LOW & HILARY WOODS

Sankt Peter, Frankfurt, 7.02.2019

LowDie Band selber hasst den Begriff. Schreibt jeder. Trotzdem wird er immer wieder benutzt. Von jedem. Außer von der Spex in der Kritik zum letzten LOW-Album „Double Negative“ von 2018. Aber sonst? Keiner kommt drum herum. Und ich? Ich will es ja lassen,wenn die Musiker das nicht mögen – aber er passt nun mal so gut als Bezeichnung für den besonderen Sound von LOW. Soll ich? Na, warten wir mal ab. Es gibt ja Leute, die haben LOW schon gesehen, als sie im kleinen Frankfurter Dreikönigskeller gespielt haben (1999). Einige Zeit her. Ich gehöre nicht dazu, kenne das seit 1993 existente Trio aus Minnesota um das Paar Mimi Parker (Gesang & Schlagzeug) und Alan Sparhawk (Gesang & Gitarre) auch noch gar nicht so lange.

Zu dem von mir meist gehörten Metal-Bands bilden LOW aufgrund ihrer Langsamkeit (Wikipedia: LOW spielen „seit 1993 langsame bis sehr langsame … Musik“) einen heftigen Kontrast – obwohl, laut Rolling Stone, „Double Negative“ arg beeinflusst ist von der ersten Platte von NAPALM DEATH. Von welcher LowSeite, würde mich in diesem Kontext interessieren (mit Ausnahme des Drummers Mick Harris wurde jede LP-Seite von einer anderen Besetzung aufgenommen). Als Freund von sogenannten Americana-Klängen passt das schon eher – nicht nur swingt Sparhawks Gitarre zwischen staubigem Desert-Rock, tieftraurigem Country Noire und krautrockigen Einflüssen, wie man sie auch bei WILCO findet (deren Boss Jeff Tweedy produzierte 2013 „The Invisible Way“), nein: Singen die Eheleute gemeinsam, entsteht eine vokale Magie, wie sie in dieser wunderbaren Perfektion nur von wenigen Duett-Künstlern erreicht wird/wurde. Emmylou Harris und Gram Parsons, das wäre hier eine Referenz. Mimi Parker alleine ist diesbezüglich im Übrigen auch schon eine Macht.

LowZusammen mit ihrem Bassisten Steve Garrington, der bereits einige Vorgänger hatte, aber seit nunmehr elf Jahren die Stellung hält, touren LOW gegenwärtig durch Europa und bespielen in Köln sowie Frankfurt sakralere Orte als den Rock-Club nebenan. In Frankfurt ist das die Jugendkulturkirche Sankt Peter, bei deren sonstigen Veranstaltungen der Altersdurchschnitt wohl weit geringer ausfällt. Im bestuhlten Schiff der ehemaligen Peterskirche, deren Vorhof einst als Friedhof genutzt wurde, gibt es sound- und lichttechnisch seit Ende der Renovierung 2007 nichts zu meckern, im Gegenteil: Es gibt kaum einen schöneren und passenderen Ort für diese Art von Musik in Frankfurt.

Selbst OPETH haben diese Vorzüge 2012 genutzt – Satan als Backdrop sowie das Kreuz auf dem Bierbecher, zumal vor einem alten Friedhof: Das hatte schon was. Beides gab es nicht dieses Mal – Satan interessierte keinen und Nicht-Metalfans Lowdurften ihr Bier auch aus der Glasflasche schlürfen. Wobei der bestuhlte Innenraum, der spätestens nach dem Vorprogramm an den Seiten von stehenden Gästen sowie vor den Sitzen von kauernden Jugendlichen okkupiert wurde, irgendwann so voll gestopft war, dass man ans Bierholen nicht mehr denken sollte. Berauscht wurde man jedoch auch von den Klängen, welche auch vom Opener famos waren.

Low

Statt, wie ursprünglich mal angekündigt, Nadine Khoury (die ich sehr gerne gehört und gesehen hätte), eröffnete die mir unbekannte Irin Hilary Woods zusammen mit einem Schlagzeuger den Abend pünktlich um 20 Uhr. Obwohl: Hilary WoodsHilary Woods spielte einst bei der Formation JJ72, was sie auf ihrer Bio-Seite verschweigt. Vielleicht hat sie nicht die besten Erinnerungen an ihre Zeit dort. Ich habe an die Band leider auch keine, obwohl sie am 11. August 2001 neben ASH sowie NEW ORDER als Support von Robbie Williams in Köln auftrat – das Konzert, welches alle paar Monate mal von Pro7 im Nachtprogramm gezeigt wird und ein ziemlich tolles war, nebenbei.

Unter ihrem Namen agierte die Künstlerin, die auch malt und gestern 30 Minuten lang Piano oder Gitarre bearbeitete sowie dazu sang, viel spartanischer und leiser als mit der damaligen Truppe – „reduziert“ kann man das trotzdem Hilary Woods (Band)nicht nennen, dazu passiert zu viel in diesem Klangteppich. Wie das fast gehauchte „Jesus Said“ zu verstehen sein soll, besonders in diesem Rahmen, erschließt sich mir auch nach Studium der Texte nicht – ob hier aus Gründen der Verbundenheit oder der Kritik der richtige Ort gefunden wurde: Ich weiß es nicht. Woods und ihr sehr sparsam agierender Partner verstanden es jedoch zu faszinieren. In den Staaten tourt sie demnächst mit Marissa Nadler, was hervorragend passt.

Zurück zu LOW. Deren beiden letzten Alben wurden von B.J. Burton produziert (u. a. Bon Iver) – die zunehmende Verwendung elektronischer Soundspiele geht anscheinend auch auf sein Konto. Hört man „Double Negative“ zum ersten Mal Lowkönnte man glauben, die Box sei nicht korrekt eingestellt. Trip Hop. Shoegaze. Ambient. Die musikalischen Ausdrucksformen werden immer voller – wenn LOW eine Folk-Band sind, dann eine, die deren Soundblase extrem erweitert hat. Der ungewollte Begriff dafür, er müsste hier endlich fallen. Das Trio macht aus dem Gegenlicht eine Kunstform, säuselt ihre Harmonien, dreht die Regler auf und zerfetzt Erwartungen nebst Wohlklang. Ungemütlich und hervorragend.

Ich weiß nicht, wie groß der Einfluss des Bassisten Steve Garrington auf das Komponieren der Stücke ist – live spielt er nicht „nur“ Bass und schon gar nicht bloß als Rhythmus-Geber. Er benutzt sein Instrument wie virtuose Gitarristen Lowdas mit ihrem machen und ruft Töne zusätzlich mit Pedalen ab. Der ganze Raum wird geflutet mit dem Klang nicht nur dreier Körper. Das Beste: Auf diese Art hat man Rockmusik noch nie gehört, soweit ich das beurteilen kann. Eine gewisse Verwandtschaft lässt sich vielleicht zu SONIC YOUTH attestieren, was Intensivität oder Besonderheit angeht. Das multilingual besetzte Auditorium verfolgte das Geschehen etwa 80 Minuten lang voller Ehrfurcht. Standing Ovations kurz vor der Zugabe, sehr zur LowFreude der Kauernden vor Reihe Eins. Doch die Freude währte nicht lange – kaum ging die Musik weiter, wurde sich wieder gesetzt. Die vielleicht kirchlich geprägte Jugend äußerte darüber Missfallen, kauerte sich aber zähneknirschend, fügsam und Bier trinkend wieder hin. Als stehbehinderter Alter gibt es dafür Props von mir.

Kurz frontal beleuchtet wurde das Trio nur während der Vorstellung der Musiker und während ein sichtlich gerührter Sparhawk Dank an die Anwesenden und an die Betreiber der Jugendkulturkirche aussprach. Auch mir ist nach „Danke“. Wir haben erst Februar und ich habe schon den Eindruck, das Konzert des Jahres erlebt haben zu können. Und der verhasste Genrebegriff, der doch so passend ist? Schlagt es lieber nach, steht ja sonst überall.

Links: http://www.hilarywoods.com, https://www.facebook.com/HilaryWoods/, https://soundcloud.com/hilarywoods, https://hilarywoodsmusic.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Hilary+Woods, https://www.chairkickers.com/, https://www.facebook.com/lowmusic/, https://lowtheband.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Low

Text, Fotos & Clips: Micha

Alle Bilder:

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