AMENRA & SYNDROME

Colos-Saal, Aschaffenburg, 29.01.2018

AmenraMerkwürdig eigentlich, dass ich mich, als Atheist, so oft angesprochen fühle von spiritueller Musik. Egal ob es um Lobpreisungen auf den „Herrn“ geht, wie sie Johnny Cash oder David Eugene Edwards von WOVEN HAND zelebrieren, oder ein wie auch immer gearteter Satanismus gepflegt wird wie zum Beispiel von Erik Danielsson (WATAIN): Ich glaube zwar nicht an die Botschaft, ich denke aber, dass sie den Künstler speist und ihm hilft, unverwechselbar zu werden. Eigen. Und besonders überzeugend.

Enter AMENRA. Die Mitglieder der seit 1999 existierenden Band aus Kortrijk in Flandern/Belgien (heute in Gent beheimatet) stammen aus der HC/Straight Edge-Szene. NEUROSIS waren und sind, zusammen mit AmenraCONVERGE, ihre Helden – heute veröffentlichen AMENRA auf NEUROSIS‘ Label Neurot, eröffneten oft für sie und haben hin und wieder Scott Kelly von eben denen bei sich auf der Bühne stehen. NEUROSIS können Krach und leise, überzeugen in ihrer ganzen Urgewalt oder als Solisten im intimsten Rahmen. Auf die Jungs von AMENRA trifft das ebenfalls zu, weswegen ihnen ein Betätigungsfeld in der Regel nicht reicht. AmenraUnterschiedliche Formationen wie KINGDOM (Sludge), HARLOWE (Folk) oder WIEGEDOOD (Black Metal) bestehen aus Mitgliedern AMENRAs sowie aus Musikern des erweiterten Umfelds, des Künstler-Kollektivs Church of Ra. THE BLACK HEART REBELLION spenden weiteres Personal (tolle Indie-Band, wenn man das als Musikrichtung versteht – veröffentlichungstechnisch sind alle „Independent“). OATHBREAKER ist neben AMENRA der größte Name im Kader.

Church of Ra? Christina Wenig hat 2017 eine großartige Story im Metal Hammer veröffentlicht, die beim Ortsbesuch in Gent Zusammenhänge veranschaulicht und die Philosophie der Mitglieder beleuchtet. Von der Notwendigkeit des Schmerzes ist da die Rede, von den Qualen einer Performance, die den Begriff „Ritual“ mehr verdient als es sonst bei den meisten Räucherstäbchen-Musikanten der Fall ist. „Die Bühne ist nicht der Ort, an dem wir Spaß haben“ berichtet AMENRA-Sänger Colin Van Eeckhout ebenda, und die Autorin merkt an, dass es nicht darum geht „mit seinen Freunden Bier zu trinken und zu feiern.“ Es geht aber. Hab ich selber ausprobiert, gestern im Aschaffenburger Colos-Saal. Und ich kann das durchaus empfehlen.

AmenraDie Leinwand, auf der sonst mit diversen Clips für künftige Konzerte geworben wird, blieb diesmal außen vor. Lag das am Bühnenaufbau, an der notwendigen Illumination, die mit herkömmlicher Bühnenbeleuchtung wenig gemein hat und, ganz wie es bei den Spacemastern HAWKWIND Brauch war, Projektionen auf Musiker und Verstärkerwand warf? Oder war es einfach der korrekten Stimmung abträglich, vorher vielleicht Bluesrock von Dana Fuchs oder Schunkel-Metal der PRETTY MAIDS zu hören? Viele Fragen taten sich auf, ehe AMENRA-Gitarrist Mathieu Vandekerckhove pünktlich um Acht das Podest betrat und sich auf einen Stuhl setzte, der umgeben war von diversen Pedalen.

SyndromeEs roch nach Weihrauch. Ziemlich genau eine halbe Stunde lang spielte er überwiegend sanft seine E-Gitarre, angestrahlt von leichten Wellen auf einer Wasseroberfläche oder von den Händen einer Dame. Dabei bückte er sich oft, um an den Pedalen mit den Händen herumzuspielen. Ich hatte vor dem Gig Zweifel, ob der Ambient-Sound des Ein-Mann-Projektes SYNDROME live etwas taugen würde – zuhause auf dem Sessel zur nächtlichen Stunde war das ja ganz knorke, aber wenn man dazu rumstehen muss? Passte aber, stimmte mit leise anschwellender Dynamik gut auf das bevorstehende Ereignis ein. Kundige informierten auf Setlist FM, dass Vandekerckhove ein Stück spielte, welches er Syndromefür seinen Sohn komponierte: „Forever and a Day“. Ob das stimmt, weiß ich nicht, schön war es auf jeden Fall. Obwohl er gleich zu Beginn von einem Handy-Knipser belästigt wurde. Ein seltener Störfall jedoch. Das Publikum, größtenteils vereint durch die Nichtfarbe Schwarz und von gutem Geschmack zeugenden Band-Schriftzügen auf eben dieser, war äußerst aufmerksam, konzentriert und unprollig. Trotz teilweise ekstatischem Gebange später bei AMENRA.

AmenraDie begannen um Punkt Neun. Sänger Eeckhout hockte sich vor die Gäste, wie wohl immer von ihnen wegsehend, laut MH-Autorin Wenig um „die Erfahrung der Zuschauer zu teilen“. Eine Performance beginnend, die „hart und schmerzhaft“ sein kann. Eeckhout frönt der Body Modification und dem Schmerz, oft auch live, auf der Bühne. Er hat sich seine Brustwarzen entfernen lassen. Er begreift den Gig als etwas, das er tun Amenramuss und worauf er lieber verzichten würde (Metal Hammer). Er wohnt definitiv auf einem anderen philosophischen Planeten als ich. Ich habe meinen Arthrose-Schmerz betäubt und genieße mein Bier, meinen Schmerz muss Eeckhout nicht „materialisieren“ (lesenswertes Interview zu diesem Punkt hier). Und trotzdem: Der sogenannte Post-Metal AMENRAs, der neben Metal-Fans auch einige Avantgarde- und Jazzhörer anlockte und gestern ohne akustisches Liedgut auskam, blies einen in andere Sphären, stimulierte die Sinne, ließ einen das Licht sehen. Trotz der Dunkelheit auf der Bühne. Drei Stücke der aktuellen Scheibe „Mass VI“ waren zu hören, darunter das alles zerberstende „Diaken“ am Schluss. Nebst sechs weiteren aus älteren „Messen“.


 Verstanden habe ich bei diesem Abend ziemlich wenig. Überzeugt bin ich ganz und gar. Definiert das nicht auch den „Glauben“, irgendwie? Scheiße. Erwischt. Gebt mir den Mitgliedsantrag, ich unterschreibe.

Links: https://www.facebook.com/syndromechurch, https://www.last.fm/de/music/Syndrome, http://www.churchofra.com/, http://amenra-official.tumblr.com/, https://www.facebook.com/churchofra, https://soundcloud.com/churchofra, https://amenra.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Amenra

Text, Fotos & Clip: Micha

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