Colos-Saal, Aschaffenburg, 9.06.2016
„Ein 80er Jahre Revival können auch nur Trottel toll finden, die das nicht live erleben mussten.“ postete unlängst ein User auf Twitter, und ich war geneigt, ihm zuzustimmen. So sehr, dass ich diese Weisheit weiterteilen musste. Natürlich gilt diese Behauptung nicht für Fans subkultureller musikalischer Strömungen wie Metal, (Post-)Punk und Hip Hop, nicht für Freunde der New Wave oder der No Wave. Aber wenn ich heute den geslappten Bass von z. B. LEVEL 42 hören oder sehen muss, die Synthiedrums von SAGA und, leider, praktisch allen in den Charts vertretenen Gestalten (sogar bei Springsteen und Dylan beschädigten diese ansonsten großartige Songs), die geschmacklose, kunterbunte Ästhetik, der Anfang vom Ende des innovativen Mainstreamkinos aus Hollywood… Ja, dann stimme ich zu. So im Großen und Ganzen.
Einige Menschen sehen das jedoch anders: Als einer der Praktikanten bei meiner Arbeitsstelle mein Alter mitbekam, entfuhr ihm ernsthaft ein „Wow! Dann hast Du ja voll die Achtziger miterlebt! Toll. Was warst Du? Popper?“ Ähm, nein. Trotz meiner HEAVEN 17-Alben.
Szenenwechsel. HAKEN aus London stehen seit drei Songs auf der Bühne des Aschaffenburger Colos-Saal, Sänger Ross Jennings richtet die ersten Worte an das begeisterte Volk und beendet seine Ansprache mit der Frage: „What year is it?“. Äh, 2016? „WHAT YEAR IS IT?“ „1985!“ rufen alle zurück. Ältere Herrschaften mit GENESIS-Leibchen. Knaben mit frisch erstandenen HAKEN-Shirts. Jennings verlässt kurz das Podest und kommt mit einer, äh, Brille wieder, deren Nutzen mir nicht klar ist. Aber sie sieht so 1985 aus. Krass. Krass Scheiße. Aber irgendwie auch voll geil.
Mit ihrem aktuellen Album „Affinity“ huldigen HAKEN den Achtzigern – sie tun das nicht auf allen ihren Scheiben, aber Sounds von vorgestern sind schon immer Inspiration. Merkwürdig, dass solch eine Combo als „Prog“- und nicht als „Retro“-Band wahrgenommen wird. Und doch überschlägt sich die Classic-Rock-Presse: Als „Anwärter auf den Progmetal-Thron“ (Eclipsed) werden sie gepriesen. Könnte damit zu tun haben, dass der Einfluss solcher Prog-Titanen wie YES, KING CRIMSON oder GENTLE GIANT auf ihrem Werk unüberhörbar ist – allerdings belassen HAKEN es nicht damit, ihre Einflüsse aus der Vergangenheit stilecht zu reproduzieren, sondern integrieren artfremdere Sounds, zum Beispiel aus dem Postrock oder sogar aus dem ambitionierteren Black Metal.
In den teilweise 15minütigen Soundmonstern hört man die Geschichte des britischen Rocks, häppchenweise modifizierten Folk und dubbigen Groove. Auch, gerade bei „1985“, die scheußlichen Synthiedrums und Fanfaren aus der Konserve (wie bei „Jump“ von VAN HALEN oder sogar, ächz, „The Final Countdown“ von EUROPE). Schaudern und Faszination halten sich (zumindest bei mir) die Waage beim heimischen Hören, insgesamt überwiegt aber die Abenteuerlust beim Genießen solcher Werke wie „Cockroach King“ (vom 2013er „The Montain“) oder „Crystallized“ (von der EP „Restauration“, 2015). Harter Stoff zum aktiven Zuhören, der bei jedem Durchlauf mehr fasziniert.
Ein 80er Jahre Revival können auch nur Trottel toll finden, die das nicht live erleben mussten.
— ichglaubeshackt (@ichglaubeshackt) 24. Mai 2016
Live wurde eine Menge gefordert von den Anwesenden: Einlass um 19 Uhr, eine Stunde später stand dann die erste der beiden norwegischen Support-Bands auf der Bühne, ARKENTYPE. Über die Youngster findet man noch nicht viel im Netz. Die eine Hälfte des Quartetts in weiß, die andere in Schwarz gewandet, machten die Buben augenblicklich heftigst Alarm inklusive Sprüngen ins Publikum und Weiterrocken ebenda.
Die knapp 30 Minuten Spielzeit strotzten vor Energie, hatten durchaus einen gewissen Punkrock-Vibe und knallten den Metal-Fans im Saal schon mal ordentlich eins vor den Latz. Klar war das nicht simpel oder banal, was da gespielt wurde – es war aber weit davon entfernt, in irgendeiner Weise abgehoben zu wirken. Prog-Metal-Party. Ja, sowas geht. Well done, boys.
Ein wenig theatralischer wurde es dann bei RENDEZVOUS POINT. Licht fast nur noch von hinten (das sollte den Rest des Abends leider so bleiben) und abartig viel Strobo-Geflimmer ließen mich mehr meine Augen reiben als das Geschehen auf der Bühne verfolgen. Bandstimme Geirmund Hansen inszenierte sich bedeutungsschwanger im Schatten, hielt sich den Schädel oder sank darnieder. Gitarrist Petter Hallaråker ackerte wie ein Ross und tauschte ab und an mit der meist entzückt lächelnden Bassistin Gunn- Hilde Erstad den Platz, um eben auf der anderen Seite zu ackern. Drummer Baard Kolstad blieb hinter seiner Rhythmus-Festung für mich unsichtbar, Keyboarder Nicolay Tangen Svennæs wegen des Lichtes leider auch. Auch RENDEZVOUS POINT machten schwer Bohei, wirkten auf mich beim ersten Eindruck aber weniger überzeugend als die Bands vor- und nachher. Hat ja mehr mit mir als denen zu tun, weiß ich.
Die Umbaupausen waren erfreulich kurz – alle durften mit HAKENs Drumset spielen, nur Eigenheiten wie zum Beispiel löchrige Becken bei RENDEZVOUS POINT wurden an- und wieder abgeschraubt. Das war aber auch gut so, dauerte der Abend vom Einlass bis zum letzten Zugabenton von HAKEN doch fast fünf Stunden. Drei davon mit dem Stroboskop gefoltert zu werden, hätte schon ein Warnschild am Eingang nötig gemacht, wie es sonst vor jedem Film im Sensurround (80er) oder bei wüst geschnittenen Videoclips zu sehen ist.
Epileptische Anfälle gab es meines Wissens nach zwar keine – dafür aber reihenweise aufgebende Herrschaften jenseits der 40, die sich während des zweistündigen Auftritts von HAKEN nach und nach zurückzogen, um das Spielfeld dem tanzenden Jungvolk zu überlassen, welches stellenweise jeden Break mitwirbeln konnte. Und mitzuwirbeln gab es da so einiges, vor allem beim Abschluss- Monster „Crystallised“. Das war 80er, ja klar – aber auch 60er, 70er, 90er bis heute. Im Gegensatz zu den meisten Kollegen im Genre mit großem Spaß vorgetragen statt theatralischem Getue. Eine zweistündige Wundertüte mit dem Nachhall von vier. Ganz großen Respekt vor dieser Band, die die Vorsilbe „Prog“ trotz aller Reminiszenzen zu Recht im Genrenamen trägt. Und jetzt geb‘ ich YES nochmal ’ne Chance.
Links: http://www.arkentype.com/, https://www.facebook.com/Arkentype, http://www.last.fm/de/music/Arkentype, https://www.facebook.com/RendezvousPoint, https://soundcloud.com/rendezvous-point, http://rendezvouspoint.bandcamp.com/, http://www.last.fm/de/music/Rendezvous+Point, http://hakenmusic.com/, https://www.facebook.com/haken, https://soundcloud.com/hakenofficial, http://www.last.fm/de/music/Haken
Text, Fotos & Clips: Micha
Alle Bilder: