Brotfabrik, Frankfurt, 6.11.2018
Die Lage ist ernst. Hugo Race (rechts) und Chris Eckman sind Musiker sowie Weltreisende mit unterschiedlichen Wurzeln: Der eine, Eckman, ehemaliger Arbeiter in einer Fischfabrik in Alaska, stand ab 1984 mit Pausen 21 Jahre lang den WALKABOUTS vor, einer originären Band zwischen Folk und Rock, Alt-Country und sogenanntem Americana sowie der einzigen Nicht-Grunge-Combo auf Sub-Pop. Aktuell lebt er in Slowenien, betreibt ein Studio und bekommt dort hautnah die Fluchtbewegungen aus Kriegsgebieten mit. Der andere, Race, Gründungsmitglied von NICK CAVE & THE BAD SEEDS, Musiker verschiedener aktiver Gruppen wie HUGO RACE FATALISTS, HUGO RACE & THE TRUE SPIRIT oder eben DIRTMUSIC, lebt nach Jahren in Europa nun wieder in seiner Heimat Australien und ist, gelinde gesagt, wenig glücklich über die Art, wie dort mit Geflüchteten umgegangen wird.
Beide sind Gitarristen mit eigenem Sound, manchmal expressiv, immer jedoch songdienlich. Trotz jahrzehntelanger Erfahrung und der Fähigkeit, live magische Momente zu kreieren, kann man sie nicht als klassische „Rampensäue“ bezeichnen. Was folgerichtig ist, wenn man sich einem Konzept unterordnet. Was aber auch etwas schade ist.
DIRTMUSIC starteten 2007 als Trio, damals mit dem CODEINE-Drummer Chris Brokaw. Der ist inzwischen raus. Ebenso prägten die Jungs der Tuareg-Band TAMIKREST aus Mali den Sound des zweiten DIRTMUSIC-Albums, man ging gemeinsam auf Tour und Eckman produzierte die Platten der Formation. 2018 besuchten beide die im Frankfurter Stadtteil Hausen gelegene Brotfabrik, leider nicht mehr gemeinsam.
Nach drei Werken mit afrikanischem Schwerpunkt wurde der aktuelle Dreher in Istanbul aufgenommen. Fest zur Band gehört jetzt der Saz-Spieler Murat Ertel (rechts), der auch bei BABA ZULA musiziert – einer orientalischen Psychedelic-Band, die durch Fatih Akins Film „Crossing The Bridge“ im Westen bekannter wurde und auch schon öfter bei uns tourte. BABA ZULA haben ebenfalls keinen Anlass zur guten Laune bei dem, was in der Türkei gerade so passiert – ihre letzte Platte zum zwanzigjährigen Jubiläum durfte ebenda nicht erscheinen. „80 Prozent unserer Songs (stehen) auf dem Index der staatlichen Medien“ führt Ertel hier im Deutschlandfunk aus. Das Album wurde daher auf Glitterbeat veröffentlicht – dem deutschen Label, das auch DIRTMUSIC unter die Interessierten bringt.
Offizielle Bilder der neuen DIRTMUSIC-Besetzung zeigen nur drei Mitglieder. Live sind es indes vier bis fünf. Der Schlagzeuger wird in den Berichten nicht erwähnt, vielleicht zählt er nicht zum offiziellen Line-Up. Aber im östlicheren Europa ist der Mann, der auch noch etliche andere Instrumente zu spielen in der Lage ist, eine Institution: Milan Cimfe (links). Seine Diskographie umfasst hunderte Tonträger, fast alle von und mit tschechischen Künstlern, aber auch mit den Mitgliedern von LIVING COLOUR, Solosachen von Chris Eckman oder Aufnahmen der Berliner Noir-Chanteuse Andrea Schröder.
Immerhin durfte sich Cimfe am Ende des gestrigen Konzerts mit den anderen drei Herren verbeugen. Das war der Dame, die bei Facebook Esma genannt wird und eventuell wie Murat ebenso Ertel heißt (sicher bin ich da nicht, eine Esma Ertel existiert jedenfalls) nicht vergönnt – ihre beiden gestrigen Performances blieben von den Herren unerwähnt, sie verfolgte den Schlussapplaus aus dem Publikum heraus. Eines der kleinen Dinge, die diesen Männerabend zu einem insgesamt weniger beeindruckenden machten, um dem Resümee an dieser Stelle mal vorzugreifen.
Dabei gab es musikalisch überhaupt nichts zu meckern. Das aktuelle Album „Bu Bir Ruya“ („Das ist ein Traum“) ist großartig wegen des so selten gehörten Gitarrenrocks mit Einflüssen orientalischer Musik sowie von Funk, Wave und Blues. Musik, die darüber hinaus ein soziales Anliegen formuliert, was ja auch nicht verkehrt ist in solch finsteren Zeiten (mehr dazu in einer famosen Plattenkritik auf laut.de hier). Doch der Abend verlief teilweise arg uninspiriert, meiner Meinung nach.
Bis kurz vor Beginn um 20.15 Uhr sah es noch so aus, als würden wieder mal nur 20 Menschen aufschlagen, was angesichts vergangener Brotfabrik-Events der gestrigen Künstler, auch in anderen Zusammensetzungen, schon merkwürdig erschien: 2012 beim letzten Gig der WALKABOUTS zum Beispiel platzte der Laden fast. Am Ende waren es doch ein paar Besucher mehr, aber nicht wirklich viele. In knapp 85 Minuten inklusive einer Zugabe wurde das aktuelle Werk in veränderter Song-Reihenfolge komplett durchgespielt, plus dreier weiterer Stücke. Esma intonierte zwei Tracks, im orientalischen Gewand um die Herren tänzelnd. Wenn ich mich nicht täusche waren das die, die auf dem Tonträger von Brenna Mac Crimmon intoniert werden, einer kanadischen Folk-Sängerin, die als Expertin für türkische Folklore gilt und ebenfalls in Akins Film zu bestaunen war.
Der Zeitungskollege von der Frankfurter Neuen Presse attestierte dem Abend ein „hohes Niveau“ und ich will und kann ihm dabei nicht widersprechen. Der einzige Akteur, der bei diesem Niveau jedoch auf den Brettern Spaß zu haben schien, war Murat Ertel. Der Rest versah Dienst nach Vorschrift, völlig unspontan und nur mit allernötigster Kommunikation dem Publikum gegenüber. Vor allem Eckman wirkte, als hätte er einen Stock verschluckt und wäre in Wirklichkeit lieber woanders. Aber was weiß ich schon. Die Lage ist eben ernst. Ein bisschen Spaß dabei zu haben halte ich trotzdem nicht für verkehrt. In Erinnerung bleibt ein Gig mit guter Musik, welche allerdings auf eine Art und Weise dargeboten wurde, die weder Lust machte das Quartett/Quintett (oder doch nur Trio) nochmal zu erleben, noch Tonträger von ihm zu erwerben. Zumindest letzteres wäre aber ein arges Versäumnis.
Links: https://www.facebook.com/dirtmusicband, https://dirt-music.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Dirtmusic, https://www.chriseckman.net/, http://www.hugoracemusic.com/, https://www.babazula.com/
Text, Fotos & Clip: Micha
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