Das Bett, Frankfurt, 12.10.2018
Wir schreiben das Jahr 2018. Knapp 40 Jahre sind vergangen, seit die FEHLFARBEN ihre Debüt-LP „Monarchie und Alltag“ veröffentlichten. Eben jene Scheibe nochmals in Gänze zu spielen, dafür hat sich die Düsseldorfer Band im Frankfurter Club „Das Bett“ angesagt. Zündet das Album auch noch nach fast vier Jahrzehnten? Diese Frage stellten sich möglicherweise viele der Besucher im nahezu ausverkauften Saal. Der 1980 erschienene Langspieler wird inzwischen von der Musikkritik als eines der besten deutschsprachigen Rockalben aller Zeiten gefeiert. Zu Recht, denn der zwölf Songs umfassende Tonträger ist ein epochales Meisterwerk. Er ist der Soundtrack einer ganzen Generation, der wie nur wenige Platten aus dieser Zeit dieses unbeschwerte und aufmüpfige Lebensgefühl irgendwo zwischen Punk und New Wave versprüht. „Monarchie und Alltag“ war seinerzeit der zu Klang gewordene Aufbruch in ein neues Jahrzehnt und markierte den Beginn einer Welle, die zunächst mit vielen Konventionen brach, bevor sie irgendwann vom Mainstream aufgesaugt wurde.
Immensen Anteil an dem Erfolg von FEHLFARBEN’s Erstling haben die Textzeilen von Peter Hein. Der Grandseigneur der deutschsprachigen Pop-Lyrik versteht es wie kaum ein zweiter, mit wenigen Worten klischee- und phrasenfrei Dinge auf den Punkt zu bringen und (Lebens-) Gefühle auszudrücken. Ein Grund mehr, das Konzert der erfolgreichen „Monarchie und Alltag“-Tour im Frankfurter Gallusviertel zu besuchen.
Zu Beginn sind es alte Lo-Fi-Filmsequenzen, die die Gäste in „Das Bett“ in die Endsiebziger Jahre mitten in den Ratinger Hof katapultieren: Man sieht Peter Hein & Co., wie sie begleitet von den frühen BLONDIE-Hits „X-Offender“ und „In the Flesh“ über die Leinwand tanzen. Diese bekommt einen goldenen Rahmen und hängt in Anlehnung an das Cover von „Monarchie und Alltag“ wie das Werbeplaket an der Hauswand, als die Musiker leibhaftig aus den Schatten der Vergangenheit heraustreten und sich im Hier und Jetzt einfinden. Mit den ersten Tönen wird der Grauschleier weggewischt, erklingen ihre Geschichten aus dem täglichen Leben.
Peter Hein, ganz in Weiß gekleidet, steht vor dem Schlagzeug-Podest, verschränkt die Arme, wiegt seinen Oberkörper vor und zurück, führt das rechte Bein nach vorne, macht den Fuß lang und klopft mit der Fußspitze den Takt. Bamm, bamm, bamm. „Das sind Geschichten“, „All That Heaven Allows“, „Gottseidank nicht in England“. Hein klammert sich ans Mikrofon, verschließt die Augen, schwenkt die Arme. Schnell sind Band und Publikum auf Betriebstemperatur und es wird sofort klar, dass der Abend nicht in einer abgehalfterten Nostalgie-NDW-Ü40-Party enden wird, die ihren Höhepunkt in „Es geht voran“ hat. Dafür ist die Combo viel zu agil und der Frontmann eine ehrliche Haut, die die hehren Ideale des Frühpunk-Spirits jenseits des Mainstreams kontinuierlich weiterträgt. Natürlich ist der heute über 60-Jährige nicht mehr ganz so wild auf der Bühne unterwegs, wie es auf den eingangs gezeigten Filmschnipseln zu sehen war, aber dafür hat der Mann ein Charisma und eine Aura, die bis in die letzte Ecke des Clubs hinaus strahlt.
Klar ist aber auch: Die FEHLFARBEN sind nicht nur Peter Hein und seine markante Stimme, sondern vor allem eine verdammt gute Band. Die zeigt sich in klasse Form und präsentiert ein klanglich fein differenziertes Soundbild. Dabei ist deutlich zu vernehmen, dass sich die Musiker, die mit Bassist Michael Kemner und Saxofonist Frank Fenstermacher zwei weitere Mitglieder der Urformation in ihren Reihen haben, nicht auf die klinisch reine 1:1-Reproduktion ihres frühen Meisterwerks beschränken. Das gibt der treibenden Rhytmussektion um Schlagzeugerin Saskia von Klitzing immer wieder Raum, ihr großartiges Drumming zu entfalten. Die Synthie-Klänge von Pyrolator Kurt Dahlke, der schon auf der „Monarchie und Alltag“ bei „Paul ist tot“ zu hören ist, machen den Sound bei „Militürk“ und „Apokalypse“ so richtig fett. Und dann sind da ja noch die sägenden Stratocaster-Akkorde des Gitarristen Andreas Schneider, die sich gerade bei dem großartigen „Paul ist tot“ wie das Ticken einer Zeitbombe in die Hirnwindungen fräsen. Damit endet „Monarchie und Alltag“. Das Publikum, das sich in vielen Passagen als äußerst textsicher erwiesen hat, fordert lauthals Zugabe und nach kurzer Verschnaufpause erscheinen die FEHLFARBEN nochmals auf der Bühne.
„Wir denken in Dekaden“, scherzt Hein, als er im Zugabeblock die „neuen“ Stücke vorstellt, denn Titel wie „Stadt der 1000 Tränen“, „Platz da!“, „Das Komitee“ oder „Dekade 2“ haben ja auch schon etliche Jahre auf dem Buckel. Sie sind aber im Vergleich zu den im besten Sinne zu Folklore gewordenen Songs der „Monarchie und Alltag“ noch jung und frisch. „WWW“ kommt deshalb auch wie eine schöne flotte Pogo-Nummer daher, die einfach nur Spaß macht. Der Sänger wirkt entspannt, legt sich seitlich auf’s Schlagzeugpodest. Auch ohne Schlapphut kommt einem sofort das Bild von Goethe in der Campagna in den Sinn. Nach einer zweiten Zugabe ist dann ganz Schluss.
Ein paar Worte noch zu den Vorbands: Mit DIE RADIERER eröffnete eine Gruppe, die bereits 1980 den „Angriff aufs Schlaraffenland“ probte und auch damals schon zusammen mit den FEHLFARBEN aufgetreten sein mag. Mir haben sie gefallen. Etwas merkwürdig war allerdings, dass zwischen den beiden Achtziger-Bands mit RANGEHN eine reine Cover-Formation auftrat. Zwar passten die Nummern der NINA HAGEN BAND und SPLIFF zumindest zeitlich in den Kontext, aber ich muss gestehen, dass sie mich nicht abgeholt haben, obwohl die Sängerin Alex Streck stimmlich ganz dicht am Original dran ist. Und so bleibt vor allem ein feiner Konzertabend mit FEHLFARBEN in Erinnerung – und mit ihm die Gewissheit, dass das Sextett nach wie vor nicht im Mainstream angekommen und weiter ein wichtiger Fixstern im subkulturellen Kosmos zwischen Punk, Pop und Poesie ist. Ja, die „Monarchie und Alltag“ zündet noch immer.
Links: https://de-de.facebook.com/dieradierer/, https://myspace.com/radierer, https://dieradierer.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Die+Radierer, https://rangehn.wordpress.com/, https://de-de.facebook.com/rangehn/, http://www.fehlfarben.com/, https://de-de.facebook.com/Fehlfarben/, https://myspace.com/fehlfarben, https://fehlfarben.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Fehlfarben
Text & Fotos: Todde Sindel, https://www.flickr.com/photos/126331662
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