Batschkapp, Frankfurt, 14.07.2014
Regelmäßige Leser dieses Blogs wissen, was bei den Rockstage Riot-Menschen größtenteils die eigenen vier Wände beschallt: Rock’n’Roll der meist derberen Ausrichtung, vorzugsweise Punkrock, Metal, Hardcore und Verwandtes. Eine Leidenschaft für Country-Music ist bei den meisten auch auszumachen (vorzugsweise ebenso derb). Elektronische Musik kommt hier weit seltener bis gar nicht vor. Und obwohl diese Leidenschaft auch genau auf mich zutrifft, waren meine meistgehörten Alben der Jahre 2012 und 2013 eher aus der elektronischen Ecke. 2012 war das „Quarantine“ von der fantastischen Laurel Halo, 2013 war das „Psychic“ von DARKSIDE. Gut möglich, dass das auch 2014 ein Spitzenreiter bleibt.
DARKSIDE sind ein Duo aus New York, bestehend aus dem Elektro-Tüftler Nicolas Jaar und dem Gitarristen Dave Harrington (der allerdings noch eine ganze Menge anderer Instrumente beherrschen soll). Jaar ist der Berühmtere: In (mir völlig fremden) House- und Techno-Kreisen ließ er bereits 2010 mit seinem Debüt „Space is the Only Noise“ aufhorchen (damals war er 20 Jahre alt); auf meinen Schirm geriet er, als er 2012 einen völlig genialen Mix von „Cherokee“ (vom letzten CAT POWER-Album „Sun“) fabrizierte.
Harrington hält sich informationstechnisch sehr zurück: Neben DARKSIDE spielt er bei einer Formation namens EL TOPO, die jedoch diverse gleichnamige Kollegen hat; außerdem soll der Avantgarde-Papst John Zorn sein Idol sein, angeblich ist eine Zusammenarbeit auch schon erfolgt. Jaar betreibt zusätzlich ein Label namens „Other People“; vorher hatte er eines namens „Clown & Sunset“. Von diesem stammte das Vorprogramm, eine Dame namens Nikita Quasim, Pianistin und ebensolche Elektro-Tüftlerin.
Die stellte den Rock’n’Roller in mir (und auch andere) arg auf die Probe. Angekündigt erst wenige Tage vor der Show und nur Szenekennern namentlich vertraut, startete die vermummte Dame gegen 20.45 Uhr auf der spärlichst illuminierten Bühne und fabrizierte mit ihrem Laptop eine knapp halbstündige Soundcollage, in der aus teilweise geloopten Nachrichtenbeiträgen und dynamischen Rhythmen ein pessimistisch-realistisches Szenario mit aktuellem Israel- Palästina-Bezug hergestellt wurde, wenn ich das richtig verstanden habe.
Den meisten Anwesenden ging das nicht nur komplett am Arsch vorbei, sondern wurde von ihnen noch nicht einmal als Konzertdarbietung wahrgenommen. War auch schwer, für mich wirkte das wie ein gefühlt endloses, real dreißigminütiges Intro mit pädagogischem Anspruch. Das Geschwätz der Nachrichten- Sprecher verlor sich im Gemurmel der in der Frankfurter Batschkapp nun immer zahlreicher erscheinenden Menschen; die Musik brach sich erst zum Ende hin in den Vordergrund. Höflichkeitsapplaus am Ende, Erleichterung allenthalben. Eine längere Darbietung wäre gewagt gewesen.
Ließ die Musik vom Band vor dem Auftritt Quasims einen noch in trügerischer Ruhe schwelgen (60er Jahre Easy Listening-Zeug), so wurde in der Pause zwischen Vor- und Hauptact mit dem elektrifizierten Miles Davis aus den frühen Siebzigern (glaube ich erkannt zu haben, zumindest war das artverwandt) schon in Richtung DARKSIDE gezielt, die etwa um halb zehn auf die stockdunkle Bühne kamen. Viel änderte sich an der Beleuchtung auch nicht; ein wenig einfarbiger wurde es im Laufe der Show, aber stetig düster. Die sich zugewandten Musiker, die den ganzen Abend nur einmal das Publikum kontaktierten (auch da lässt Davis grüßen), waren nur auf sich konzentriert, das Publikum schien geduldet.
Die bekannten Beats des Hammeralbums „Psychic“ wurden eingeleitet und von der Menge abgefeiert, danach verließen die Herren jedoch den Weg des Tonträgers und improvisierten drauf los. Allerdings zweckdienlicher und untereinander kommunikativer als man (als Unkundiger) von diversen Free- Jazz-Combos, vorzugsweise der 70er Jahre, den Eindruck hat. Bei diesen musikalischen „Gesprächen“ zupfte und schlug Harrington einen Westernsound, der einige an Mark Knopfler denken ließ (so gehört an der Bahnstation nach dem Konzert); was nur grob zutrifft, weil Knopfler in seiner Biederkeit so ziemlich das Gegenteil von einem Grenzen einreißenden Harrington darstellt. Die Richtung stimmt aber: Roots- & Americana-Sounds, modern verzerrt und mit Hall versetzt. Gemmy Ray (Bericht hier) musste sich für ähnliche Sounds vor Kris Kristofferson fast auspfeifen lassen.
Im Kontakt mit den fordernden Beats von Jaar erreichte das kurzzeitig Dimensionen wie in der Szene aus dem ersten „Blade“-Film, wenn „Confusion“ von NEW ORDER die Blutdusche in der Vampirdisco beschallt. Aber immer nur ein Weilchen (und ohne Traci Lords, leider), dann wurden neue Klangfarben gefunden. Heraus kam unterm Strich eine neunzigminütige Darbietung, bei der nur kurz das letzte Stück angesagt wurde, Songs wie „Freak, Go Home“, „Paper Trails“ oder „Golden Arrow“ zwar gespielt, aber stark verändert wurden und somit den Tatbestand einer hoch spannenden und mitreißenden musikalischen Kommunikation erfüllten. So gesehen ein Psychedelicrock-, ein Electro-, aber vor allem ein großartiges Jazz-Konzert, so wie ich es verstehe. Auf jeden Fall für mich bisher das Konzert des Jahres.
Links: http://www.darksideusa.com/, http://www.lastfm.de/music/Darkside, http://eltopo.bandcamp.com/, http://www.lastfm.de/music/Nikita+Quasim
Text, Fotos & Clips: Micha
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