Frankfurt, 8.01.2013
„I’m a human bomb, and I‘m gonna explode” singt er, und jeder, der ihn einmal live auf der Bühne gesehen hat, wird mir beipflichten, dass er zumindest kurz davor war. Die Rede ist von Joe „Shithead“ Keithley (Foto rechts), Frontmann und Mastermind der kanadischen Punkband D.O.A. Doch damit soll nun Schluss sein, denn eine der am meisten kickenden und Arsch tretenden Combos der vergangenen Jahrzehnte – die auch mehrfach in Frankfurt, zuletzt 2009 und 2010 in der Au, zu Gast war – geht in Rente. Anfang Dezember des vergangenen Jahres erreichte folgende, zu diesem Zeitpunkt doch überraschende Kurznachricht von Keithley unseren Twitter-Account:
Ich wollte es anfangs kaum glauben. Die Band, seit 1978 aktiv, mit tausenden Shows in aller Welt auf dem Buckel und in den vergangenen drei Dekaden (fast) jedes Jahr für einen neuen Tonträger gut, schien gesetzt für die Ewigkeit. Aber letztlich ist eben doch alles endlich und jetzt ist es amtlich: D.O.A. haut in den Sack. Die Termine für die Abschiedstour (nur in Kanada und Kalifornien) stehen fest, beginnend mit dem Farewell-Konzert in ihrer Heimatstadt Vancouver am 18. Januar 2013. Dabei sein werden laut Flyer auch ehemalige Bandmitglieder aus 35 Jahren D.O.A.-Geschichte. Was für ein Event!
Eine solche Ankündigung setzt bei langjährigen Anhängern wie mir sofort bestimmte, sämtliche Zeichen der Realität verleugnende Denkmechanismen in Gang wie: „Da müsste man dabei sein!“, „Einmal um die halbe Welt fliegen für ein Farewell galore!“ oder „Ich sollte das Bankkonto für diesen guten Zweck plündern!“. Doch dann schlägt die Vernunftkeule mit voller Wucht zurück: „Nein! Das ist nicht darstellbar…“ Leider. Aber Träumen ist ja erlaubt. Und eine kleine Laudatio für eine Band, die mir wie nur wenige andere über eine lange Zeit mit ihren Auftritten und ihren Platten soviel Spaß gemacht hat, scheint an dieser Stelle angebracht.
Wie lernte ich D.O.A. kennen? Am Anfang dieses Prozesses stand ein alter Weggefährte und Gesinnungsgenosse von Keithley und seinen Mannen, ein gewisser Jello Biafra. Der Bandleader der DEAD KENNEDYS, die ich damals gerne hörte, veröffentlichte nach dem Split seiner Gruppe zusammen mit den Kanadiern das Album „Last Scream oft the Missing Neighbors“ (übrigens einer der genialsten Plattentitel überhaupt!). Das war 1989. Fortan interessierte mich auch diese Combo und ich begann, mir weitere Scheiben aus der Zeit davor und danach zuzulegen. Auf diesen singt besagter Shithead allein, und er macht das keineswegs schlechter als JB. Inzwischen
Stichwort „Politpunks“: Was mir an D.O.A. neben ihrem unglaublich harten, schnellen und aggressiven Sound immer besonders gut gefallen hat, waren die Texte ihrer Stücke. Zeilen, die (nicht nur für mich) ein hohes Identifikationspotenzial besitzen. Ob Kritik an Repression jeglicher Art, Globalisierung, Konsumverhalten oder Umweltzerstörung – Shithead bläst sie raus. Und er tut dies nicht nur akustisch, sondern versucht auch, durch sein politisches Engagement Verbesserungen zu bewirken. Nicht umsonst heißt sein Motto: „Talk – Action = 0“ (Gelaber ohne Aktion ist Nichts).
Ebenjenes Engagement ist wohl einer der hauptsächlichen Faktoren für das Aus von D.O.A.. Denn der inzwischen 56-jährige Frontmann, ohne den die Band nicht denkbar wäre (D.O.A. – Shithead = 0), kandidiert am 3. März 2013 für die sozialdemokratische Neue Demokratische Partei NDP (New Democratic Party) in der Region Coquitlam Burke-Mountain (Provinz British Columbia). Bei seiner politischen Arbeit wird er, wie er der Zeitung „Vancouver Sun“ sagte, „einen Anzug tragen und keine Gitarre“. Unter http://www.joekeithley.ca/ ist das Punkrock-Urgestein im gebügelten Oberhemd statt seiner ausgefransten Jeansweste zu sehen.
Schon 1996 und 2001 hatte Keithley für die Green Party of British Columbia seinen Hut in den Ring geworfen, erste Erfahrungen auf dem politischen Parkett sind also vorhanden. Ich bin gespannt, wie die Sache weitergeht. Ich würde ihn ja bedenkenlos wählen, aber was denken seine Landsleute? Neuigkeiten werden unter anderem über die Website des bandeigenen Labels Sudden Death Records, http://suddendeath.com/, publiziert.
Wer sich, sozusagen noch posthum, für die Geschichte von D.O.A. interessiert, dem seien die beiden Bücher „I, Shithead – A Life in Punk“ (liegt in deutscher Übersetzung vor) und „Talk – Action = 0 – An Illustrated History of D.O.A.“ empfohlen. In ihnen findet sich auch reichlich (Bild-)Material zu den übrigen Bandmitgliedern wie Randy Rampage, Chuck Biscuits und fast 20 weiteren, von denen einige aufgrund von Drogen-Überdosen, Unglücken oder Krankheiten nicht mehr unter uns weilen.
Für Joe „Shithead“ Keithley, den einzigen, der sämtliche 35 Bandjahre aktiv mitgestaltet hat, gilt es nun, sich im Rahmen der letzten Shows noch einmal gebührend feiern zu lassen. Auf dem Punkrock- Olymp ist er ohnehin längst angekommen, was sich unter anderem dadurch manifestiert, dass auch ihm inzwischen ein so genannter Throbblehead (in Amerika beliebte Spielfiguren mit Wackelkopf) gewidmet wurde. Damit steht er in einer Reihe mit so illustren Gestalten wie Keith Morris (OFF!, BLACK FLAG), Blag Dahlia (DWARVES), Tesco Vee (MEATMEN), Wendy O’Williams (PLASMATICS), Jeff Clayton (ANTISEEN) oder eben Jello Biafra.
Wenn der letzte Akkord verklungen ist, wird Keithley die Ärmel wieder hochkrempeln, um als (hoffentlich) gewählter Volksvertreter tätig zu werden. Dass man auch mit Punk- und Hardcore-Musik Öffentlichkeit herstellen kann, hat die Band schon früher bewiesen: Bereits vor zehn Jahren rief der damals amtierende Bürgermeister von Vancouver, Larry Campbell, den 21. Dezember zum „D.O.A. Day“ aus. Und welche Combo kann schon von sich behaupten, einen eigenen Gedenktag zu haben?
Links: Joe Keithley signiert die Scheibe „Northern Avenger“ für einen Fan am 2.08.2009 in der Au, Frankfurt.
Unvergessen bleiben werden jedenfalls einige D.O.A.-Songs, die zum besten gehören, was das Punk-Genre je hervorgebracht hat. Aus der Frühzeit der Band zu nennen sind zum Beispiel „Disco Sucks“ und „The Prisoner“, ein Video der damals noch ganz jungen Kerle aus dem Jahr 1979 dazu ist hier zu finden. In den Achtzigern und Neunzigern sorgten unter anderem die Tracks „Race Riot“ (1984) und „Kill Ya Later“ (1995) für Jagdszenen auf den Tanzflächen. Als bestes Album der jüngeren D.O.A.-Geschichte würde ich „Northern Avenger“ (2008) bezeichnen, das mit Stücken wie „Human Bomb“, „Police Brutality“ (dazu zwei klasse Clips unten) sowie „Devil’s Speedway“ gesegnet ist. Wer sich etwas (gut investierte) Zeit nehmen möchte, der sehe sich die 45 Minuten lange Dokumentation „Greatest Shits 1978-1998“ an, die ganz am Ende dieses Beitrags eingebettet ist.
Mir ist momentan nicht wirklich klar, wer die Lücke füllen soll, die durch die Auflösung von D.O.A. entsteht. Und damit bin ich wohl nicht allein. Die Kommentare auf Facebook reichen von „Well that sucks“ und „farewell show?! NNNOOO!!!!!!“ hin zu „Farewell? Dammit nooo (…) I’m gonna cry.” und “This really saddens me i’m gonna miss this show. Long live DOA!“.
Letzterem kann ich mich nur anschließen. Es bleibt, Dank zu sagen für die vielen grandiosen Platten, die schweißtreibenden Konzertabende und das politische Engagement dieser genialen Truppe. D.O.A. – Nicht „Dead On Arrival“ (Bei Ankunft tot), sondern angekommen am Ende eines langen Weges – lebend. Goodbye!
Weitere Links: http://www.liveatrickshaw.com/224/doas-farewell-show/ , http://www.myspace.com/doapunk, https://www.facebook.com/doapunk, http://www.lastfm.de/music/D.O.A.
Text: Stefan
Fotos (alle aufgenommen am 2.08.2009 in der Au): Kai (4), Marcus (1)