Batschkapp, Frankfurt, 15.01.2019
Nicht zum ersten Mal wurde Frankfurt am Main von Anna Calvi besucht – 2014 zum Beispiel begeisterte sie bereits in der Jugendkulturkirche Sankt Peter. Seitdem hat sich einiges getan. Zum Beispiel: Calvis 2018er-Album „Hunter“ tauchte in vielen Bestenlisten des vergangenen Jahres auf. Oder: Calvi wurde nominiert zu einem der momentan „zwölf besten Alternative-Gitarristen weltweit“ (Näheres hier) und erreichte bei der Abstimmung Platz 3. Oder: Calvi machte „Gender“ zum Thema auf „Hunter“, outete sich als homosexuell und beanspruchte gleichzeitig Jäger wie Gejagte sein zu wollen/dürfen, jenseits aller vorherrschenden Geschlechterklischees. Alle diese Punkte helfen, Rockmusik anno 2019 noch als relevant zu definieren. Weil durch Vorbilder wie Anna Calvi, Emma Ruth Rundle oder St. Vincent vermehrt Künstler*innen zur Gitarre greifen, was laut Süddeutscher Zeitung (hier) z. B. den Gitarrenhersteller Fender vor der Pleite bewahrte. Das alles macht den Auftritt in der etwa zu einem Drittel gefüllten Batschkapp auf mehrere Arten lesbar.
Fangen wir mit dem Thema an, das eigentlich keines sein sollte: Das Geschlecht. Rockmusik wird per se als maskulin definiert – vor allem durch die Spieler der elektrischen Gitarre. Gegen die Bearbeitung dieses Instruments können Virtuosen am Bass, am Schlagzeug oder an der Orgel nur abstinken. Im Gegensatz zum Jazz. Rock’n’Roll ist also hauptsächlich Klampfe in der Außenwirkung, plus dem Gesang, der auch gerne weiblich sein darf. Leadgitarristinnen sind jedoch Mangelware in der Rockgeschichte, außer sie sind Teil reiner Frauenbands wie den RUNAWAYS oder GIRLSCHOOL.
Als der oben erwähnte Text in der SZ erschien (in dem eigentlich nur beschrieben wird, dass in den letzten Jahren vermehrt Frauen und Mädchen dem Rock frönen und warum), bestanden die Kommentare dazu u. a. auf Twitter zu 95 Prozent aus Aufzählungen von „Profis“, die die im Vergleich zu den männlichen Pendants sehr spärlich in der Rockhistorie aufzufindenden Damen in den Vordergrund hievten mit dem Vermerk, dass es sowas ja schon immer gab – sowie von Fans solcher Koryphäen wie Eric Clapton, Ritchie Blackmore oder sonstwem, die sich ernsthaft „diskriminiert“ behandelt vorkamen, weil ihre Idole mal nicht im Mittelpunkt standen. Wie all die Jahre zuvor. Beides schwer nachzuvollziehen, finde ich.
Anna Calvi ist Hendrix-Fan. Man kann ihre Musik gut finden und Hendrix trotzdem respektieren. Oder Clapton. Oder Blackmore. Ich verstehe nicht, was daran problematisch sein sollte – die Anerkennung weiblicher Künstler klaut einem ja nicht die Freude an den männlichen. Doch vielleicht ist hier Licht am Ende des Tunnels sichtbar: Wird in den „sozialen Diensten“ im Internet der „alte, weiße Mann“, der nicht von seinen Privilegien lassen kann, verdient als sozialer Hemmschuh auf dem Weg zu einer offeneren Gesellschaft bezeichnet, so verblüffte doch ein Blick in die erste Reihe beim Konzert in der Batschkapp: Ausschließlich Männer dort, alle älter. Und die waren gewiss nicht gekommen, um Anna Calvi auszubuhen.
Thema 2: Calvis Queerness. Da bin ich ziemlich raus, was den Eindruck angeht, den Calvi auf die diesbezügliche Community zu haben scheint. DJ Barbecute Björn (rechts), der quasi das Vorprogramm bestritt mit Tönen zwischen Pop, Schlager und Electro und vielleicht wegen seines Status in der hiesigen Gay-Szene (mehr hier) als Anheizer gebucht wurde, hatte jedenfalls auch ein paar Fans im Saal und machte seine Sache mehr als gut. Blöd nur, dass seine Performance am Ende länger dauerte als der Auftritt des Headliners.
Was uns zu Thema 3 führt: Das Konzert. Wie war es denn nun? Gut. Fast 70 Minuten lang am End‘. Anna Calvi eröffnete mit „Hunter“ und machte mit Tracks des aktuellen Drehers weiter – etwas schüchtern anfänglich, doch im Lauf des Auftritts immer exzessiver. Erst der siebte Song war älter: „Rider to the Sea“ von ihrem Debüt 2011. Mehr als diese Alben wurden auch nicht bespielt, die famose Version von SUICIDEs „Ghost Rider“ (Clip dazu weiter unten) in der Zugabe ist da außen vor. Ein Lied, das Calvi öfter performt, an diesem Abend jedoch besonders zelebriert wurde. Dynamisch ging das Ganze von Laut nach Leise; teilweise wurde geflüstert, ab und an jedoch auch die Rock-Sau bedient – mit fiesem Spiel, das man bei einem Mann „Gitarrengewichse“ nennen würde.
Anteil an der gelungenen Darbietung hatten darüber hinaus Mally Harpaz an fast allem Elektronischen sowie der Schlagzeuger Alex Thomas, der in der Vergangenheit für die Death Metal-Urgewalt BOLT THROWER trommelte sowie live die Franzosen AIR unterstützt. Aktuell ist er festes Mitglied von Lee Dorians (Ex-NAPALM DEATH, Ex-CATHEDRAL) Doom-Truppe WITH THE DEAD. Am Ende verneigte sich die Calvi vor dem relativ spärlich erschienenen, dafür aber enthusiastischen Publikum. Die Rezensenten der Medien, ausnahmslos alte, weiße Männer von FR, FNP, F.A.Z., OP und eben Rockstage Riot, verneigten sich zurück. Ein frühes Highlight 2019. So kann gerne weiter gespielt werden. Egal ob von Frauen, Männern oder allem, was es sonst noch so gibt.
Links: http://annacalvi.com/, https://www.facebook.com/annacalvi, https://annacalvi.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Anna+Calvi
Text, Fotos & Clip: Micha
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