Capitol, Offenbach, 9.11.2014
Wo kommen bloß all diese Leute her? Das Offenbacher Capitol ist ausverkauft, schon seit einiger Zeit. Der Rest der Dates in Deutschland übrigens auch, nebenbei. Auf das letztjährige Konzert von Angus Stone in Hamburg traf das ebenso zu, welches in den Docks auf der Reeperbahn stattfand und bei dem meine Freundin und ich ebenfalls anwesend waren. Überhaupt stellen die Ladies den Löwinnenanteil an diesem Abend (an dem in HH sowieso); aber auch Männer sind zu erspähen. Manche sogar ohne Partnerin – das müssen die Leser des Rolling Stone sein. Das einzige deutsche Musikprintmedium, welches (meines Wissens nach) mehr als eine Plattenkritik lang über ANGUS & JULIA STONE berichtete und diese Tour präsentiert. Also woher kennen die Leute alle dieses Duo?
In unseren Haushalt kamen die Klänge der Geschwister als Soundtrack zu diversen Fernsehserien, der so überzeugend war, dass im Netz nach mehr gesucht und gefunden wurde. Aber ist dies auf alle hier übertragbar? Als wir das Capitol von Westen aus erreichen steht kein grölender Mob vor der Halle wie es sonst meist der Fall ist, wenn ich ohne Freundin Konzerte besuche, sondern der Anfang einer disziplinierten und überaus fröhlichen Menschenschlange, die sich den Rest der Goethestraße bis um die Ecke in die Kaiserstraße reiht und kaum von Vordränglern belästigt wird. Alles ist so unfassbar harmonisch und rücksichtsvoll, wie es der ehemals religiös genutzten Konzertstätte geziemt. Und trotz langer Schlange geht es rasch vorwärts und überraschenderweise sogar noch bis kurz vor die Bühne, auf der pünktlich um halb acht die Sonne aufgeht in Gestalt des britischen Schwesterntrios THE STAVES.
Obwohl aus Europa kommend klangen die Gesangsharmonien dieser Frauen in meinen Ohren größtenteils uramerikanisch; ich musste an Buffy Sainte-Marie denken, an COCOROSIE minus der Schrägheit oder an ein weibliches KINGSTON TRIO, was ich ausdrücklich als Kompliment verstanden wissen will. Aufmerksames, fast schon andächtiges Zuhören auch hier, keine lautstarken Ausfälle von Seiten des Publikums trotz, wie beim brausenden Beifall nach jedem Song zu hören, absoluter Begeisterung ebenda. Die Schwestern schienen selbst irritiert und stellten verwundert fest, so eine leise Zuhörerschaft selten zu haben; was sie aber sehr zu freuen schien. Ein bisschen Konversation mit den wenigen deutschen Vokabeln, die sie drauf hatten, schloss sich an – neben „Wie geht’s“ war, glaube ich, „Kopfschmerzen“ eines der gelernten Worte. Ziemlich exakt 30 Minuten lang standen Emily, Jessica und Camilla Staveley-Taylor aus Watford in Hertfordshire, England auf der Bühne und gewannen in dieser Zeit eine Menge Fans: Dem Händler im Foyer wurden nach dem Auftritt die CDs und Platten des Trios aus der Hand gerissen. Verdienterweise.
Dem Merch-Kollegen, der nur das aktuelle Album der Headliner in der regulären Version und nicht auf Vinyl dabei hatte, wäre das wohl auch passiert – denn die Begeisterung wurde nicht weniger während des Hauptkonzertes, ganz im Gegenteil. Nach etwa einer Dreiviertelstunde Instrumente-Stimmen ging es los, „Umbau“ konnte man das nicht nennen. Die Spielplätze der insgesamt sieben Musiker waren längst ebenso fertig wie die beeindruckenden Licht- Installationen auf der extrem tiefen Bühne. Als ein Roadie beim Stimmen „It Was Blue“ anstimmte, freute ich mich schon auf den postpunkigsten Song der Angus Stone-Soloveröffentlichungen, der letztes Jahr in Hamburg leider bloß weniger schön arrangiert zum Einsatz kam, aber nein – Solosongs waren außen vor im Programm der Geschwister, die in den letzten Jahren unabhängig voneinander musizierten und nach knapp vierjähriger Pause unter der Ägide des Produzentenpapstes Rick Rubin wieder mit einem selbstbetitelten Album zusammen kamen. Da wuchs wirklich zusammen, was zusammen gehört; denn wenn es ein Attribut gibt, dass auf Rubin genauso wie auf die Stones zutrifft, dann ist das „lässig“. Keine Rockposen, kein instrumentales Gewichse (Leider. Julia Stone spielte so entzückend bei „Death Defying Acts“ die Elektrische, dass das sicherlich traumhaft gewesen wäre) sondern eine Performance, auf die die sonst von mir wegen Überflüssigkeit boykottierte Neudeutsch-Vokabel „tiefenentspannt“ wirklich zutrifft.
Die sich mit dem Gesang meist abwechselnden Stones musizierten sich zum Großteil durch das aktuelle Album und auch durch „Down The Way“ von 2010; die mehr als ihr Bruder mit dem Publikum kommunizierende Julia überzeugte dabei nicht nur gesanglich und an der E-Gitarre, sondern auch als Begleitung für ihren Bruder am Piano und sogar an der Trompete, die sie bei „Private Lawns“ einhändig spielte. Angus sprach weniger, dann aber mit großer Wirkung: Sein deutsches „Ihr seid geil“ zum Publikum entzückte genauso wie ein Griff zur Wasserflasche, der einen „I love you, Angus“-Ruf provozierte und der Liebenden ein „I love you, too“ bescherte. Mit „You’re the One That I Want“ wurde eine Coverversion gegeben, die sich extrem von dem Original aus dem Film „Grease“ unterscheidet und 2010 auf einer EP veröffentlicht wurde; mit „Draw Your Swords“ in der Zugabe ein persönlicher Klassiker nicht vergessen. Überhaupt schienen die Setlisten nicht besonders starr – ein paar Abweichungen und mehr oder weniger spontane Nummern mit, zumindest in Offenbach, entsprechenden Texthängern gab es wohl häufiger.
Nach ziemlich genau einer Stunde wurde schon zur Zugabenpflicht geläutet, die noch mal knapp 30 Minuten entspannten und an Abwechslung reichen Folkrock feil bot. Eine kleine Konversation zwischen den Geschwistern offenbarte dann noch eine winzige Kür nach der Pflicht; ein Duett, welches wohl als einziges den Begriff „Zugabe“ wirklich verdiente. Mit dieser Exklusivität belohnt, wanderte das begeisterte Publikum gesittet zur Garderobe und zum Merch-Stand. Alles richtig gemacht, Offenbach, woher auch immer der Input kam. Nächstes Mal ist die Stadthalle fällig.
Links: http://www.thestaves.com/, https://myspace.com/thestavesmusic, http://www.lastfm.de/music/The+Staves, https://www.facebook.com/TheStaves, https://soundcloud.com/the-staves, http://www.angusandjuliastone.com/, https://myspace.com/angusandjuliastone, http://www.reverbnation.com/angusandjuliastone, http://www.lastfm.de/music/Angus+&+Julia+Stone, https://www.facebook.com/AngusAndJulia
Text, Fotos & Clips: Micha
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