Schlachthof, Wiesbaden, 14.04.2015
Kommunikation. Treffen sich zwei wildfremde Menschen. Einer sagt was, der andere ist angepisst. Abend gelaufen. Zukünftig werden solche Treffen wohl gemieden, zumindest von einer Seite. Oder so: „Hi, ich bin X. Du bist Y, richtig? Schön, Dich kennenzulernen.“ „Danke für Deine Unterstützung, X“. Bitte. Gerne wieder. Am gestrigen Abend trafen im einen Tag vorher eröffneten Kesselhaus (dem Nachfolger der heiß geliebten Räucherkammer) des Schlachthofs in Wiesbaden zwei Krach-Monster aufeinander, die sich live nichts gaben und, wie es neudeutsch so schön heißt, beide überzeugend „ablieferten“. Eines schuf schwere Monolithen der Tonkunst und kreierte damit einen Trip in neue Sphären, eines hinterließ verbrannte Erde.
Glücklich machten beide, irgendwie. Letztere aber eben mit Kollateralschäden. Y war übrigens Yvonne. Yvonne Ducksworth. Von JINGO DE LUNCH. Jetzt bei TREEDEON. Als irgendwann im Schlachthof-Programm vermerkt wurde, dass diese Band für EYEHATEGOD eröffnen würde, sagte mir das gar nichts. Durch das Visions-Mag bekam die Formation irgendwann ein Gesicht und frühes Erscheinen wurde zur Pflicht: JINGO DE LUNCH waren live eine absolute Macht, 1990 und 1992 in der Batschkapp oder 1992 im KUZ Mainz, zum Beispiel. Da waren sie für viele aus dem linken Spektrum schon zu „kommerziell“, weil die besetzten Häuser für sie zu klein wurden. Lachhaft.
Eines der weiteren Gesichter gehört Arne Heesch (links), vormals bei ULME. Die gingen leider in der Vergangenheit an mir vorbei, was wohl ein Versäumnis ist. Die oft zum Vergleich herangezogenen HARMFUL z. B. mochte ich ja auch sehr gerne. Dritter im Bunde ist Schlagzeuger Christian Böhm, allein schon wegen der Wahl seines T-Shirts (Motörhead) ein Guter.
Als TREEDEON starteten, war das (übrigens sehr hübsche und zweckdienliche) Kesselhaus kaum gefüllt. Einige rauchten noch ein paar Kippchen draußen in der Sonne, andere waren schlichtweg noch unterwegs. Ich hatte jedoch nicht den Eindruck, dass es einen Unterschied machen würde, ob fünf oder 5000 Leute vor der Bühne stehen: Trotz einiger freundlicher Ansagen von Yvonne, die wegen Heeschs Rückkopplungen eh kaum zu verstehen waren, interagierte das Trio meist einander zugewandt und hatte dabei, wenn ich das Gesicht von Böhm richtig deutete, selber Spaß genug. Dass der Akustik-Brocken dabei auch immer mehr Gäste mit offenem Mund vor der Bühne stehen ließ, bekamen die Musiker vielleicht mit, vielleicht auch nicht. Spielte aber keine Rolle. Eine knapp 45-minütige Ansage war das, die den Kauf des Tonträgers nötig machte, um diese Stimmung zuhause einigermaßen nachvollziehen zu können. Klappt. Gutes Teil.
Vor EYEHATEGOD wurde es merklich voller vor der Bühne. Viele Bekannte waren zu erspähen, die man von DOWN- oder NEUROSIS-Konzerten her kennt – Bands, mit denen die Mitglieder von EYEHATEGOD auch personell in Nebenprojekten verbandelt sind. Während Ex-CROWBAR-Drummer, DOWN-Drummer und EYEHATEGOD-Gitarrist Jimmy Bower lässig qualmend seinen Arbeitsplatz präparierte, nahm er das zarte Topfplänzchen, welches auf der Box zwischen uns stand, in die Hand und gab es meinem Gesprächspartner. Eine nette Geste, die durch die fehlende Mimik und dem Spruch „Hier. Du siehst aus, als könntest Du sowas gebrauchen!“ ad absurdum geführt wurde. Mein Bekannter stand da, konsterniert, und fragte mich, „ob der Kerl mir gerade gesagt hat, dass ich scheiße aussehe?“. Ich hoffe nicht. Vielleicht doch. Tatsache ist, dass Bower sich damit nicht ins Freundesbuch meines Bekannten eintrug.
Aber bei dieser Combo läuft das wohl anders, vielleicht auch Mentalitätssache. Nett ist das neue Scheiße und in Assi we stand – Bowers Gesichtszüge klarten erst auf, als während des Gigs ein Inferno vor der Bühne losbrach, bei dem es auch mal auf die Nase gab. Da war es ein extremer Bruch, als nach knapp einer Viertelstunde Yvonne Ducksworth in Begleitung der Merchfrau oder jemandem vom Schlachthof auf die Bühne kam, um Sänger Mike IX eine Torte zu seinem 47. Geburtstag zu überreichen. Mike schien das etwas peinlich zu sein und er faselte irgendwas von Selbstmord, freute sich jedoch augenscheinlich, um danach stimmlich wieder in die Vollen zu gehen (was nichts mit seinem Stimmumfang, eher was mit seiner Leidenschaft zu tun hat). Ein Blogger-Kollege, der die Band schon öfter gesehen hat, spricht in seinem Bericht davon, dass Mike „weitgehend auf seine giftigen Tiraden“ verzichtete – zu was so ein bisschen Aufmerksamkeit doch gut sein kann, wenn man es richtig macht. Was EYEHATEGOD in knapp 90 Minuten veranstalteten, kam einem destruktiv gemeinten „Abriss“ schon sehr nahe und war dementsprechend auch stimmig und begeisternd. Für mich dann allerdings eher von hinten.
Letztlich war ich aber auch froh und glücklich darüber, die Sludge-Pioniere (die ich letztmals vor CROWBAR 1993 im Negativ sah und die seitdem in Form von Drogensucht, Todesfällen, Knastaufenthalten und vor allem Zerstörung der Existenz durch Hurrikan Katrina persönlich kiloweise Scheiße fressen mussten), die bei Fans und Kritikern einen gottgleichen Status besitzen aber kommerziell nie viel gerissen haben, in so einem Rahmen erlebt zu haben. Bis auf meinen Bekannten mit der Blume und vielleicht dem mit der blutenden Nase ging niemand unzufrieden raus. Schöner Einstand im Kesselhaus, in dem nächste Woche damit fortgefahren wird, ein wenig Roadburn nach Rhein/Main zu holen. Wir sehen uns.
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Text, Fotos & Clips: Micha
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