Brotfabrik, Frankfurt, 7.04.2019
Als ein „ergreifendes, intensives und der Vollkommenheit nahes Musikerlebnis“ wird Laura Gibsons letztes Studioalbum „Goners“ (2018) im Blog Sounds & Books bezeichnet – ich vermag es nicht stimmiger zu formulieren. Ihr fünftes Studiowerk, welches die aus Oregon stammende Folk-Sängerin zum mindestens dritten Mal in die Hausener Brotfabrik führte, verzaubert mit fabel-artigen und -haften Geschichten über die Themen Trauer und Verlust – mehr als bisher, vor allem aber noch berührender als bei ihren älteren, auch nicht gerade der überschwänglichen Lebenslust verpflichteten Songs. Der deutsche Rolling Stone pflichtete dem bei und ernannte „Goners“ im November 2018 zur „Platte des Monats“. Dabei waren schon „If You Come to Greet Me“ (2006) sowie „Beasts of Seasons“ (2009), mit deren Liedern Gibson ihre erste Brotfabrik-Show im Dezember 2009 speiste, tieftraurig.
Die Entwicklung der damals viel introvertierteren sowie gehemmter agierenden Sängerin zum Profi, der das Publikum buchstäblich dirigiert und um die Finger wickelt ist jedoch auch in den immer faszinierenderen Klangbildern ihrer Alben hörbar: Jede Scheibe toppt die vorhergehende in puncto Songwriting nebst Arrangement. Und dann diese Stimme… Laura Gibsons Stimme unterstreicht diese starke Verletzlichkeit perfekt. Samt umschmeichelnd, ohne kitschig zu wirken – mit eigenständigem Klang, viel Volumen und durchdringender, kraftvoller Zartheit. Sie wird nie laut, selbst in den raren beswingteren Nummern, die man zum Beispiel auf „La Grande“ (2012) findet und mit denen sie im gleichen Jahr mit CALEXICO tourte (Bericht hier), nicht. Und findet trotzdem immer mehr Gehör.
Dieses Mal war der Saal der Brotfabrik bestuhlt – die 200 Plätze schienen fast komplett belegt zu sein. Ein Vorprogramm gab es auch: Die in Köln lebende Schweizerin Gina Été gab sich knapp 30 Minuten lang die Ehre, brachte Songs in vier verschieden Sprachen und zupfte ihre Geige dabei wie eine kleine Gitarre. Das wirkte sehr eigenständig und ambitioniert, textlich (soweit für mich zu verstehen) außerdem nicht unwitzig. Allerdings in einem Erzählfluss, der mir (zumindest bei den deutschen Stücken) auf eine Art schräg vorkam, die weniger avantgardistisch auf mich wirkte, als vielmehr bemüht. Der Kritiker, der Été ernsthaft mit Björk verglich (Zitat auf ihrer Homepage), wohnt definitiv nicht auf demselben Planeten wie ich. Trotzdem Props für die Lady mit der schönen Stimme, die in der Regel mit Band unterwegs ist, vor allem im Großraum ihrer Wahlheimat Köln.
Geige wurde auch im Anschluss gespielt beim Auftritt des Headliners. Gibson, die selber die Gitarre bediente sowie ein Keyboard mit Loopstation, hatte zur Unterstüzung die Belgierin Beatrijs De Klerck dabei, die zwischen der Violine sowie dem Keyboard wechselte und zusätzlich für stimmigen Harmoniegesang sorgte. De Klerck, laut ihrer LinkedIn-Seite als Musik-Therapeuthin sowie als musikalischer Freelancer tätig, beherrscht wohl auch das Theremin. Sie unterstützte in der Vergangenheit den in Belgien lebenden Folk- sowie Elektronik-Musiker Will Samson sowie die Ambient-Musikerin und Filmemacherin Christina Vantzou. Sie und Laura Gibson zusammen wirkten soundtechnisch wie eine ganze Band. Knapp ein Drittel der Stücke, deren Löwenanteil von „Goners“ stammte (neun), präsentierte Gibson allerdings komplett allein.
Zwischen den dargebrachten Liedern kommunizierte Gibson viel mit ihrem Publikum – sprach zum Beispiel davon, dass sie und De Klerck beim nachmittäglichen Spaziergang am Kanal (gemeint war die Nidda) ein Albino-Nutria sahen sowie von ihrer Überlegung, dieses als Tour-Maskottchen mitzunehmen. Oder wie die Songs entstanden sind, die sie anschließend zu Gehör brachte. Smalltalk, der ihr 2009 an gleicher Stelle völlig abging, als sie sich darüber zu wundern schien, dass überhaupt Hörer zu ihren Shows kamen. Unverständnis ihrerseits auch damals über meine Bitte, das gekaufte Album zu signieren. Diesmal lief das anders: Als nach etwa 75 Minuten der Konzertabend zu Ende ging, lud sie alle Anwesenden zum Schwätzchen mit Autogrammstunde an den Merchstand ein.
Links: Laura Gibson am 3. Dezember 2009 in der Brotfabrik.
Mehr Fotos in der Slideshow unten.
Vorher begeisterte sie die Anwesenden mit dem einzigen Song von „La Grande“, „The Rushing Dark“ (Clip dazu unten), bei dem sie die Zuhörer in ein Rhythmus-Instrument verwandelte, sowie dem Abschluss „Louis“ von „Empire Builder“, welches sie völlig unverstärkt ins Auditorium entließ. Die eigentliche Zugabe war das – auf das Spielchen, die Bühne zu verlassen und nach gewissem Applaus zurück zu kommen, hatte sie (wie viele US-Künstler in letzter Zeit), keine Lust. „Ich spiele jetzt noch drei Songs“, erklärte sie vor „I Don’t Want Your Voice To Move Me“. „Ihr könnt ja nach dem zweiten besonders laut klatschen, wenn Ihr mögt. Dann fühlt sich das Letzte auch wie eine Zugabe an.“ Auch sonst wäre der Beifall wohl fulminant geworden. Laura Gibson und ihre Musik: In der Tat etwas annähernd Vollkommenes.
Links: https://www.ginaete.com/, https://www.facebook.com/ginaete, https://ginaete.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Gina+Ete, https://www.lauragibsonmusic.com/, https://www.facebook.com/lauragibsonmusic/, https://lauragibson.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Laura+Gibson
Text, Fotos & Clips: Micha
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