://soundcloud.com/theafghanwhigs, https://www.last.fm/de/music/Afghan+Whigs

Text, Fotos & Clips: Micha

Alle Bilder:

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