Nachtleben, Frankfurt, 19.08.2015
Es gibt Bands, die unglaublich großen Spaß machen indem sie einen straighten Stiefel spielen, unbeirrt ihren Weg gehen und sich bei niemandem anbiedern. „Kompromisslos“ kann man das nennen. Und es gibt welche, die im Gegensatz zu vielen Hörern von der „reinen Lehre“ nicht viel halten, weil sie wissen, dass auch im Garten des Nachbarn schmackhafte Früchte zu finden sind. Die verschiedene musikalische Ausdrucksformen benutzen, weil es nicht nur einen „richtigen“ Weg gibt. Die ähnliche Sichtweisen in verschiedenster Verpackung finden. Auch solche kann man „kompromisslos“ nennen. Die meisten nennen sie jedoch verächtlich „Hipster“.
Das Hipster-Gebashe nimmt immer absurdere Formen an. Waren die Hipster in den Fünfzigern eher die künstlerische Avantgarde, die angewidert auf das gemeine Volk mit ihrem stupiden Rock’n’Roll schaute und lieber Jazz hörte, so verhält es sich anno 2015 eher umgekehrt: Der Mainstream belächelt eine Szene, die sich um Andersartigkeit bemüht und unterstellt ihr eine Arroganz, die sie künstlerisch in den seltensten Fällen einlöst. Dabei sind die Hipster immer die anderen – mir zumindest hat sich noch niemand aktiv als solcher zu erkennen gegeben. In der Musik – und um die geht es ja hauptsächlich in diesem Blog – kann man mit ein wenig bösem Willen fast jeden als Hipster abqualifizieren. Meist geschieht das mit Formationen, die als verzweifelt bemüht im Bestreben „modern sein zu wollen“ wahrgenommen werden. Oft geschieht das mit Bands, die sich schwer in eine Schublade stecken lassen. Zum Beispiel mit AGALLOCH.
Als AGALLOCH aus Portland, Oregon, sich 1996 gründeten, war es noch nicht so üblich wie heute jemanden verächtlich Hipster zu schelten. Inzwischen tun das die Leute, die nicht anerkennen wollen oder können, dass eine Band wie AGALLOCH kaum einer anderen stilistisch gleicht – zu divers sind die Ausdrucksmöglichkeiten des Quartetts. Dark Metal macht wahrscheinlich am meisten Sinn, weil sich AGALLOCH meistens aus Stilen bedienen die mehr Darth Vader sind als Obi-Wan, mehr düster als lebensbejahend und freundlich. Black Metal streifen AGALLOCH eigentlich nur. Für Doom Metal sind sie oft zu rasend-schnell, für Folk-Metal zu melancholisch und zu wenig trinkfreudig. Wenn Folk, dann eher Neo-Folk. Auch Blackgaze (Black Metal meets Shoegaze) ist sicherlich nicht verkehrt, kann man doch durchaus Spuren von MY BLOODY VALENTINE oder THE JESUS AND MARY CHAIN in ihrem Sound entdecken.
Meines Wissens nach spielten AGALLOCH erstmals in Frankfurt. Die Verortung im Nachtleben ließ bei einigen Besuchern Ängste aufkommen, es könnte vielleicht ausverkauft und damit so unangenehm voll werden wie bei den stilistisch ähnlich aufgestellten, aber kommerziell weit erfolgreicheren SÓLSTAFIR im vergangenen November. Dem war nicht so, was vielleicht der Tatsache geschuldet war, dass das Konzert mitten in den Sommerferien stattfand. Trotzdem war es eng. AGALLOCH’s aktuelles Album „The Serpent & The Sphere“ kam bei den Kritikern der Metalpresse sehr gut an – meist jedoch bei solchen, die auch Postrock-Combos wie GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR goutieren, die mit Metal gar nichts zu tun haben. Von diesem Werk wurden vier Stücke gespielt – Stücke, in denen sich Gitarrenraserei paart mit melancholischen Gesangseinlagen, akustische Gitarren mit trippigen Bassläufen. Psychedelic-Rock? Auch eine Referenz, irgendwie. Zwei Stunden lang boten AGALLOCH einen Querschnitt aus sechs Langspielern, bei denen die ganz ruhigen Ambientstücke außen vor blieben zugunsten heftiger Eskapaden mit leichten, folkigen Verschnaufpausen.
AGALLOCH bilden Hirsche in schwarz/weiß auf ihren Covern ab, evozieren Naturbilder mit ihrem Sound und werden somit oft in die gleiche reaktionäre Schublade gepackt, in der auch viele Neo-Folk-Bands wohnen. Ich bezweifle, dass sie so sind. Leute, die kreativ in so vielen musikalischen Gewässern fischen beweisen damit ihre kulturelle Offenheit. Übrigens auch mit der Wahl ihres Supports, der wie eine urbanere Version ihrer selbst klang.
C R O W N aus Frankreich waren bis vor kurzem ein Duo, sind mit Hinzunahme des Baselers Frederyk Rotter (von ZATOKREV) an Gitarre und Gesang ein Trio und rufen die Drums mit Fußpedalen ab. Auf ihrem aktuellen Album „Natron“ sind mit Neige von ALCEST, Michiel Eikenaar von NIHIL sowie Khvost von GRAVE PLEASURES / HEXVESSEL ein paar kreative Hochkaräter am Gastmikro, die mit der Stammcrew ein gleichermaßen verstörendes und bezauberndes Werk zwischen Postrock, Black Metal, Trip Hop und Singer/Songwritertum eintüteten. Ganz großes Kino im Wortsinn; live weniger triphoppig dargeboten, durch die eingesampleten Drums aber eigen genug, um schon wieder als Hipster von dem einen oder anderen beschimpft zu werden. Oh Mann!
Ich freue mich ja auch auf die demnächst stattfindenden Konzerte von SLAYER, JUDAS PRIEST oder MOTÖRHEAD; aber das hier, das war mal so richtig heißer Scheiß, der noch extrem lange nachhallt und am besten einigermaßen nüchtern zu genießen ist, wenn man nicht ganz viel verpassen will. Für mich ein Anwärter zum Konzert des Jahres. Aber da kommen bald ja auch noch ALCEST und die GRAVE PLEASURES in den Frankfurter Club „Das Bett“. Schaut vorbei und begrüßt dann den Soundmann, der sollte Stephane Azam heißen und der Sänger sein von C R O W N. Guter Mann. Einer von Sieben an diesem Abend im Nachtleben.
Links: http://www.agalloch.org/, https://www.facebook.com/AgallochOfficial, https://www.reverbnation.com/agallochtheofficialpage, https://agalloch.bandcamp.com/, http://www.last.fm/de/music/Agalloch, https://www.facebook.com/CROWNBAND, https://crownritual.bandcamp.com/, http://www.last.fm/de/music/C+R+O+W+N
Text, Fotos & Clips: Micha
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