EMILIE AUTUMN

Schlachthof, Wiesbaden, 10.09.2013

Wo war ich hier bloß rein geraten? Also was Livemusik angeht, darf es für mich schon gerne mal etwas sein, was nicht ständig auf meinem Plattenteller läuft. Da lasse ich mich in Regionen mitnehmen, die ich sonst nie oder kaum beackere. Leidenschaftlich dargebrachte Live-Musik hat schon oft mein Interesse geweckt an Genres, die ich vorher noch nicht oder wenig kannte. Der Live- Faktor ist dabei aber entscheidend – es muss also Raum für Fehler und Improvisation da sein, sonst kann ich mir zu Hause auch eine DVD einlegen. Deswegen ist der Besuch von Theaterveranstaltungen oder gar Musicals für mich, höflich ausgedrückt, eher von minderem Interesse.

Als ich erstmals über Emilie Autumn stolperte, fiel mir ihr originelles Äußeres auf. So, las ich, die spielt also (anscheinend ziemlich amtlich) Geige und verwurschtelt das als viktorianisch angehauchten Industrial-Goth-Pop-Metal? Muss ich mir mal anhören. Immerhin war zu beobachten, dass Fanbase, Medienrezeption und die Größe der mir bekannten Hallen kontinuierlich anstieg; und nichts ärgert mich mehr, als wenn ich eine Band entdecke, die ich mag und ein Kumpel oder Kollege dann sagt „Kenn‘ ich. Die waren schon geil im Nachtleben, damals!“ wie im Falle von Combos wie RAMMSTEIN oder FRANZ FERDINAND geschehen.

Nun konnte ich Emilie Autumn lange nicht hören – im meinem Bekanntenkreis herrscht andere Musik, und die gerade von mir entdeckten Streaming-Dienste hatten von ihr nichts bis kaum was, die Ausnahme war „Dead Is The New Alive“

von einem „Saw“- Soundtrack. Das war witzig und nett. Dann fand ich nach und nach mehr – spätestens als ich das Album „Opheliac“ hörte hatte sie mich, die Dame. Besonders ihre Version des 1932 geschriebenen „Gloomy Sunday“, jahrelang auf dem Index wegen seiner suizidfördenden Wirkung, hatte es mir angetan. Geige, Cembalo, dazwischen oft eruptive Soundeskapaden, nicht übel, würde ich gerne mal live sehen/hören.

Dann stehe ich vor der Bühne des Wiesbadener Schlachthofs. Es ist kurz vor acht und Schlager des frühen 20sten Jahrhunderts fangen an mir auf die Nerven zu gehen – und nur ein Cembalo steht im Eck. In der Bühnenmitte ein riesiges, teilweise vergittertes Podest zum Draufklettern. Und dann kommen Emilie und ihre zwei Gespielinnen. Mit Headphones. Keine Musikanten. Ach, Du Scheiße.

Mir fällt ein, wie der von mir sehr geschätzte Jens Balzer im Rolling Stone abgekotzt hat, als er bei der Liveumsetzung des großartigen letzten Albums von THE KNIFE ein absurdes, playbackverseuchtes Pseudokunstschauspiel ertragen musste, welches nichts mit Live-Musik zu tun hatte. Sollte mir das heute etwa auch passieren?

Das Studium der Setlists der Tour wies schon im Vorfeld darauf hin, dass jeden Abend dasselbe gegeben wird, nämlich das Konzeptalbum „Fight Like A Girl“ (schräges, aber cooles Mädel kommt in die Klapse und wird da „resozialisiert“, bzw. zerstört, kurz zusammengefasst). Soviel zum Thema Improvisation. Seufz.

Die kam dann aber in geringen Dosen doch. Eine der beiden Mitstreiterinnen, die mich leicht an Jane Russell erinnernde Veronica Varlow, brachte ein Burlesque-Zwischenspiel mit anschließender Einladung, eine Dame im Publikum bezüglich gleichgeschlechtlicher Küsse zu deflorieren.

Das scheint ein wiederkehrender Teil der E.A.-Shows zu sein – zahllose Arme wanderten gen Hallendach. Den Zuschlag erhielt eine Lady mit Schild. Keine Ahnung, was drauf stand, aber es schien überzeugend zu sein. Besagte Lady

stellte eine Regelerweiterung zur Diskussion und bot sich als Biss- Opfer dar; und ich war schon leicht im Fremdschämmodus angelangt (obwohl das alles im Vergleich zum einstigen „goldenen Kondom“ bei ROCKBITCH ein Kindergeburtstag war). Zugegebenermaßen kam das aber bei den Besuchern alles sehr gut an – ein Publikum, das nicht wie von mir erwartet ausschließlich aus „Fight Like A Girl“-affinen Mädels bestand, sondern auch aus Männern in teilweise bereits recht fortgeschrittenem Alter. Männern, äh, wie mir.

Naja, da musste ich jetzt durch. War auch gar nicht so schwer, denn die Vorstellung insgesamt war schon toll gemacht. Sich so zu bewegen und dabei so zu singen muss man auch erst mal nachmachen; und auf der Platte

sind schon ein paar sehr geile Nummern wie „Take The Pill“, „Scavenger“ oder „One Foot in Front of the Other“, die alle gespielt wurden. Dafür nichts älteres, war wohl nicht showkompatibel.

Habe ich mich also unterhalten gefühlt? Unbedingt. Würde ich mir das wieder geben? Keinesfalls, einmal reicht. Höchstens auf DVD. Falls die Dame aber auch Live-Konzerte gibt, also mit spielenden Musikanten auf der Bühne, dann wäre ich wieder dabei.

Links: http://www.emilieautumn.com/, https://myspace.com/emilieautumn, http://www.lastfm.de/music/Emilie+Autumn

Text & Fotos: Micha
Clip: am Konzertabend aufgenommen von Dirk K.

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