Stadthalle, Offenbach, 5.02.2017
„Wer geht mit zu den DROPKICK MURPHYS?“ Eine einfache Frage, die leicht zu beantworten sein sollte. Jeder, der schon mal einen Auftritt der Celtic-Punks aus Boston gesehen hat, wird darauf in der Regel mit „Ich!“ antworten – außer derjenige ist krank, taub oder zähneknirschend anderweitig verpflichtet. Wer sie noch nicht erlebt hat weiß eigentlich, dass er/sie das schleunigst nachholen sollte, bevor die Band auf der nächsten Tour in noch größeren Venues spielt – auch diesmal war der Laden nämlich ausverkauft, und wer mal auf dem Klo war, der kam nicht mehr ohne weiteres zu seinem Platz zurück. Offenbacher Stadthallen-Tradition. Doch nur latent bösartige Menschen begründen ihr Nichterscheinen mit der Tatsache, dass die DROPKICK MURPHYS einen Song im Repertoire haben, der auch von den mit Abstand uncoolsten Gestalten der populären Musik gespielt wird: „The Wild Rover“ – Volkslied mit diversen Entstehungsmythen seit Anfang des 19. Jahrhunderts und bereits dargebracht von den DUBLINERS, den POQUES und sogar den STIFF LITTLE FINGERS – welcher in Sinn entstellter, deutscher Version von KLAUS & KLAUS intoniert wurde. Bei denen heißt er „An der Nordseeküste“. Klapp klapp klapp klapp.
Wobei die See allgegenwärtig war beim knapp 40-minütigen Auftritt des ersten Supports, SKINNY LISTER aus London. 2009 gegründet und seit 2013 mit Schlagzeuger, zelebrieren sie Sea Shantys mit Punk. Nicht so meine Domäne, aber gut. Die Youngster starteten mit hohem Energielevel. Lorna Thomas sprang fast den ganzen Gig über herum, inklusive Ausflügen in das noch luftige Auditorium und Walzertanz mit einem hingerissenen Besucher. „So eine Süße“ schwärmte dieser verzückt. Ebenso gut kam an, dass die Band einen riesigen Krug herumgehen ließ, in dem irgendein Gebräu war – in Hochzeiten der aktuellen Grippewelle eine eher suboptimale Idee, allerdings mit hohem Symbolwert. Einem Glücklichen, der das Ding wohl mit nach Hause nehmen wollte, wurde das Teil später rüde von einem Ordner aus der Hand gerissen. Die Gesundheit der Gäste stand eben an erster Stelle am gestrigen Abend.
Jung, sympathisch und mit jeder Menge Dampf – was bereits im Vorprogramm von Frank Turner funktionierte tat es auch bei dieser Generation von Konzertgängern. Zumindest bei denen, die nicht mittels kleiner und überteuerter Guinness-Dosen am Rand der Halle vorglühten. Nach dem Umbau war Schluss mit lustig, denn SLAPSHOT kamen und machten erstmal klar, was die Anwesenden zu erwarten hatten: Boston-Hardcore für Erwachsene. Kindergeburtstag war vorbei.
Frontmann Jack Kelly schritt zu Beginn erstmal die Bühne ab und warf Blicke ins Publikum, wie um zu checken, ob dieser Haufen überhaupt würdig sei, von ihm bespielt zu werden. Ein anerkennendes Nicken hier und dort, aber kein Anbiedern: „You’re no Friend of Mine“ folgte als Erstes, eine Ansage. Auch Gitarrist Graig Silverman, gefühlt eben gerade noch mit AGNOSTIC FRONT auf der Bühne des Wiesbadener Schlachthofs, strahlte nicht gerade den Wunsch aus, nach der Show noch eine Tasse Tee trinken zu wollen. Näheres zu diesen Herren gab Kollege Marcus unlängst hier zum Besten, in meiner Welt war das der eigentliche Konzertauftakt.
In ihren 40 Minuten zelebrierte das Quartett mit dem neuem Drummer Corey Koniz (laut Facebook ein alter Kumpel Kellys, über den ich im Netz rein gar nichts fand) deftigen Hardcore mit lustigem Metal-Medley (zitiert wurden u. a. Ted Nugent, SLAYER, VAN HALEN und AC/DC) und wohl ebenso spaßigem DROPKICK MURPHYS-Cover, bei dem sich die Herren alle um ein Mikro scharten und a capella vortrugen, was ich von meinem Standort aber eher erahnte als wirklich mitbekam.
Inzwischen war der Platz vor der Bühne komplett dicht. Durch kam man höchstens im Schlepptau eines Zwei-Meter-Riesen, vorzugsweise mit tätowierter Glatze – dann teilte sich die Menschenmenge auf einmal wie einst das Meer vor Moses. Weniger beeindruckende Gestalten hatten keine Chance mehr. Die Türen zum seitlichen Versorgungsarm wurden nach und nach alle geöffnet. Dies geschah aber nicht etwa, um bessere Luft hinein zu lassen, sondern damit man auch vom Tresen aus etwas sehen konnte. Denn viel näher als dort kam man nicht. Wer einen Platz weiter vorne hatte war gut beraten zu bleiben.
Als sich der Beginn des MURPHY-Sets anbahnte und SHAM 69 die Einheit der Subkulturen vom Band predigten, rasteten schon die ersten vor der Bühne aus und wurden von den Ordnern hinausgezerrt. „Das gibt Krieg“ murmelte ein Fotograf, der schon in Düsseldorf dabei war und wusste, dass zuerst ein Instrumental gegeben werden würde („The Lonesome Boatman“ von der aktuellen Scheibe „11 Short Stories of Pain & Glory“). Sehr stimmungsvoller Beginn, der zum Warmgrölen einlud, ohne Worte formulieren zu müssen. „Rebels With a Cause“ folgte postwendend, wie auch auf dem Album. Mit dem dritten Song wurde bereits der erste Klassiker ausgepackt, an dem die MURPHYS-Geschichte inzwischen nicht arm ist: „The State of Massachusetts“, ein Lied, das alles vereint, was an ihnen so geil ist: Flöten, Mandolinen, Chants und Härte, dabei eine gute Story und mitreißende Dynamik.
Die Setlist variierte auf dieser Tour leicht – überall dabei war aber wirklich „The Wild Rover“, klapp klapp klapp klapp. Hätte ich nicht wirklich gebraucht. Auch, dass „You’ll Never Walk Alone“ nach Versionen von u. a. GERRY AND THE PACEMAKERS, THE ADICTS, Tom Jones, Elvis Presley oder den RYKER’S noch zum MURPHYS-Song wurde, ist aus Musikfan-Sicht eher verzichtbar. Dass es bei den europäischen Fußballfans deswegen sogar Ärger geben könnte, war auch Sänger Al Barr bewusst, als er im Ox 1/2017 sagte, die MURPHYS wollen nicht „Eure neue Fußball-Band sein, sondern haben eine völlig andere Intention“. Das Stück, original aus dem Musical „Carousel“ von Rodgers & Hammerstein, hat mit dem Verlust eines geliebten Menschen zu tun – und so wird es ja auch oft beim Fußball eingesetzt (Trauerfeier für Robert Enke, z. B.).
Aber das ist ja das Interessante an DROPKICK MURPHYS-Konzerten: Hier feiern alle zusammen. Rocker, Punks, Skins, Normalos. Linke. Und Nazis. Auch das ist Al Barr im gleichen Interview bewusst und verwundert ein wenig, bietet die Band doch aufgrund ihrer Texte und Aktivitäten keine Identifikation für die Rechten an. Aber eben viele Sympathien für alle Arten von Underdogs, weswegen sich die verschiedenen Strömungen bei den Konzerten zwar in wilden Feiern oft verletzen, aber eben nicht aus ideologischen Gründen an den Kragen gehen. „Johnny I Hardly Knew Ya“ haben sich die MURPHYS längst ebenso zu eigen gemacht und in Offenbach intoniert – der Anti-Kriegs-Song tauchte 1867 erstmals auf, unzählige Folk-Bands haben ihn im Repertoire, oft als „Drums & Guns“. Blieb da noch viel Platz für Eigenes? Zu wenig. Die neue Platte wurde relativ großzügig eingesetzt (mindestens sechs Stücke) – dazu der Überknaller, der erst durch den Scorsese-Film „Departed“ einer wurde („Shipping up to Boston“), „The Boys are Back“ natürlich in der Zugabe, „Rose Tattoo“ vom vorletzten Album, durch Bruce Springsteens Beteiligung auf der „Boston Charity“-EP ein Riesen-YouTube-Hit.
90 Minuten, eher überraschungsfrei das Ganze, und doch ziemlich geil. Am Ende viel Konfetti-Beschuss und ein Teil der Anwesenden feierte mit den Musikern auf der Bühne. Funktionierte alles prächtig, egal ob mit oder ohne Guinness-Verstärkung. Ende des Jahres kommt ein weiteres Album. Mal sehen, wo die MURPHYS dieses dann in Rhein/Main bespielen. Ich tippe auf die Frankfurter Jahrhunderthalle.
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Text, Fotos (29) & Clips (2): Micha / Fotos (16): Kai
Clip (unten): aufgenommen von Njrd1990
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