Das Bett, Frankfurt, 3.03.2019
Exotenalarm im Frankfurter Club „Das Bett“: Am gestrigen Abend teilten sich die Japaner MAN WITH A MISSION und die Norweger BIRU BABY – deren Frontfrauen der Volksgruppe der Samen (ehemals als Lappen bekannt) angehören – die Bühne. Doch der Exotenbonus beruhte nicht nur auf der Herkunft der beiden Gruppen, es ging auch optisch schräg zu: Die Tokioter treten stets mit plüschigen Wolfsmasken auf, die Samen, so verriet es zumindest die Presseinfo, sollen für ihre bunten Live-Auftritte und eine musikalische Mischung aus DIE ANTWOORD, BABYMETAL und THE PRODIGY bekannt sein. Nun, das sind allesamt Bands, die ich grauenhaft finde – der Abend stand also unter keinem guten Vorzeichen.
Als ich den Club im Gallus-Viertel betrat, staunte ich zunächst einmal über die Besucherschar: Die Halle bot sich nahezu ausverkauft dar, was daran liegen mochte, dass MAN WITH A MISSION in Japan aktuell äußerst angesagt sind und es in Frankfurt eine große japanische Gemeinde und zudem viele Anime/ Manga-Nerds gibt, die sich schlichtweg alles anschauen, was aus Japan kommt, sei es noch so gruselig und schlecht (wie beispielsweise MIKA BOMB, MUTANT MONSTER, etc.).
Apropos gruselig und schlecht – exakt die beiden Attribute trafen auch auf BIRU BABY zu, die inzwischen ihren „Gig“ begonnen hatten, bei dem nicht nur ich, sondern auch Fotograf Eric sich fragte, was die jungen Leute da eigentlich auf der Bühne machen. Vom Band ertönte ein beliebiger Electro-Dance-Sound, der gut und gerne neben SCOOTER und den ATZEN als Soundtrack einer Après-Ski-Party hätte dienen können. Dazu hopsten auf dem Podest drei Kiddies umher, die wirkten, als ob man ihnen Juckpulver in die Unterwäsche gestreut hätte.
Gitarristin Iki und Sängerin Hánná bilden dabei den Kern der Combo, live werden sie von unterschiedlichen zusätzlichen „Musikern“ unterstützt. In diesem Fall war ein junger Mann mit einem Umhängekeyboard mit von der Partie, wobei ich nicht den Eindruck hatte, dass Gitarre oder Keytar überhaupt angeschlossen waren – zumindest die Gitarre war überhaupt nicht zu hören. Aber wie wir ja seit MODERN TALKING wissen, kommt es optisch immer ganz gut, wenn man eine Gitarre umhängen hat und gelegentlich mal mit der flachen Hand auf die Saiten schlägt.
Es war wieder mal einer dieser Augenblicke, in denen ich fassungslos vor der Bühne stand und mich fragte, ob die das tatsächlich ernst meinen. Letztlich war‘s eine Mischung aus Karaoke-Party und ADHS-Tanztherapie, die ich da miterleben musste. Nichts gegen stumpfe Bumsmongo-Mucke, die sich sicher gut auf einem „Ballermann-Hits“- oder „Hütten-Gaudi“-Sampler macht. Aber ob man diese musizierende Kinderhüpfburg „live“ darbieten muss, sei mal dahingestellt. Immerhin weiß ich jetzt, wie die Flagge der Samen (siehe Foto oben) aussieht.
Mit MAN WITH A MISSION hatte ich mich bereits vor einigen Jahren im Rahmen eines Artikels auseinandergesetzt, den ich für ein Japan-Magazin verfasst hatte. Ich war also vorgewarnt, was mich musikalisch erwarten würde. Japaner sind im Allgemeinen bekannt dafür, westliche Musikstile zu kopieren, auf ihre ganz eigene Art und Weise zu interpretieren und mit neuen Facetten darzubieten. Warum die Kopien selten an die großen Vorbilder heranreichen, liegt wohl meist daran, dass es in Japan kaum wirklich gute Sänger gibt; ein Problem, das genetisch bedingt sein mag. Doch zunächst gilt es das Mysterium der Wolfsmasken zu klären, die bereits seit der Gründung im Jahr 2010 als Markenzeichen von MAN WITH A MISSION fungieren.
Laut selbst erdachter Legende wurden die Wolfswesen einst vom legendären Gitarren-Guru Jimi Hendrix geschaffen und dann in der Antarktis eingefroren. 2010 tauten die fünf Kreaturen, vermutlich aufgrund des Klimawandels, schließlich auf und fanden eine neue Heimat in Japan, wo das Quintett sogleich eine Band ins Leben rief, um die von Hendrix vorgegebene Mission umzusetzen: Brachialen Rock‘n‘Roll mit der Energie von Godzilla zu kombinieren – noch Fragen?
Seither sind fünf Alben erschienen – zuletzt die Scheibe „Chasing the Horizon“ (2018) – mit denen die Tokioter zunächst Japan, dann Asien, Russland und nun auch Europa im Sturm erobert haben. Gleichzeitig gaben sich die Japaner auf gigantischen Festivals wie dem Fuji Rock, dem Summer Sonic und dem Knotfest die Ehre und tourten mit RISE AGAINST durch die USA. Bei einem Auftritt im Roxy in Los Angeles erschien gar SLIPKNOT-DJ Sid Wilson als Gast auf der Bühne und steuerte später einen Remix zum MAN WITH A MISSION-Song „Distance“ bei. Der Sound der Band ist zudem im Videogame „Street Fighter V“ und in der japanischen Version von „Mad Max: Fury Road“ vertreten. Auch mit GUNS N‘ ROSES haben die Wölfe bereits gespielt – vor mehr als 35.000 Zuschauern in der ausverkauften Saitama Super Arena in Tokio.
Kurzum, in Japan sind Tony Tanaka (Vocals), Jean-Ken Johnny (Gitarre), Kamikaze Boy (Bass), Spear Rib (Drums) und DJ Santa Monica so etwas wie Superstars und ein Auftritt wie gestern in einem kleinen Club wäre in der Heimat gar nicht mehr möglich. Wer sich hinter den Wolfsmasken verbirgt ist übrigens ein streng gehütetes Geheimnis – aus diesem Grund mussten wir unsere Fotos vom Management des Quintetts freigeben lassen, um sicherzustellen, dass die Gesichter der Bandmitglieder, die aus den Mäulern der Wölfe herauslugten, nicht zu erkennen sind.
Darüber hinaus fiel auf, dass Gitarrist Jean-Ken Johnny nahezu akzentfreies Englisch sprach, was bei einer japanischen Gruppe (siehe unseren Bericht zu MUTANT MONSTER hier) nur äußerst selten der Fall ist. Gegenüber dem unsäglichen Schwachfug, den der Opener verzapft hatte, war es nun immerhin wohltuend zu sehen, dass hier echte Musiker am Werke waren, die ihr Handwerk beherrschten. Die Jungs, sorry, Wölfe performten souverän, lieferten eine an Abwechslung reiche Setlist und präsentierten etwa nach der Hälfte des Gigs einen kleinen Konzertfilm auf der Leinwand, der das Wolfsrudel beim Touren rund um die Welt in den Fokus rückte.
Musikalisch wurde eine Mischung aus seichtem, radiotauglichem Pop-Rock, modernem New-Metal und Crossover geboten, bei dem auch mal Scratching-Passagen und Rap-Gesänge zum Einsatz kamen. Mit all dem kann man mich eigentlich jagen, doch aufgrund der Tatsache, dass nahezu jeder Song ein anderes musikalisches Genre bediente, dass das Ganze von Musikern mit Wolfsköpfen performt wurde und das leicht zu begeisternde Publikum eine stimmungsvolle Party feierte, war es unterm Strich ein recht kurzweiliger Abend, bei dem allenfalls die Coverversion des NIRVANA-Songs „Smells like Teen Spirit“ (Clip dazu unten) nervte. Wer Acts wie die RED HOT CHILI PEPPERS, CRAZY TOWN oder LINKIN PARK zu seinen Favoriten zählt, der sollte die japanischen Wölfe mal anchecken. Die Alben sind gut hörbar und live war‘s ein Spaß, sofern man Radiorock etwas abgewinnen kann.
Links: http://www.birubaby.org/, https://www.facebook.com/birubaby, https://soundcloud.com/birubaby, https://birubaby.bandcamp.com/, https://www.instagram.com/birubaby/, https://www.last.fm/music/Biru+Baby, https://www.mwamjapan.info/, https://www.facebook.com/mwamjapan, https://myspace.com/mwamjapan, https://soundcloud.com/manwithamission, https://www.instagram.com/mwamofficial/, https://www.last.fm/music/man+with+a+mission
Text: Marcus
Fotos & Clips: Eric, https://www.flickr.com/photos/vanreem
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