Das Bett, Frankfurt, 23.11.2015
„Schön. Aber schön hässlich!“ Der Bekannte im CANDLEMASS-Shirt aus Wetzlar scheint auf Frauen in Bands zu stehen (nachdem er kürzlich auf dem AHAB-Konzert der HIGH FIGHTER- Frontdame schon Angebote gemacht hatte, die sie kaum ablehnen konnte). Jenna (links) von den gestrigen Openern HONEYMOON DISEASE will er sogar vom Fleck weg heiraten. Allerdings wegen ihres „Dynasty“- Tattoos von KISS, nicht wegen ihres Gesangs, der zugegebenerweise nicht komplett entzückte. Trotzdem machte das schwedische Quartett (wie alle drei Acts des Abends im Frankfurter Club „Das Bett“) extrem gute Laune. Im Unterschied zu den später Folgenden jedoch durch einen leicht trashigen Retrostyle, Spaß am Posen und dem leidenschaftlichen Vereinen von Allem, was über Jahrzehnte lang als extrem uncool galt (und es heute außerhalb des Retrorock- Zirkels immer noch ist). Denim. Mitsingbare Dreieinhalbminutensongs zwischen SLADE, den RUNAWAYS und GIRLSCHOOL. Fetter Oberlippenbart. Stirnband und Fliegersonnenbrille auf dem Plattencover. Endgeil.
Die halbe Stunde HONEYMOON DISEASE hinterließ überall zufriedene Gesichter, richtig ernst nahmen die meist älteren Männer im Saal das Quartett mit den zwei Ladies jedoch nicht so richtig. Hat wohl eher was mit gönnerhaftem Machotum zu tun, denn instrumental unterhielt die Truppe mehr als gekonnt. Trotzdem wollte kaum jemand anschließend das Album kaufen, was sich im Nachhinein als Fehler herausstellte: Das über Napalm Rec. veröffentlichte Debüt offenbart zum Partyrumms zusätzlich Vocals, die entweder im Studio aufgehübscht wurden oder Jennas heutige Vokalleistung, hm, etwas angeschlagen aussehen ließen. Dazu originelle Kompositionen, die sofort zünden und, trotz Retro, frisch und unverbraucht klingen. Empfehlung, Platte und Band. Läuft.
Das isländische Trio THE VINTAGE CARAVAN war schon ein paar Mal in unserer Region zu erleben, zum Beispiel als Begleiter der BLUES PILLS. Allerdings immer an Tagen, an denen ich diese von mir sehr verehrte Truppe nicht sehen konnte, weswegen ich wahrscheinlich der Einzige im Saal war, der die hoch gehypten Youngster noch nicht kannte, vorher. Selber verortet sich die Formation zwischen Classic Rock, Blues und Progrock – böse Zungen sprechen auch hier von Retro. Das mag modisch zutreffen, musikalisch tut man den Herren damit jedoch bitter Unrecht. Ein klassisches Powertrio mit hochklassigem Spiel – Check. Das aber live zum Teil in einer Geschwindigkeit und mit einer Energie, die durchaus schon ein Punkrocklevel aufwies.
Außerdem spielten sich die Jungs (zwei sind gerade mal 21 Jahre alt) in einen Rausch, der verriet, dass sie ihre Zeit auf der Bühne extrem genießen. Das wäre ansteckend gewesen, selbst wenn sie Scheißmusik spielen würden. Tun sie aber nicht. Knapp 50 Minuten verspielter und groovender, harter Rock vom Allerfeinsten, besser noch als auf den durchaus zu empfehlenden Alben. Die man beim dauergrinsenden Gitarrenstar und Nebenbeischauspieler („Metalhead“) Óskar Logi Ágústsson anschließend auch kaufen und gleich signieren lassen konnte.
AVATARIUM schließlich sind das Baby eines Musikers, der so gut wie nie mit ihnen auf der Bühne steht: Leif Edling spielt(e) Bass bei der schwedischen Doom-Legende CANDLEMASS, bei ABSTRAKT ALGEBRA und WITCHCRAFT. Edling ist zu krank zum Touren – was genau ihn plagt geht uns nichts an. Trotzdem schreibt er die meisten Songs von AVATARIUM und CANDLEMASS. Live vertritt ihn, wie auch schon beim letztjährigen Hammer of Doom-Festival, Anders Iwers von TIAMAT (der als Gitarrist zu den Gründungsmitgliedern von IN FLAMES gehörte, die Band aber nach zwei Jahren verließ). Im Fokus der Aufmerksamkeit stehen das auch privat verbandelte Paar Marcus Jidell an der Gitarre (Ex-EVERGREY, live Ex-CANDLEMASS) sowie Jennie-Ann Smith an der akustischen Gitarre und Gesang. Die scheinen sich super zu verstehen, den liebevollen Blicken nach zu urteilen, die sie sich manchmal entgegen werfen.
Zwei Alben gibt es bisher von ihnen sowie, Nuclear Blast-typisch, zwei EPs. Für Hardcore-Doom-Fans ist das, was AVATARIUM spielen, kommerzieller Mist; für Freunde ausladenden Heavy Rocks mit Wurzeln in den späten Sechzigern und Siebzigern ist das aber ein Hochgenuss. Jennie-Ann Smith wäre mit ihrer Stimme auch großartig gewesen als Nachfolgerin von Ronnie James Dio bei RAINBOW und bei BLACK SABBATH; die Konversationen zwischen dem Keyboarder Carl Westholm und der (manchmal nach Yngwie Malmsteen klingenden) Gitarre Jidells haben DEEP PURPLE-Niveau.
Freunde solcher Musik hätten sich am gestrigen Tag auch in die Frankfurter Batschkapp verlaufen können, wo die stilistisch ähnlich gelagerten, aber kompositorisch ziemlich ausgebrannten URIAH HEEP für knapp 50 Ocken und einem ebenso Hammer of Doom-erprobten Opener (den Würzburgern WOLVE SPIRIT) zum Schwelgen luden. Beide Combos sprechen nicht nur das exakt gleiche Zielpublikum an, sondern haben beide auch noch einen Song namens „Bird(s) Of Prey“ im Programm. Ich gehe aber mal davon aus, mich mit AVATARIUM richtig entschieden zu haben, nicht nur aus monetären Gründen.
Gegenwärtig fällt mir keine Band ein, die diesen originären Hardrocksound besser spielt, die Kompositionen auf „The Girl With The Raven Mask“ sind durch die Bank zum Niederknien. Die Menschen im gut gefüllten, aber nicht ausverkauften Club „Das Bett“ fraßen der Formation jedenfalls kollektiv aus der Hand. Allen drei Acts war ihr „Danke, Frankfurt“ absolut abzunehmen und fern jeder Pose, so ausgelassen wie sie aufspielten – Jennie-Ann Smith verband ihr „Danke“ noch mit dem Gedenken an die Opfer von Paris und der Hoffnung, dass sich niemand zukünftig wegen solcher Taten einschränken lässt. AVATARIUM tun es auch nicht. Danke auch dafür und für 90 Minuten herzerweiternden Rocks.
Setlist: Ghostlight / Girl With The Raven Mask / Bird Of Prey / The January Sea / All I Want / Pearls And Coffins / Master Thief / Run Killer Run / Deep Well / Moonhorse // Avatarium
Links: http://www.honeymoondisease.com/, https://www.facebook.com/HoneymoonDisease, https://honeymoondisease.bandcamp.com/, http://www.last.fm/music/Honeymoon+Disease, https://www.facebook.com/vintagecaravan, https://soundcloud.com/thevcvan, http://www.last.fm/de/music/The+Vintage+Caravan, http://avatariumofficial.se/, https://www.facebook.com/avatariumofficial/, http://www.lastfm.de/music/Avatarium
Text, Fotos & Clips: Micha
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