Batschkapp, Frankfurt, 6.11.2017
Ich mag Folk. Ich mag Metal. Mag ich deswegen auch Folk-Metal? Manchmal ja, manchmal nein. Als vor einigen Jahren noch unter den Bannern des Pagan- oder Heidenfestes halbjährlich mittlere bis größere Hallen bespaßt wurden, in denen Packages von mindestens fünf Bands, die sich grob darunter einsortieren lassen, geschnürt wurden, begab ich mich wegen Acts wie PRIMORDIAL oder SÓLSTAFIR gern dorthin. Kapellen wie HEIDEVOLK und EQUILIBRIUM waren halt auch da und machten mehr Menschen Spaß als meine Favoriten, aber so hatte jeder eben Zeit, Bier zu holen oder im Plattenregal zu wühlen. Irgendwann starben diese Feste für eine Weile aus – zu oft sah man immer die gleichen Combos, grölte „Vodka“ oder „Beer! Beer!“ (KORPIKLAANI) und dann setzte mal der Kater ein. Die Tour-Rhythmen wurden größer oder die Bands reisten ohne diese Banner.
Warum ich das hier schreibe? Nun, auf einem dieser Festivals, 2012 in Gießen, sah ich das erste und bisher einzige Mal ELUVEITIE aus der Schweiz. Als Headliner. Nach PRIMORDIAL. Und die beeindruckten mich wirklich mit ihrer Synthese aus Metal und Folk – das machte Freunden stramm gespielter Violinen ebenso viel Spaß wie Verehrern der harten Riffs. Ohne diese ausgelassene Albernheit, die man bei anderen Formationen hören konnte, aber trotzdem mit jeder Menge Ekstase dargebracht. Ich bin ja sowieso der Meinung, dass Metal-Freaks zum Beispiel mit Bluegrass von Bill Monroe oder schottischem High Speed Folk wie von Seth Lakeman (der übrigens auch zur aktuellen Tourband von Robert Plant gehört) etwas anfangen können sollten, aber das nur am Rande.
ELUVEITIE diesmal also ohne heidnische Unterstützer als Headliner in der Frankfurter Batschkapp, begleitet von zwei Bands, die ich bisher gar nicht bis kaum auf dem Schirm hatte. Also raus aus der musikalischen Komfortzone und rein ins Vergnügen.
Überhaupt kein Stück kannte ich von THE CHARM THE FURY aus den Niederlanden, die pünktlich um 18.45 Uhr begannen und knapp eine halbe Stunde Spielzeit hatten. Einen Tag vorher gab ich der Truppe aus Amsterdam via Streaming-Dienst eine Chance und war, für mich selber überraschend, äußerst entzückt – so etwas wie Metalcore habe ich ja so gut wie nie auf der Menükarte. In diesem Fall mundete es aber tatsächlich, geht es auf ihrem aktuellen Album „The Sick, Dumb and Happy“ doch nicht nur brachial, sondern auch recht groovy zu Gange.
Ziemlich beeindruckend auch, dass Frontfrau Caroline Westendorp den genretypischen Wechsel von Klargesang zum Todesröcheln stramm schultert, andere Formationen brauchen dafür bis zu (Achtung: Spoiler) drei Vokalisten. Mit fetten Sätzen voller derber Riffs schien es nicht ausgeschlossen, dass THE CHARM THE FURY vielleicht sogar die geilste Band des Abends hätten werden können. Dafür war die Spielzeit aber dann doch zu kurz, leider. Dass die Gottväter SLAYER ausgiebig angespielt wurden erwärmte dann spätestens das letzte kalte Herz der Metaller um die 50, die gestern ebenso anwesend waren wie 30 Jahre jüngere Szenegänger. Chapeau.
Doch zu welcher Szene gehören eigentlich AMARANTHE aus Schweden, bzw. Dänemark? Der Sound dieser Formation speist sich aus dem solcher Schwedenhappen wie DARK TRANQUILLITY (also sowieso schon ziemlich kommerziellem Rock mit Death Metal-Spuren), Powermetal und lupenreinen Pop-Acts mit E-Gitarren – 90er-Style. Laut Wikipedia sowas wie ROXETTE – mir fällt als Einfluss eher die (ebenfalls schwedische) ARMY OF LOVERS ein. Ein bisschen was vom Rhein/Main-Sound á la SNAP oder CULTURE BEAT meine ich auch rauszuhören. Und von den letzten drei Projekten mag ich so einiges, wenn ich in der richtigen Stimmung bin.
Ein AMARANTHE-Album durchzuhören gelang mir im Vorfeld leider nicht, ohne dem flüssigen Vorverstärker maximal zu frönen. Aber dann, hey, gar nicht übel. Allerdings kein Vergleich zu den, in beide Richtungen weit extremer und geiler agierenden SEMARGL aus der Ukraine. AMARANTHE sind die mit den drei Vokalisten: zum einen der kumpelhafte Death Metal-Growler, dann ein haareschön habender Beau mit Powermetal-Organ und die majestätische Lady Elize Ryd, deren Domina-Outfit mit kik-Flair im starken Kontrast stand zu ihrer herzlichen Ausstrahlung und ihrer gewaltigen Sopranstimme.
Ja, das war künstlerisch grenzwertig, was hier präsentiert wurde, nichtsdestotrotz aber partytauglicher und positiver als die musikalischen Sauforgien beim Paganfest. Vor allem der Death Metal-Bär kuschelte sich ständig an seine Mitstreiter. Sein Sangeskollege revanchierte sich schließlich mit einem missglückten Sprung auf seinen breiten Rücken – dass dabei niemand ins Schlagzeug fiel und stattdessen fröhlich weiter musiziert wurde hatte eine Menge mit Glück zu tun.
In der Selbstbeschreibung auf ihrer Homepage bezeichnen sich AMARANTHE als „next step in the evolution of metal“. Das wird hoffentlich niemals der Fall sein. Der dominierende Synthie-Sound (der wohl vom Band kam, ich wüsste zumindest nicht, wer den auf der Bühne verzapft haben könnte) ist ab dem sechsten Bier ja ganz nett und die Stimmung war konkurrenzlos ausgelassen und fröhlich – aber lasst die Kirche im Dorf, Herrschaften. Das als Zugabe gespielte „Boomerang“ z. B. ist so metal wie eine Tafel Schokolade. Trotzdem waren das kurzweilige 75 Minuten, Kindergeburtstag hat ja auch mal was.
Fast hätte man übrigens auf „Boomerang“ sowie drei weitere Stücke verzichten müssen – der erwartete Applaus nach dem regulären Gig setzte spät, fast zu spät ein. Zuckerschock? Irgendwann tobte die Menge aber, gerade noch rechtzeitig. Nun wars aber erstmal gut mit der Hüpferei, ab jetzt wurde ernsthaft gefeiert.
ELUVEITIE veröffentlichten unlängst zum zweiten Mal ein akustisches Album mit neuen Kompositionen in gallisch und auf traditionellen Instrumenten. Was das für einen recherchemäßigen Kraftaufwand darstellt, verdeutlicht Bandboss Chrigel Glanzmann in einem lesenswerten Interview (hier). Den meisten Fans dürfte so etwas egal sein: Hauptsache, es knallt. Akustische Tracks ließen auch eine Weile auf sich warten, gestartet wurde metallisch mit „Your Gaulish War“ vom Debüt „Spirit“ (2006).
E-Gitarren, Flöten, Schlagzeug, Mandoline, Geige… Was bei den DROPKICK MURPHYS im Punk funktioniert, tut es hier auch im Metal. Nach ein paar Stücken dann die Ansage, dass nun ein paar akustische Nummern kämen und ob das okay wäre – war es natürlich, vor allem, wenn die kein Stück weniger tanzbar sind als die vorher gespielten elektrischen.
Was in diesem Zusammenhang „tanzbar“ bedeutet, zeigte ein weit hinten stehender, blonder Hüne bewegungs-technisch vortrefflich: Während bei AMARANTHE vorher uniform nach oben gehüpft wurde (auch gesund), konnte der Mann seine Füße einfach nicht stillhalten und wirkte mit seinen Bewegungen so, als würde er den Boden mit seinen Füßen nicht mehr berühren. Leicht, flockig – aber alles andere als einfach. Eine kleine Privatnummer von „Lord of the Dance“, sehr schön anzusehen und ansteckend, soweit möglich.
Der musikalische Rundumschlag über sieben Alben, der knapp 90 Minuten andauerte und vortrefflich die neuen Bandmitglieder in Szene setzte (jüngst verließen drei Musikanten die Formation, um die aktuell mit LACUNA COIL tourenden CELLAR DARLING zu gründen), war auch ohne Alkohol großes Gallier-Kino und beschloss einen interessanten bis hochwertigen Abend, der Metal in verschiedenen Ausrichtungen präsentierte und unterm Strich spannender war als ein Abend voller Gleichschaltereien. Was mir zwei Tage später bei AIRBOURNE an gleicher Stelle zwar auch Spaß machte, insgesamt aber weit weniger Spuren hinterließ als dieses Event. Danke dafür.
Links: https://www.thecharmthefury.com/, https://www.facebook.com/thecharmthefury, https://www.reverbnation.com/thecharmthefury, https://www.last.fm/de/music/The+Charm+The+Fury, http://amaranthe.se/, https://www.facebook.com/AmarantheBand/, https://www.reverbnation.com/amaranthe, https://www.last.fm/de/music/Amaranthe, http://eluveitie.ch/, https://www.facebook.com/eluveitie/, https://www.reverbnation.com/eluveitie, https://www.last.fm/de/music/Eluveitie
Text, Fotos & Clips: Micha
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