Au, 24.03.2013
Wieder mal ein Tag der Entscheidung: Mit DEFY und SUBTERROR stand im Frankfurter Exzess ein brasilianischer Crustcore-Doppelpack auf dem Programm, während zeitgleich in der Au mit KICKER eine interessante „All-Star“-Punkband gastierte. Und obgleich die Südamerikaner sicherlich die exotischere Wahl gewesen wären, entschied ich mich dennoch für den KICKER-Gig – und sollte es nicht bereuen. Allerdings bot sich bei meiner Ankunft in dem Rödelheimer Club gegen 22:30 Uhr ein trauriges Bild: Gerade mal 30 Leute hatten sich eingefunden, um der Show der englisch-amerikanischen Combo beizuwohnen. Im Exzess waren es, wie ich später erfuhr, sogar nur 15 Zahlende – schade, dass man die Konzerte nicht kurzerhand zusammengelegt hatte.
Als ich eintraf, stand der Opener des Abends bereits auf der Bühne: THE RANCORS (Fotos in der Galerie unten). Sie stammen aus München, blicken bereits auf zwei Longplayer zurück, die beim Label Schlecht & Schwindlig Records erschienen sind und spielen druckvollen, dreckigen Deutschpunk, der sich erfreulicherweise abseits der gängigen Klischees bewegt und musikalisch ein Spektrum zwischen RAZZIA und RAWSIDE abdeckt. Das machte Spaß, klang gut und war ein solider Anheizer für die nachfolgende Band.
In der Umbaupause wurden mir die Jungs von KICKER vorgestellt und ich hatte die Möglichkeit, ein paar Worte mit Sänger Roadie zu wechseln, was allerdings
nicht einfach war. Denn erstens artikulierte sich das einzige englische Mitglied der Band in fiesem Cockney-Dialekt und zweitens war der Mann bereits so hackedicht, dass er Mühe hatte, geradeaus zu gehen – die Voraussetzungen für eine gute Punk-Rock-Show waren also schon mal gegeben. Roadie nennt sich übrigens nicht nur so (eigentlich heißt er Pete), er war und ist auch ein solcher. In den Siebzigern hatte er auf der Insel die Geburt des Punk miterlebt und dabei soviele Auftritte der STUPID HUMANS (heute unter dem Namen SUBHUMANS bekannt) besucht, dass diese ihn irgendwann fragten, ob er nicht für sie als Roadie tätig sein wolle.Pete hatte nichts Besseres zu tun und fragte, was man denn als Roadie so macht. „Sachen rumtragen“, lautete die Antwort und Pete willigte ein, denn das konnte er. Seither ist er mit unzähligen Bands, darunter AMEBIX, NEUROSIS, FUGAZI und JELLO BIAFRA, um die Welt getourt und eines Tages in Oakland im sonnigen Kalifornien hängen geblieben. Dort hat er mit seinen amerikanischen Kumpels Toby (Schlagzeug, ex-FILTH), Mauz (Gitarre, ex-DYSTOPIA, ex-MINDROT) und Dave Ed (Bass, NEUROSES, TRIBES OF NEUROT, JESUS FUCKING CHRIST) im Jahr 2010 schließlich KICKER, seine erste eigene Combo, ins Leben gerufen – und das im reifen Alter von schätzungsweise 55.
Die Erfahrung, die alle Bandmitglieder auf dem Buckel haben, spiegelte sich unmittelbar in deren Bühnenpräsenz wider. Als es Roadie gelungen war, nach mehreren Anläufen das Podest zu erklimmen, wirkten die Jungs, Verzeihung, die Herren, als ob sie bereits seit Dekaden zusammen spielen und sich blind verstehen. Nicht nur das war eine Augenweide, auch der Sound wusste zu begeistern. Ob Punk-Rock, Street-Punk oder UK-Hardcore, KICKER boten eine illustre Mixtur aus allen Stilen, dargeboten auf technisch hohem Niveau und geprägt von der rauen, whiskeygetränkten Stimme ihres Frontmanns.
Das Ganze erinnerte an eine Mixtur aus FLIPPER und Duane Peters‘ HUNNS, wobei instrumental erstere und von den Vocals und der Performance her die letztgenannten zitiert wurden. Jeder Einzelne der Musiker war mit sichtlich großer Spielfreude am Rocken, allen voran Roadie, der wütender, angepisster und abgefuckter erschien, als manch 20-jähriger Nachwuchs-Punk. Großes
Kino! Mit ständig neuen Gesten und Mimiken, die natürlich auch seinem Zustand geschuldet waren, setzte sich der Sänger immer wieder in Szene und verblüffte, beschimpfte und überraschte das Publikum, wobei man den Eindruck hatte, dass der Gute jeden Moment von der Bühne fallen könnte.Passend dazu brüllte er seine ironischen, bissigen und witzigen Lyrics in die Menge – Punk, wie er sein sollte: Songs übers Altern (man höre sich auf dem Debüt „Not You“ das Intro zum Song „Broke“ an, in dem eine Ärztin Fragen zum Befinden von Roadie stellt), übers Biertrinken und Chips essen, übers gelangweilt sein und über faule Studenten, die demonstrieren gehen, statt zu arbeiten. Kurzum, an dieser Band stimmt einfach alles – vor allem die Spielfreude und die Wut im
Bauch. Und wenn die Herren nicht bereits um und über die 50 wären, würde ich sagen, dass dieser Combo eine große Zukunft bevorsteht. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass Roadie in den nächsten Wochen tot umfällt. Wer also nochmal Gelegenheit haben sollte, das Quartett live zu erleben, der sollte sie nutzen! An dieser Stelle sei noch auf ein interessantes Interview mit Pete sowie die herausragende Debüt-Scheibe hingewiesen, deren Anschaffung sich allein aufgrund des genialen Cover-Artworks lohnt. KICKER kicks ass!Links: http://www.kickersucks.com/, http://www.rancors.com/, http://www.myspace.com/rancors
Text & Fotos: Marcus
Clip: aufgenommen am Konzertabend von inaleaguewithsatan
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