Colos-Saal, Aschaffenburg, 30.09.2014
Schon witzig, wie sich Geschichte manchmal wiederholt. Da steht dieses junge Quartett aus Belgien auf der Bühne, nennt sich, nach einem Albumtitel der Speed-Metal-Legende RAZOR, EVIL INVADERS; posiert auf eine Art und Weise, die Nicht-Eingeweihte nur „lächerlich“ benennen können; schwingt das Gesangsorgan spitz gen Kastratenhöhen und erntet damit nur begeisterte Fans, die locker als deren Väter durchgehen könnten. Willkommen in der wunderbaren Welt des Metal. Was Anfang der Achtziger nur von weisen Kuttenträgern verstanden und vom Rest der Gesellschaft als akustisch, modisch und künstlerisch retardiert empfunden wurde, war und blieb nicht nur Kult für die, die Augen hatten um zu sehen und Ohren, um zu hören sondern findet Nachahmer, diverse Pop-Generationen später. Ich bin entzückt.
Anlass dieses Generationen übergreifenden Thrash-Metal-Gipfeltreffens im Aschaffenburger Colos-Saal war die Tour zum 30-jährigen Jubiläum der teutonischen Veteranen von DESTRUCTION (Foto links). Aber anstatt mit ihren Altersgenossen zu feiern, lud das kultisch verehrte Trio gleich zwei Bands als Support ein, die allein schon aufgrund ihrer juvenilen Energie eine Herausforderung für die Senioren darstellen. Könnten.
Zu Anfang eben besagte EVIL INVADERS. Als die Jungs fast zeitgleich mit meinem Eintreffen die Bühne enterten, war es noch ziemlich leer im Colos-Saal – ich erwartete zwar kein ausverkauftes Haus wie bei BOLT THROWER zwei Tage vorher, aber ich hatte eine ungemütliche Befüllung des Auditoriums fest eingeplant. Niedlich war meine Begegnung mit dem Ordner kurz vor der Show, der mir nahelegte, meinen Rucksack an der Garderobe abzugeben. Ich versicherte ihm, dass der Rucksack, befreit von meiner ausladenden Kamera, nur noch ein schlaffes Nichts an meinem Rücken darstellen und deswegen niemanden in seiner Beweglichkeit einschränken würde (bei den zahllosen Anwesenden kommt es ja auf j-e-d-e-n Zentimeter an, verstehe ich). Netterweise nickte der Ordner das ab (alles andere als selbstverständlich). Ich legte meine Kamera also auf meinen Bauch um den Sack erschlaffen zu lassen, betrat die Spielstätte und sah diverse Anschläge, auf denen gefordert wurde, nicht zu filmen und zu fotografieren. Oookay… Das war etwas verwirrend. Die sich ständig in neuen Duoposen aufstellenden EVIL INVADERS ließen mich jedoch meine Verwirrung vergessen und es wurde draufgehalten, was das Zeug hielt; ich meine: Wie Leute, die nicht fotografiert/gefilmt werden wollen, verhielten sich die Belgier nicht. Und ich war scheinbar auch nicht der einzige, der das so sah: Ich habe sogar den Eindruck, dass jeder gespielte Song auf YouTube nachzuerleben ist. Sucht mal.
Spätestens beim EXCITER- Cover „Violence & Force“ hatten mich die Buben und ich spielte Luftgitarre mit dem Teleobjektiv. Der Jungspund in Kutte neben mir, der bei ENTOMBED A.D. in Wiesbaden noch interessiert-gelassen agierte, bangte sich im übrigen bei der Combo fast den Schädel ab. Für das Weitertragen des Speed-Metal ist also gesorgt, Legenden werden nicht vergessen, sondern gepflegt. Die Welt kann so schön sein.
Als ein wenig später die ebenfalls blutjungen Finnen LOST SOCIETY (Foto unten) die Bühne betraten, wurde es weniger akkurat im Spiel; die Thrasher haben durchaus eine dominierende Punkrock-Kante. Die Anwesenden im (immer noch) schwach gefüllten Saal hatten ihren Spaß und feierten die Songs der beiden 2013 und 2014 erschienenden Alben, die so ähnlich auch Anfang der Neunziger hätten erscheinen können (immerhin zehn Jahre später als die Referenzen der EVIL INVADERS) und selten länger dauern als vier Minuten. Auch diese Band störte sich nicht an den Fotografen. Sollten die Schilder also von den Senioren dieser Veranstaltung gefordert worden sein? Spielt altersbedingte Eitelkeit eine Rolle? Wir werden sehen.
In der Zwischenzeit war mein Rucksack nicht mehr ganz so schlaff, weil Tonträger der Vorbands in ihm ruhten; eine Abgabe an der Garderobe erschien mir also durchaus sinnvoll. Auf der Suche danach erspähte ich diese nur in verschlossenem Zustand. Der nette Ordner, der nichts gegen meine Kamera auf dem Bauch hatte, wollte flugs jemanden schicken um die Garderobe zu öffnen, wurde jedoch vom Kassierer gestoppt, „Heute keine Garderobe“ hieß es knapp. War ja auch nachvollziehbar, denn: Es war immer noch kaum jemand da. Also, es war auch nicht krass leer; aber gemessen an dem Status der nun folgenden Akteure war das gar nichts. Von den sogenannten großen Vier des teutonischen Thrash war das hier die mieseste Rhein/Main-Publikums-Beteiligung. KREATOR, okay, sind die Chefs im Ring, weltweit und verdient. TANKARD sind aus FFM – keine Ahnung, wie viel die anderswo ziehen, aber Rhein/Main feiert die extrem. SODOM, meine Faves, füllen auch keine Festhalle, zogen aber auch ohne Jubiläum etwas mehr im Colos-Saal.
Angemerkt hat man das dem Trio in schwerer Rüstung vor Totenschädel-verziertem Mikroständer jedoch nicht, ganz im Gegenteil. Nachdem das Thema aus „Psycho“ erschallte und die Band startete gingen ausnahmslos alle steil und die Herren bretterten kaum weniger aggressiv als in ihren Anfangstagen los. Auch hier wurde sich viel bewegt: Bandikone Schmier und Gitarrist Mike, der die Bezeichnung „Ikone“ auch längst verdient, tauschten ständig die Totenschädel- Halter um von allen Anwesenden gut gesehen zu werden, auch durch Objektive. Der Anschlag an den Wänden machte keinen Sinn mehr – vielleicht war das ja ein Überbleibsel der mächtigen BOLT THROWER, die am vergangenen Sonntag spielten und Fotografen vielleicht ebenso gerne die Fresse polieren wie Bootleggern; zumindest letzteres ist definitiv belegt.
Schmier und Co., die aufgrund ihres extrem räudigen Ursounds und ihrer Verachtung für Religion großen Einfluss auf die heutige Black Metal-Avantgarde hat(ten), verhielten sich fern von jeder Eitelkeit und Starallüren. Andere hätten vielleicht ihren Frust über die miese Besucherzahl raushängen lassen, DESTRUCTION jedoch haben gerockt. Klassiker wie „Mad Butcher“ ebenso wie modernere Hassbatzen wie „Nailed to the Cross“ (Videoclip dazu unten). Persönlich gefehlt hat mir das nostalgische, auf der letzten Platte „Spiritual Genocide“ veröffentlichte „Legacy of the Past“, bei dem Songtitel der großen Vier en masse zitiert werden und das, bei der Nähe zu Frankfurt, eigentlich mit TANKARD‘s Gerre hätte performt werden müssen. Oder? Schade drum. Toll war es trotzdem. Und das sage ich als jemand, der im mehr oder weniger jugendlichen Leichtsinn DESTRUCTION nie ernst genommen hat, wenn sie zum Beispiel vor MOTÖRHEAD spielten. Ich bereue. Und genieße. Solltet Ihr das nächste Mal auch tun.
Links: https://www.facebook.com/evilinvaders, https://myspace.com/evilinvadersthrash, http://www.reverbnation.com/evilinvaders, http://www.lastfm.de/music/Evil+Invaders, https://fi-fi.facebook.com/lostsocietyfinland, https://myspace.com/lostsocietyfinland, http://www.lastfm.de/music/Lost+Society, http://www.destruction.de/, https://myspace.com/destruction, http://www.lastfm.de/music/Destruction
Text, Fotos & Clips: Micha
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