Posthalle, Würzburg, 14.11.2014
Eigentlich kann ich Festivals nicht leiden. Zumindest nicht, wenn sie irgendwo draußen stattfinden und mehrere Tage dauern. Ich mag nicht die Abhängigkeit vom Wetter, nicht die desolate Hygiene-Situation und die überteuerte und meist beschissene Essensauswahl. Ich mag es nicht, wenn lauter geile Bands gleichzeitig spielen und wenn jemand auf mein Zelt kotzt. Ach ja, zelten kann ich auch nicht ausstehen. Um Leute, die aus Spaß Dixi-Klos umwerfen, mache ich aus Prinzip einen großen Bogen. Menschen, die sich dem ganzen Scheiß freiwillig und gerne hingeben, sind mir suspekt. Ja, der Miesepeterschlumpf ist durchaus ein Bruder im Geiste von mir.
Festivals in Hallen sind gut, wenn sie nicht zu lange dauern, nicht zu weit von Frankfurt entfernt sind und ich zwischendurch im eigenen Bett schlafen darf. Außerdem sollte nur eine Bühne da sein, damit man auch mal die Gegend erkunden kann bei Formationen, die nicht so prickelnd sind. So was gibt es nicht, dachte ich jahrelang. Gibt es aber doch: Das HAMMER OF DOOM in der Posthalle zu Würzburg.
Fotos: AVATARIUM (oben), EPITAPH (unten), sonst jeweils im Text zur Band
Nachdem sich in den letzten Jahren altersbedingt in meiner „Komfortzone“ (um mal wieder ganz hip eine aktuelle Vokabel zu benutzen, die auch nicht mehr aussagt als ältere Formulierungen, aber ständig und überall auftaucht) ein ziemlicher Schwund an Menschen vollzogen hat, die gerne auf Konzerte gehen, bzw. fahren, habe ich gelernt, das meiste alleine zu besuchen. In Stadtnähe war das nie ein Problem, erweitertes Umland musste ich mir jedoch nach und nach erschließen und dabei neue Verbindungen mit diversen Bussen und Bahnen ausprobieren. Die Posthalle Würzburg ist zum Besuchen für mich perfekt, weil direkt am Bahnhof gelegen; ich wohne ebenfalls in Bahnhofsnähe und der ICE braucht unwesentlich länger als eine Stunde. Einziger Nachteil: Der letzte zurück geht gegen 23 Uhr, das war vor einigen Jahren noch anders. Das bedeutet auf jeden Fall Headliner-Verzicht und ist saudoof; bei einem Programm wie dem des HoD, dass samstags schon zur Mittagszeit Erlesenes kredenzt, aber zu verschmerzen.
Da der Samstag-Headliner SAINT VITUS hieß, hoffte ich auch auf eine Teilnahme von Kollege Marcus, der die Band hier ja schon vortrefflich beschrieben hat. Der trieb sich aber auf einer anderen Wochenend-Veranstaltung rum. Also den Sparpreis mit Zugbindung der DB benutzt und Tickets gekauft, bye bye, Wino & Co., ein andermal. Dass der Sänger sich einige Tage vor dem Festival in Norwegen mit einer nicht unbeträchtlichen Menge Meth erwischen ließ und deswegen der Rest der Combo die letzten Dates ohne ihn zockte war für alle, die sich darauf freuten natürlich Kacke, andererseits aber auch nicht uninteressant. Wer würde „Born to Late“ und die anderen Klassiker intonieren? Gitarrist Dave Chandler, hieß es. Zumindest teilweise. Ben Ward von ORANGE GOBLIN, die die Tour eröffneten, mit Sicherheit. Auf einem Doom-Festival finden sich jedoch 100 Prozent noch mehr Freiwillige für den Job, bei einer der Mutterbands des Genres auf der Bühne zu stehen; von faszinierend bis peinlich ist da alles drin. Nur leider fand das ohne mich statt und Ihr müsst darüber woanders lesen, ich bedaure. Beschwert Euch doch beim Kollegen Marcus.
Der Headliner-Verzicht am Freitag fiel mir leichter: Die Berliner KADAVAR sind klasse, aber wie alle angesagten Nuclear Blast-Bands bespielen die eine Weile flächendeckend jeden Winkel der Republik und sind auch schon zweimal in diesem Blog aufgetaucht (hier und hier). Dies wiederum war nicht nötig, weil ein Freund TROUBLE sehen wollte und mich mit dem Auto mitnahm, hin und zurück. Das bedeutete also ausnahmsweise wegen des Feierabendverkehrs Verzicht auf den Opener (in diesem Fall die Würzburger WOLVESPIRIT), dafür gab’s aber KADAVAR ganz. Naja, fast.
Als wir andockten spielte die zweite Band des Abends, die Peruaner REINO ERMITANO (Reich des Eremiten), eine immerhin seit 2001 existierende Formation mit weiblichem Gesang, die auch schon fünf Scheiben draußen hat. Ich kannte die Truppe vorher nicht, die vor ein paar spanisch brüllenden Fans in der ersten Reihe auftrat und für diese wohl einen ziemlichen Kult darstellte. Ich fand sie erst merkwürdig im Sinne von „uninteressant“, dann aber nach und nach immer mehr Gefallen an dem schweren Esorock mit wenig damenhaften Vocals. Hatte was und erntete mehr als nur Respektsapplaus beim Abgang.
Überhaupt, weiblicher Gesang im harten Rock: Gibt es immer häufiger; und gerade auf dem HoD von Jahr zu Jahr mehr. Einigen hängen die ganzen Retrobands mit Diseuse zum Hals raus, mir nicht, ich mag das meistens. Eine meiner Plattenfaves hat es letztes Jahr auf dem „Hell Over Hammaburg“ (und nicht nur da) spieltechnisch so verkackt, dass andere Festivalauftritte danach gecancelt wurden, so auch das letztjährige HoD VIII. Da musste ich auf die Finnen JESS AND THE ANCIENT ONES verzichten, dieses Jahr nicht. Plattentechnisch ist nicht viel außer einer EP dazu gekommen, also wurde das selbstbetitelte Debüt gespielt sowie „Astral Sabbat“ von der letztjährigen EP. Die Songs sind großartig, da muss nicht viel mehr passieren als sie sauber zu präsentieren damit ich glücklich bin – im Vergleich zu einigen Genrekollegen am nächsten Tag und zur Göttin JEX THOTH war das aber pillepalle. Ich kann verstehen, dass Selim Lemouchi diese Band gehasst hat. Ich mag sie aber trotzdem.
Nach einer Dreiviertelstunde JATAO waren dann TROUBLE am Start, die Doom-Legende, deren Ex-Sänger Eric Wagner vorletztes Jahr mit seiner Band THE SKULL (Titel eines klassischen TROUBLE-Albums) teilweise die gleichen Songs feil bot. Im Fokus stand aber das vor 30 Jahren veröffentlichte Album „Psalm 9“, mit Wagner am Mikro eingespielt und den beiden Gitarristen Bruce Franklin und Rick Wartell, die noch immer dabei sind. Nachdem die Band einen Teil ihrer Legende mit der Verpflichtung des WARRIOR SOUL-Sängers Kory Clarke verhunzt hat, grölt jetzt, deutlich passender, Kyle Thomas, der u. a. schon bei ALABAMA THUNDERPUSSY war und den ich mit der Thrash-Granate EXHORDER vor Urzeiten im Frankfurter Negativ sehen und interviewen durfte.
EXHORDER waren damals der übelste Asi-Haufen, mit denen ich mich jemals unterhalten hatte, so asi, dass der Schlagzeuger vor Peinlichkeit rot anlief, sich tausende Mal für seine Kollegen entschuldigte und kurz darauf aus der Band flog. Aber was gingen die ab auf der Bühne, meine Herren. Jetzt, viel älter und gesitteter, aber immer noch mit der Ausstrahlung eines Komodowarans, lässt Thomas seinen groovigen Vorgänger zum Glück vergessen und brachte TROUBLE zurück auf die Metal-Landkarte. Auch das aktuelle, mit ihm eingespielte Album „The Distortion Field“ taugt was. Guter Auftritt, der mich aber nicht davon abhielt, Würzburger Pizzastücke und Keiler-Weizen zu vertilgen, musste auch mal sein.
Fehlten nur noch KADAVAR, die ich dann doch sehen und genießen durfte; bei denen ich aber auch merkte, wie anstrengend die Woche war. Bis 23.45 Uhr waren wir Zeuge ihres unlängst auf Tonträger veröffentlichten Sets und wie gut eingespielt das Trio mit dem nicht mehr ganz so neuen Bassisten Simon „Dragon“ Bouteloup mittlerweile ist, danach ging es ohne uns noch ein wenig weiter. Neulich noch im Ponyhof, jetzt Freitagsheadliner, Respekt. Ich musste aber in die Koje, am kommenden Tag standen nach kurzer Nacht noch ein paar Highlights an. Fortsetzung folgt.
Wie der Festival-Samstag ablief, erfahrt Ihr hier.
Links: https://myspace.com/reinoermitano, http://www.reverbnation.com/reinoermita%C3%B1o/, http://www.lastfm.de/music/Reino+Ermita%C3%B1o, http://www.jessandtheancientones.com/, https://myspace.com/jessandtheancientones, http://www.reverbnation.com/jessandtheancientones, http://www.lastfm.de/music/Jess+and+the+Ancient+Ones, http://www.newtrouble.com/, https://myspace.com/troublechicago, http://www.lastfm.de/music/Trouble, http://www.myspace.com/kadavar1969, http://www.reverbnation.com/kadavar, http://www.lastfm.de/music/Kadavar
Text, Fotos & Clips (3): Micha
Clip (Reino Ermitano): aufgenommen am Konzertabend von Metal Malta
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