Schlachthof, Wiesbaden, 7.08.2014
Am Anfang war das BURZUM-Shirt. Ich erfreute mich gerade an einer der großartigen Pizzen im 60/40 (der Kneipe neben dem Wiesbadener Schlachthof) und wunderte mich darüber, dass da draußen dieser laute Mensch hockte und seine Biere trank, während er ein Shirt von einer der berühmtesten Arschloch-Kapellen dieses Planeten trug. Der Band um Varg Vikernes (andere Mitglieder gibt es nicht, nicht unüblich im Black Metal) – ein verurteilter Mörder, homophober Rassist und Sympathisant der Methoden von Anders Breivik. Auch, wie die gestern aufspielenden EARTH, ein Ambientmusiker (allerdings ein ziemlicher mieser, habe ich gelesen); ansonsten aber in erster Linie ein widerlicher Dreckskerl.
Als etwa eine Stunde später in die Räucherkammer eingelassen wurde, stellte ich mit Genugtuung fest, dass von Seiten der Schlachthof-Mitarbeiter in Bezug auf ihr Hausrecht darauf gepocht wurde, dass der Typ sein T-Shirt auszog und wendete oder nach Hause fuhr. Unter Fluchen machte er ersteres und ich war beruhigt; das hätte zum auf der Bühne hängenden „Gegen Nazis“-Banner auch schlecht gepasst, sonst. Dass der Shirt-Träger ein Vollpfosten bleibt, lässt sich aber wohl leider auf diese Weise nicht ändern. Wahrscheinlich hatte er ein paar Kilometer hinter sich gebracht, um anwesend zu sein; er war nicht der Einzige. Sauerland, Münster, Köln, Siegen… so einiges konnte man aufschnappen während der Gespräche der Gäste, ihre Herkunft betreffend. EARTH, obwohl auch schon vergangenes Jahr in der Räucherkammer aufgetreten, sind wohl nicht so oft zu bestaunen; und sie sind in gewissen Kreisen legendär.
Musikalisch: Die Band um das einzige konstante Mitglied Dylan Carlson (links) gilt als Erfinder des sogenannten „Drone Doom“ – Carlson begeistert(e) sich für klassische Heavyrock- und Metal-Bands wie RAINBOW, DIO oder VENOM (wenn man nur mal die Badges las, die er auf seiner Kutte trug); gleichermaßen aber für avantgardistische Erneuerer wie La Monte Young oder Terry Riley (was sich auch in Kollaborationen mit anderen Grenzgängern wie SUNN O))) oder BORIS zeigt) und verknüpft diese als harte, aber meditative Gitarrenlautmalereien, die bei aller Brachialität durchaus gemächlich und entspannt daherkommen. So gesehen stehen EARTH durchaus in der Tradition des Krautrocks, allerdings, ungleich vieler deutscher Musiker der späten 60er Jahre, ebenso der amerikanischen Rock’n’Roll- und Bluestradition verpflichtet. Ein Grenzüberschreiter, mir ob dieser Tatsache erst mal grundsympathisch.
Persönlich: Der aus Seattle stammende Carlson war mit Kurt Cobain befreundet; selbiger soll auch auf der Debüt-EP „Extra-Capsular Extraction“ zu hören sein. Die Schrotflinte, mit der sich Cobain die Lampen ausblies, war eine Leihgabe von Carlson. Seitdem ist sein Name auch in Kreisen bekannt, die mit seiner Musik sonst nicht so viel am Hut haben. Die 1989 gegründete Band verschliss im Lauf der Jahre bereits viele Musiker, obwohl Carlson die Combo eindeutig als eine solche definiert und deswegen noch diverse Soloprojekte am Laufen hat (in denen er sich anderen musikalischen Leidenschaften wie z. B. seiner Liebe zum britischen Folk á la FAIRPORT CONVENTION oder den UNTHANKS widmet). Seit einigen Jahren dabei ist seine Freundin Adrienne Davies am Schlagzeug; am Bass auf dieser Tour Don McGreevy von den genialen MASTER MUSICIANS OF BUKKAKE.
Als das Trio kurz nach 21 Uhr die Bühne betrat, standen die Fans erwartungsvoll vor dem Podest. Carlson gestattete das Fotografieren ausdrücklich – bat aber darum, ihn von Blitzen zu verschonen, seiner Gesundheit wegen. Kurioserweise wurde sich an den Wunsch gehalten; zumindest, solange ich vorne stand. Gespielt wurden ein paar Klassiker, die ich nicht kenne, das Fachpublikum aber anerkennend jubeln ließen, sowie ein paar Stücke von dem neuen, im September erscheinenden Tonträger.
Es war interessant zu beobachten, wie sich die drei in die Darbietung reinknieten; wie Davies weit ausholte, um einen Schlag auf ihre Drums zu dreschen, während der andere Arm langsam nach oben ragte um den nächsten Schlag zu versetzen, gefühlte achteinhalb Minuten später. In diesem Moment fing bei mir die Krux bei der Wahrnehmung dieses Events an: Das war ja alles gut und schön, klang geil; aber wäre das im heimischen Wohnzimmer nicht viel erlesener? Oder mit einer Tüte im Gras, bei geschlossenen Augen? Oder anders: Kann einem die Musik gefallen bei einem Konzert, das einen hoffnungslos anödet? Nennt mich Kretin, aber so ging es mir. Seht Euch mal den Clip an: Aufgenommen knapp sieben Minuten nach Beginn des Songs, wurschtelt das Trio stoisch weiter auf ihren Instrumenten, ohne dass das auffallen würde. Mehr noch: Spult mal fünf Minuten vor: Ihr werdet an einer Stelle landen, die exakt so klingt wie die vor der Spulung. Oder drei Minuten. Oder sieben. Scheißegal.
Während ich da so rumstand, alters- und gewichtsbedingt Schmerzen erlitt und mich nach der heimischen Couch sehnte, dachte ich mir nach ein paar Fotos, dass man das auch prima von der Bank aus draußen hören konnte. Tat ich dann auch. Bei PRONG eine Woche vorher war mir das aber nicht passiert, auch nicht bei den meisten anderen Konzerten in der Räucherkammer; nicht mal bei den konzeptionell ähnlich aufgestellten WOLVES IN THE THRONE ROOM. Naja. Die Musik ist trotzdem groß, das brauche ich aber nicht in einem Club, der 90 Fahrminuten von meinem Bett entfernt liegt während einer anstrengenden Arbeitswoche – ich hoffe, Ihr versteht das. Mein Live- Event bestand (neben dem Schließen einer Wissenslücke wie EARTH) aber vor allem aus dem Genuss der aus Saarbrücken stammenden Vorband PRETTY LIGHTNING. Die waren zwar schon mit meinen Rhein/Main-Faves OKTA LOGUE im Schlachthof zugange, aber bisher noch nie auf meinem Radar. Das Duo sieht sich in der Tradition von Blues-Duos wie den WHITE STRIPES oder den BLACK KEYS, klingt aber völlig anders als beide zugunsten einer BYRDS-affinen Verhuschtheit, die nicht nur mir sehr zusagte, sondern auch dem grölenden BURZUM-Fan. Psych-Blues at its best mit teilweise selbst gebautem Instrumentarium, würden sehr gut in die Sky High-Reihe im Frankfurter Club Das Bett passen, wenn man mich fragt. Sie spielen in Kürze noch mal in Mainz und hoffentlich bald wieder in unseren Breiten, es wäre mir ein Vergnügen.
Links: http://www.thronesanddominions.com/, https://myspace.com/earthofficial, http://www.lastfm.de/music/Earth, https://www.facebook.com/thronesanddominions, http://prettylightning.com/, https://myspace.com/prettyprettylightning, http://www.lastfm.de/music/Pretty+Lightning, https://www.facebook.com/prettylightning
Text, Fotos & Clip: Micha
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