Gloria-Theater, Köln, 21.01.2017
Hat Conor Oberst überhaupt schon in Frankfurt gespielt? 2005 und 2007 gastierte er mit seiner Band BRIGHT EYES im Wiesbadener Schlachthof – der Hype und die Verzückung um die Indie-Stars aus Omaha/Nebraska stand da in voller Blüte. BRIGHT EYES, bzw. Conor Oberst als Federführender bei dieser Formation, beeindruckte nicht nur die Folk-Freunde und galt, zusammen mit dem ähnlich talentierten und produktivem Ryan Adams, als „neuer Dylan oder Springsteen“. Was letztlich nur bedeutet, dass jemand in der Tradition dieser amerikanischen Ikonen sehr, sehr gute Songs schreibt, die sparsam mit Klampfe und Mundharmonika, aber auch als treibende Rock- Nummern funktionieren.
Oberst und seine Crew sprengten diesen Rahmen jedoch mit Ausflügen in die Elektronik, in den Punkrock sowie mit dem Aufbau eines Labels (Saddle Greek) und einem ganzen Rattenschwanz an „Szene“, aus der viele interessante Songwriter hervorgingen (zum Beispiel AZURE RAY mit der jetzt solo performenden Maria Taylor, THE FAINT oder THE THERMALS, TWO GALLANTS oder Oberst‘ Punk-Band DESAPARECIDOS, die 2015 wieder ein erstklassiges Album veröffentlichten). Seit 2008 bringt er „Solo“-Platten heraus, eigentlich immer welche mit Combos wie der MYSTIC VALLEY BAND, und spielt mit seinem BRIGHT EYES-Kumpel Mike Mogis, M.Ward sowie Jim James von MY MORNING JACKET bei den MONSTERS OF FOLK. Kleiner Scherz, der Name, aber nicht unpassend.
Mit so gut wie allen Formationen war Oberst in Köln, sehr oft auch im Gloria, in welches er gestern in äußerst intimer Sitzung eincheckte. Das Gloria-Theater, ein ehemaliges (Porno-)Kino und seit den Neunzigern „Multi-Kulti-Tempel“ (Selbstbeschreibung), ist ein wunderschöner, stimmungsvoll illuminierter Ort, bei dem es in Richtung Bühne leicht abwärts geht, was für etwas kleinere Menschen die Sicht von weiter hinten enorm erleichtert. Sogar die FOO FIGHTERS sollen hier schon aufgetreten sein. Die Programmschwerpunkte sind neben Theater und Partys Auftritte von Americana-Genregrößen wie Rhiannon Giddens oder die MAVERICKS Ende März – die spielen leider auch nicht bei uns. Toller Sound außerdem. Kein Wunder, dass Conor Oberst immer wieder hierher kommt.
Der 36-Jährige präsentierte sein sechstes und erstes „richtiges“ Solo-Album, „Ruminations“ – eingespielt komplett allein am Klavier oder an der Gitarre mit Dylan-mäßiger Mundharmonika. Ein Album, das gar nicht geplant gewesen sein soll: 2015 brach Oberst während einer DESAPARECIDOS-Tour erschöpft zusammen, sie wurde abgebrochen. Der Künstler zog sich in die verschneite Heimat zurück, schöpfte Kraft und machte das, was Kreative eben tun: Er schaffte etwas Neues. Songs, die zu den Eindringlichsten gehören, die er je fabriziert hat. „Ruminations“ wurde Platte des Monats im deutschen Rolling Stone, eine Solo-Tour angekündigt. Ganz solo ist diese dann aber auch nicht.
Schon zwei Stunden vor dem offiziellen Beginn quetschen sich die Gäste in einer schmalen Reihe an den Rand des knappen Bürgersteigs; sie werden zu den Glücklichen gehören, die über eine halbe Stunde vor diesem Beginn MiWi La Lupa erleben dürfen, das (nicht angekündigte) Vorprogramm des (nicht angekündigten) Vorprogramms, quasi. La Lupa hat gerade sein drittes Album draußen, sein
MiWi La Lupa
zweites wurde produziert von Oberst und Mike Mogis. Er spielt Gitarre, seine Stimme ist klar und seine Texte verständlich, seine Songs klingen luftig und verspielt trotz spürbarer Melancholie. Nach einer halben Stunde freut er sich, Phoebe Bridgers anzusagen, die er sehr gut und sehr hübsch zu finden scheint. Stimmt auch beides.
Inzwischen ist offizieller Beginn, es wird extrem voll (der Laden ist ausverkauft), aber die Belüftung stimmt. Etwas nervtötend ist das ignorante Geschwätz einiger Anwesender, die glauben, ihre beruflichen Pläne wären interessanter als der Vortrag der grazilen Blonden aus Los Angeles, von der bereits einige Songs in Fernsehserien wie Castle oder Switched At Birth eingesetzt wurden. Auf Ryan Adams‘ Label Pax Am erschien ihre erste Single „Killer“, der Mann schwärmt genauso von ihr wie eben noch MiWi La Lupa, verglich
Phoebe Bridgers
sie sogar mit Bob Dylan, mal wieder. Bridgers ist das erste Mal in Europa und davon begeistert, sie findet es, so sagt sie, viel besser als die USA. Ein bisschen viel Superlativ hier und dort, aber ihre halbe Stunde ist toll, ihre Texte live (dank der Schwätzer) weniger gut zu verstehen, ihr Gitarrenspiel (akustisch und elektrisch) superb und ihre aktuelle Single wurde nach dem Gig selbstredend gekauft, ebenso wie die Tonträger von MiWi La Lupa. Verdammt hohes Niveau bereits jetzt.
Während Köln im Fernsehen mal wieder beginnt, einen „Superstar“ zu suchen, hat das Publikum im Gloria seinen bereits gefunden: Oberst setzt sich ans Piano, so weit am linken Rand des Podests, dass die Fotografen kaum Platz haben, ihn von vorne zu erwischen. Vor ihm sitzt ein Mann, der die ungewöhnlichste Bühnenarbeit verrichtet, die ich je zu Gesicht bekommen habe: Er befeuchtet Conor Obersts Harmonika nach jedem Absetzen mit Wasser aus einem großen Goldfischglas und dirigiert nebenbei noch lautlos und unmissverständlich die Fotografentruppe, so dass jeder in einem schmalen Zeitfenster mal den Oberst von (fast) vorne bekommt. Mit „Tachycardia“, auch der Opener des Albums, wird begonnen, danach „Gossamer Thin“ vom gleichen Werk. Bei Song Nummer drei (dem letzten, bei dem professionell Bilder gemacht werden dürfen) wechselt Oberst zum Glück in die Mitte der Bühne und an die Gitarre. Und MiWi La Lupa ist die ganze Zeit als Partner dabei, spielt ein Ding, welches wie ein Bass aussieht, aber nicht immer wie ein Bass klingt. Oberst‘ Vortrag ist hypnotisierend, seine Singweise gebrochen und formvollendet. Fast alle Schwätzer halten jetzt endlich ihr Maul.
Insgesamt vier Songs von BRIGHT EYES werden gegeben. Oberst covert die REPLACEMENTS und erzählt ein wenig über die Bedeutung, die diese „Heartland“-Band für ihn hatte, er bringt den Song „Rockefeller Druglaw Blues“ von den FELICE BROTHERS und später einen „eines Freundes“ – Gillian Welch – denn „viele von meinen Freunden haben eine Vagina“, wie er dazu ausführt. Wer würde das bezweifeln wollen. Phoebe Bridgers ist dazu auch wieder auf die Bühne gestoßen, was den „Solo“-Abend zum Ende hin zu einem Trioabend macht. Eingeleitet wird dieses Stück durch die einzige lange Ansprache des Abends, in der man Oberst seine Bestürzung über den Wahlausgang in den USA anmerkt und in der er uns Europäer bittet, Ähnliches auf unserem Kontinent zu verhindern. Und sein eigentlich positives Menschenbild illustriert: Er glaubt nämlich, dass es „mehr nette Menschen auf der Welt gibt als böse, die Bösen nur viel lauter sind“. Eine kurze Pause gönnt sich Oberst inmitten des rund zweistündigen Sets – eine Pause, die wir dazu nutzen sollen, alles zu posten, was an diesem Abend passiert. Er möchte „alles dokumentiert sehen auf den sozialen Medien“.
Ähnlich wie Brian Fallon im vergangenen Monat verzichtet Oberst nach zwei Stunden auf eine Zugabe – diese Zeit war jedoch so hochwertig und inspirierend, dass das für die meisten Anwesenden durchaus in Ordnung ging. Herrschte doch die Meinung vor, schon im Januar einem Kandidaten zum Konzert des Jahres beigewohnt zu haben. Demnächst veröffentlicht Oberst einen Nachschlag mit Band von „Ruminations“ – „Salutations“ heißt das Ding dann, die FELICE BROTHERS scheinen seine Backing Band zu sein und Gäste wie Maria Taylor oder Gillian Welch sind bei den gleichen Songs zu hören, die er auf „Ruminations“ allein einspielte. Vielleicht tourt er dann ja weiter. Wäre schön, wenn ihm jemand mal steckt, dass es sich in der Frankfurter Batschkapp auch erlesen feiern lässt.
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Text, Fotos & Clips: Micha
Alle Bilder: