Zoom, Frankfurt, 7.05.2018
Der arme Kerl kann einem leid tun. Eigentlich ist Einlasszeit im Frankfurter Zoom, doch die bisher anwesenden sieben Fans von HIGH ON FIRE müssen sich noch gedulden, weil der Soundcheck bisher nicht zu Ende ist. Einer ist aus Dortmund angereist. Zwei kommen aus Aschaffenburg – das ist etwas weniger beeindruckend, aber auch toll. Zwei, darunter die bedauernswerte Gestalt vor mir, bestiegen sogar einen Flixbus in Erfurt. Doch die weite Strecke fordert ihren Tribut: Der Erfurter muss auf die Toilette, dringend. Der Mitarbeiter des Clubs bleibt indes hart: „Einlass erst nach dem Soundcheck.“ Es ist Montag, die Kaufhäuser haben bereits geschlossen. Nur McDonalds sowie die B-Ebene der Konstablerwache bleiben als Optionen, beides klingt wenig einladend für den weit gereisten Musikliebhaber. Er versucht stark zu bleiben, doch es hilft nichts: „Wo geht es zum McDonalds?“ Sprichts und eilt auch schon von dannen. Fast überflüssig zu erwähnen, dass wenige Momente später im Zoom Einlass gewährt wird.
Wie gesagt, der Andrang ist mehr als überschaubar und kein Vergleich zur frühen Publikumsresonanz bei AMENRA ein paar Tage vorher. Minus der Zugereisten sind es bei Einlass gerade mal drei, die vor dem Zoom die Zeit totschlagen. Plus Matt Pike, Gitarren-Legende aus Michigan, der sich nochmal die Beine vertritt bevor er später mit HIGH ON FIRE das Haus rocken wird. Pike, der bei den ebenfalls in diesem Monat tourenden SLEEP Gitarre spielt und während einer Ruhepause dieser einflussreichen Doom-Band HIGH ON FIRE gründete, outete sich 2012 als massiver Alkoholiker, der seitdem eine Therapie abschloss und dadurch jede Menge Gewicht verlor. Und wieder drauf schaffte, vergleicht man die Bilder vor der Therapie (siehe Bericht von 2013 hier) mit den aktuellen. Dabei hatte der zwischenzeitlich extrem abgespeckte Pike in einem Visions-Artikel zu Protokoll gegeben, dass es „das Brot“ ist, das einen so fett macht und worauf man verzichten sollte. Na dann.
Kalorien verbrennt er mit seinen beiden Mitstreitern, dem Bassisten Jeff Matz sowie dem Drummer Des Kensel, jedoch recht ordentlich. Einen Tag zuvor bespaßte das Trio noch das Desertfest in Berlin, von dem auch zwei mir bekannte Frankfurter Fans erschöpft, aber glücklich an diesem Montag zurückkehrten, um sich anschließend sofort den fulminanten Derbrock in kleinerem und damit stimmungsvolleren Ambiente zu geben. Lauter Anwesende mit höchstem Einsatz also vor Ort. Und doch muss der Opener, die Thüringer Band MOTOROWL, vor einem Minimum an Volk auf die Bühne. Auch diese armen Kerle können einem leid tun.
Dass zeitgleich mit dem Event im Zoom, wenige Meter entfernt im Nachtleben, mit den Spaniern 77 um ein ähnliches Publikum gebuhlt wird, schiebt den Anteil der Rockfreunde im Zoom auch nicht gerade nach oben. Trotzdem ziehen es einige Gäste vor, vor der Hütte oder auf dem Balkon zu klönen und zu qualmen. Womit sie was verpassen, meiner Meinung nach. MOTOROWL sind ziemlich jung, ziemlich retro und bei Century Media. Demnächst touren sie mit den großartigen ALL THEM WITCHES. Ihr Retro-Sound klingt nicht abgeranzt und totzitiert, sondern frisch, offen und mit Ausreißern zum Prog auch sehr vielschichtig.
Dabei wird der Teufel beschworen, total un-evil jedoch, und mit sattem Gitarrensound die Orgel gefordert, die man so ähnlich auch von URIAH HEEP hören könnte. Das Album „Om Generator“ finde ich jedenfalls ganz große Klasse. Zum Zeitpunkt des Konzertes kenne ich das aber noch nicht, die Songs müssen ohne Vorbildung überzeugen. Das tun sie bei den Wenigen, die sich darauf einlassen. Die Gitarren klingen rauer als auf dem Debüt; vielleicht dem Umstand geschuldet, dass mit HIGH ON FIRE eine dem Schönklang ferner stehende Formation gleich das Podest entern wird. 30 Minuten sauber durchgezogen vor viel zu wenig Leuten und sich dann verabschiedet. Die Jungs sollte man im Auge behalten.
Alle sind an diesem Abend jedoch wegen HIGH ON FIRE da. Schlagzeuger Kensel und Gitarrist/Sänger Pike spielen seit 1998 zusammen, weswegen die Tour mit „20 Sunless Years“ betitelt ist und eine Jubiläumssause darstellt. Einen frischen Longplayer wird es im Verlauf des Jahres auch noch geben. Bassist Matz ist erst seit 2006 dabei – in der Vergangenheit tieftönte er unter anderem bei der Thrash-Legende HOLY TERROR und bei den Radaubrüdern ZEKE. Bei HIGH ON FIRE gibt es keinen überflüssigen Schnickschnack, sogar das Oberkörpertextil wird fast immer von Matt Pike ausgespart. In ihrer rockenden Konsequenz sind sie MOTÖRHEAD nicht unähnlich, wobei Pike im Vergleich zu Lemmy extrem wenig mit dem Publikum kommuniziert. Anfänglich im Zoom etwas mehr, zum Ende hin werden nur noch Songtitel rausgeraunt, wenn überhaupt etwas.
Dafür fließt auf der Bühne aber bereits literweise Schweiß und Rotz. Die Verausgabung sucht ihresgleichen und steht in kreativer Wechselwirkung zur Stimmung davor. Elf Songs von fünf Tonträgern, veröffentlicht wurden bisher (ohne Split- und Live-Aufnahmen) sieben. Jeder Track durch ordentlich Saitengegniedel länger als auf Platte, wie es sich gehört. Das gewinnt keinen konzeptionellen Nobelpreis, aber es macht amtlich Laune. Nach 70 Minuten ist Schicht, einige Gitarrengeile eilen nochmal ins Nachtleben und können dort noch die Zugabe von 77 verfolgen. Ein nachträglicher Glückwunsch zu der Entscheidung, das Zoom besucht zu haben. Ganz fanatische Jünger von Pike’s Gniedelkunst düsen kommenden Freitag nach München, um ihn dort mit den Schwergewichten SLEEP zu erleben. Auch wenn man den Frankfurtern oft nachsagt, zuwenig auf die Konzerte zu gehen: Diejenigen, die es tun, tun ihr Bestes, um diesen Makel auszugleichen. Props dafür. Und an die Besucher aus Dortmund und Erfurt. Bei SLAYERs Abschiedstour im November sollte man sich revanchieren kommen.
Links: http://motorowl.de/, https://www.facebook.com/motorowl, https://soundcloud.com/motorowl, https://www.last.fm/de/music/Motorowl, http://www.highonfire.net/, https://de-de.facebook.com/highonfire/, https://myspace.com/highonfire, https://highonfiresl.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/High+on+Fire
Text, Fotos & Clip: Micha
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