EMMA RUTH RUNDLE & JAYE JAYLE

Zoom, Frankfurt, 7.12.2017

Emma Ruth RundleGibt es eigentlich noch Labelsammler? Also Leute, die sich alles von einer Plattenfirma besorgen, weil unter dessen Begriff mit Sicherheit eine famose Auswahl getroffen wurde? In Zeiten, in denen eh kaum jemand Platten kauft, wohl eine aussterbende Gattung. Sargent House wäre in meiner Welt jedoch eines, bei dem sich das lohnen würde. Dabei ist das kein Label, welches eine herausragende Auswahl in nur einem Genre präsentieren würde, wie z. B. Dischord oder Music For Nations, falls die noch jemand kennt. Nein, die Künstler bei Sargent House ähneln sich zuerst in der Attitüde, und dann vielleicht noch ein wenig im Sound. Da versammelt sich Postrock á la AND SO I WATCH YOU FROM AFAR oder RUSSIAN CIRCLES ebenso wie Hipster-Black Metal von DEAFHEAVEN oder Emma Ruth RundleSlomo-Rock von EARTH; Anarcho-Metal von MUTOID MAN wie Noir-Americana von WOVENHAND. Und ja, über fast alle dieser Bands konntet Ihr in diesem Blog schon was lesen, bis auf DEAFHEAVEN. Selber schuld, wenn die am gleichen Tag spielen wie IRON MAIDEN.

Und nun ratet, auf welchem Label Emma Ruth Rundle und ihr gestriger Support JAYE JAYLE veröffentlichen? Da habt ihr’s. Akustischer oder elektrischer Depro-Songwriter-Rock von ihr, von SUICIDE oder Nick Cave beeinflusster Noir-Twang von denen. Und die fingen pünktlich um 21 Uhr im Frankfurter Club Zoom an, mit einer Bühnen-Beleuchtung, die diese Bezeichnung nicht verdiente. Aber damit vortrefflich zur Musik passte.

JAYE JAYLE sind ein Quartett aus Louisville, Kentucky. Deren Sprachrohr Evan Patterson lärmte einst bei YOUNG WIDOWS (oder tut das noch), eine heftige Sludge-Combo mit schrägem Indie-Touch. Bei JAYE JAYLE zelebriert er mit seinen Mitstreitern Neal Argabright (kaum sichtbar) am Schlagzeug, Jaya JayleTodd Cook (ab Bart sichtbar) am Bass sowie Corey Smith an weiterer Trommel, weiterer Gitarre und an den Tasten (gar nicht sichtbar) einen düsteren, hypnotischen Sound, der Schwüle und Leidenschaft ausdrückt und so klingt, wie sich ein Roman von Joe R. Landsdale liest (obwohl die ausnahmslos alle in Texas spielen). Wie flimmernder Wüstenrock, nur eben nachts und unter dem Joch anderer Menschen. Iih, andere Menschen.

Jaya JayleEvan Patterson ist der Bruder von Ryan Patterson, bekannt durch die HC-Combo COLISEUM, die mit YOUNG WIDOWS mal eine Split veröffentlichte. Einen Tag vor dem Zoom-Gastspiel kam es im Karlsruher Jubez zum Familientreff, als Ryans Tour mit seiner Postpunk-Band FOTOCRIME die seines Bruders kreuzte. In Frankfurt musste man leider darauf verzichten. Evan machte bei uns zu Beginn etwas Konversation und berichtete, dass Kentucky auch ein Frankfort habe und dass man dorthin müsse, um seinen Führerschein zu beantragen, wenn ich das richtig verstanden habe. Patterson fand unser Frankfurt wohl aber viel schöner und bat die Anwesenden am Ende seiner Rede sowieso darum, alles Gesagte sofort zu vergessen. Gekicher im Raum. Gebrochen war das Eis, zumindest.

Jaya JayleIn den 45 Minuten ihres Vortrags boten JAYE JAYLE einen ziemlich dynamischen Düster-Trip, der mich etwas an die Frühwerke Nick Caves erinnerte. Wenn ich nicht irre, waren es der Opener und der Schluss ihres Albums „House Cricks and Other Excuses to Get Out“, die besonders begeisterten und eine Gitarrenwand boten, die ordentlich zum Headbangen ermunterte (was Bassist Cook auch ausgiebig tat). 45 Minuten erlesene Tonkunst, die Lust auf mehr machte.

Und darauf musste man gar nicht lange warten. 15 Minuten, um genau zu sein. Dann kam Emma Ruth Rundle, noch mit akustischer Gitarre, und die (gar nicht mal so zahlreich erschienenen) Gäste drängten alle nach vorne. So nah wie möglich zu dieser Frau, die sich textlich äußerst verletzlich zeigt und auf der Emma Ruth RundleBühne erstmal misstrauisch scheint. Dabei wirkt ihr langsamer, aber stetiger musikalischer Aufstieg wie ein Zeichen von enormem Selbstbewusstsein auf mich. Angefangen hat die Kalifornierin bei einer Band namens THE NOCTURNES – später trat sie den RED SPAROWES (eine Sargent House-Band) bei und gründete deren Ableger MARRIAGES (ebenso).

Folk und ausgedehnte Psychedelic gehen hier eine feine Synthese ein, ein bisschen wie die Paisley Underground-Bands der Achtziger, nur moderner und, vor allem, depressiver. 2014 erschien ihr großartiges Album „Some Heavy Ocean“, 2015 ein Werk mit Gitarren-Improvisationen und 2016 die viel gelobte Emma Ruth RundleScheibe „Marked For Death“. Rundle tourte mit Darkfolk-Diseuse Marissa Nadler, den Blackgaze-Champions ALCEST und WOVENHAND, vergangenes Jahr auch im Zoom (Bericht hier). Passt alles. Auch, wenn alle Beteiligten anders klingen.

Zwei Stücke performte Rundle nach einer kurzen Begrüßung („Hi. I’m Emma.“) mit der Akustischen, bis ¾ von JAYE JAYLE ihr auf das Podest folgten, mit etwas mehr Licht, diesmal. Dabei präsentierte sie auch einen neuen Track, den sie letztes Jahr auf Tour schrieb. Drummer Argabright war nun an den Tasten, Bassist Cook und Patterson blieben auf ihren Positionen. Am Schlagzeug saß Dylon Ndon.

Emma Ruth RundleSongs ihrer beiden Vokal-Alben wechselten sich ab. Obwohl mit jedem ihr Inneres nach Außen kehrend, spürte man deutlich, wie sie lockerer wurde, ihre Mitmusikanten auch mal anlächelte. Alle Anwesenden hingen an ihren Lippen, das Draufhalten mit dem Smartphone geschah zwar, wurde aber rücksichtsvoll und peinlich versteckt gemacht, auf keinen Fall übertrieben. Kein Wunder – man kam sich vor, als würde man in einem fremden Schlafzimmer stehen.

Mit JAYE JAYLE veröffentlichte Rundle vor einiger Zeit eine Split-EP – Auftritte auf dem Roadburn und beiderseitige Tourpläne ließen den Wunsch Wirklichkeit werden, als eine Formation auf der Tour aufzutreten. Das passte perfekt und hat was Emma Ruth Rundle (Band)von der Exklusivität mit unterschiedlichen Begleitbands, die zum Beispiel bei Shows von Bob Dylan immer so einen Spaß machte, als der noch bessere Musik für weniger Geld darbot. Dylan with THE (GRATEFUL) DEAD. Dylan mit TOM PETTY & THE HEARTBREAKERS. Emma Ruth Rundle mit JAYE JAYLE. Läuft.

Nach knapp 60 Minuten verließen die Akteure die Bühne, der Applaus klang schwach, obwohl alle ihrer Begeisterung Kunde gaben. War leider doch nicht soviel los im ehemaligen Sinkkasten. Aber Rundle kam noch einmal, wie auf Emma Ruth Rundleallen Konzerten dieser Tour, und befahl auch diesmal wieder, die PA abzuschalten. Unverstärkt und damit noch überzeugender brachte sie „Real Big Sky“ zu Gehör, das letzte Stück von „Marked For Death“. Dieses Lied ist so unfassbar traurig, dass keiner danach nach einer Zugabe schreien kann, es würde klingen wie ein Aufruf zur Selbstverstümmelung.

Sie stand direkt vor mir, wunderbar ausgeleuchtet, und trotzdem bekam ich die Kamera nicht vors Gesicht – es wäre respektlos gewesen. Kennt jemand den Film „The Secret Life of Walter Mitty“? In dem Streifen mit Ben Stiller sucht und findet dieser einen Fotografen, Emma Ruth Rundledargestellt von Sean Penn, der alle Anstrengungen unternimmt, um etwas ganz und gar Seltenes zu fotografieren – und es lässt, als er die Möglichkeit dazu hat. Weil er den Augenblick genießt. So war das auch mit der Sängerin und mir (und den paar anderen Gästen, zugegeben). Danach konnte nichts mehr kommen. Und bei aller Traurigkeit waren alle danach geflasht, fasziniert, gut drauf. So läuft das, wenn jemand kunstvoll für einen leidet. Und erneut (wie kürzlich bei Jonathan Hultén vor CRIPPLED BLACK PHOENIX) war das Frankfurter Publikum still, andächtig und respektvoll. Grund genug hoffentlich für Emma Ruth Rundle, bald wieder hierher zu kommen.

Links: https://sargenthouse.com/jaye-jayle, https://de-de.facebook.com/jayejayle/, https://jayejayle.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Jaye+Jayle, http://emmaruthrundle.com/, https://www.facebook.com/emmaruthrundle, https://emmaruthrundle.bandcamp.com/, http://www.last.fm/de/music/Emma+Ruth+Rundle

Text, Fotos & Clips: Micha

Alle Bilder:

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