Colos-Saal, Aschaffenburg, 29.04.2019
Als Nicht-Musiker kann ich nicht nachvollziehen, ob das gemeinsame Arbeiten an neuen Klängen leichter oder komplizierter wird, wenn man es mit mehr oder weniger Kollegen angeht. MANTARs Hälfte Hanno Klänhardt findet es im Deaf Forever-Interview (5/2018) „deutlich schwieriger, wenn Du kein Netz und doppelten Boden in Form von Gitarrensoli, Synthie-Layers oder Bass hast“. Dominik Goncalves dos Reis von DOWNFALL OF GAIA steht einem Quartett vor und schrieb bis zur vorletzten Platte alles im Duo mit einem, nicht mehr der Band zugehörigen Kollegen – erst der aktuelle Player „Ethic of Radical Finitude“ ist eine Summe aller personellen Teile. Plus Gästen. Tatsache scheint aber zu sein, dass der Sound eines Duos wie MANTAR, ebenso wie die Arbeitskleidung ihrer Protagonisten, nackter und damit fehleranfälliger ist als die Klangwand der Post-Metaller D.O.G. Was hin und wieder zu einiger Kritik an Sound und Auftreten der Hamburger bzw. Bremer Jungs, von denen einer (Klänhardt) inzwischen in Florida lebt, führt.
Aber lasst uns das mal eindeutig hier festhalten: Fehler sind mehr Rock’n’Roll als Perfektion. Und MANTAR ist innerhalb eines wie auch immer gearteten Extrem-Metal-Umfeldes aus Doom, Sludge, Punk, Black Metal und hastenichgesehen die arschgeilste Rock’n’Roll-Combo, die man sich vorstellen kann. Das Tattoo auf Klänhardts Körper spricht ebenso Bände wie das Intro vor der Show – „The Razors Edge“ von AC/DC. Laut Tonezone-Talk im Rock Hard sind die Australier der prägende Einfluss für den jungen Hanno. Offensichtlich.
Nach wenigen Minuten stehen bzw. sitzen er und sein mächtiger Partner am Schlagzeug, Erinç Sakarya, in einer Pfütze aus ihrem Schweiß wie weiland Angus Young, nachdem er sich seiner Schuluniform entledigte. All die altgewordenen Rock-Nostalgiker, die dem „Damals“ hinterherjammern und Hunderte von Euros für grottige wie gesundheitlich grenzwertige Versionen ihrer Lieben versenken: Lasst es. Wer solcherart Spirit vermisst sollte in die Clubs gehen zu Formationen wie MANTAR, hier und jetzt. Schnell kann es vorbei sein – wer weiß, was die geographische Trennung und die unterschiedlichen Lebenswege der Freunde in Zukunft bringen werden.
Bei DOWNFALL OF GAIA gab es die Zäsur bereits – das seit 2008 bestehende Quartett aus Hamburg bzw. Berlin und inzwischen auch New York hat bereits mehrere Schlagzeuger sowie den bis 2014 tätigen Gitarristen, Sänger und Mitsongschreiber Peter Wolff verloren, was sich natürlich auch auf die Soundentwicklung der Formation auswirkte. Vom atmosphärisch-sludgigem Black Metal hat sich der Vierer, bei dem nach wie vor Anton Lisovoj (auch HIGH FIGHTER, unser Bericht von 2015 dazu hier) Bass nebst Kehle bedient sowie die Neuzugänge Michael Kadnar (seit 2014, dr.) und Marco Mazzola (seit 2016, git.) aufspielen, schon ein wenig entfernt – Additionen wie ruhigere Passagen, ein zartes Klavier oder der Gastklargesang von Nikita Kamprad (DER WEG EINER FREIHEIT) zeugen vom unvermeidlichen Reifeprozess und spannender Entwicklung auf dem aktuellen Album.
Zum Vergleich: Einen Mitschnitt von der 2014er-Tour mit NEUROSIS gibt es hier. Jedoch war die Livedarbietung auch 2019 Metal as fuck, mit breitbeiniger Pose nebst Lockenpracht; trotz Gegenlicht und der Post-Vorsilbe, die den ewigen Vorwurf der Hipsterei in sich trägt. So oll, so nichtssagend. Aus einen punkigen DIY-Umfeld kommend, muss man sich bei dieser musikalischen Urgewalt minus der Fantasy-Lyrics zugunsten reflektierender Innerlichkeiten wenigstens keine Sorgen darüber machen, ob das in Vinyl, Shirts oder weiteres Merch gepumpte Geld nicht anderweitig in real menschenverachtende Netzwerke fließt. Kann man gegenwärtig nicht bei jeder guten Band behaupten, schon gar nicht bei jedem Veranstalter. Doch auch der Gast im TAAKE-Shirt war begeistert. Ich nehme das mal als Anlass, das von Anfang an unsägliche „Hipster“-Geschwafel ein für allemal in die Ablage zu versenken. 45 Minuten großes Kino für die Ohren, erlesen ohne Wenn und Aber.
Ebenso wie die knapp 70 Minuten MANTAR später. Trotz Punk-Wurzeln sowie vielleicht ähnlichen Lebensanschauungen klingen beide Bands komplett verschieden, was nicht nur solch einen Konzertabend spannend macht, sondern beide Combos auch für das Dudefest in Karlsruhe qualifizierte, dessen Eröffnung wenige Tage zuvor stattfand. Am zweiten Abend dieses Festes, an dem mit EARTH SHIP eine Formation gastierte, bei der Dominik Goncalves dos Reis bereits Gastvocals einsang, prangte der MANTAR-Schriftzug auf den Leibchen von Gästen und Mitarbeitern gleichermaßen – ein Eindruck wurde hier also definitiv ebenso hinterlassen.
Klänhardt sprach gestern in Aschaffenburg davon, erkältet zu sein und forderte sein Publikum trotz Montag auf, für ihn mitzutrinken. Ebenso ermunterte er ein fleißiges Menschenträubchen vor der Bühne, weiterhin diverse Pits zu starten – die meisten Anwesenden ließen jedoch das Duo auf dem Podest für sich rackern. Nutzten die Zwischenräume im Saal, um rasch neues Bier zu ordern und glotzten dann wieder fasziniert auf die Bretter, auf denen die beiden Nordlichter mehr Bewegung zustande brachten als ich in einem ganzen Jahr. Kollege Marcus beschrieb hier 2015 seine damalige Begeisterung – und er hatte Recht, damals. Hätte es auch heute. Bei der Hymne „Era Borealis“, kurz vor der Zugabe gebracht, wurde der AC/DC-Effekt schließlich spürbar: Es wurde langsamer mit Extra-Stampf, gut mitgrölbar. Na also, doch noch alle integriert. „Es soll wehtun, da soll der Putz von der Decke kommen“ führt Klänhardt im Rock Hard aus. Das tut er, der Putz. Durch zwei Leute. Respekt.
Links: http://downfallofgaia.com/, https://www.facebook.com/DownfallofGaia, https://www.reverbnation.com/downfallofgaia, https://downfallofgaia.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Downfall+of+Gaia, https://mantarband.com/, https://www.facebook.com/MantarBand, https://www.reverbnation.com/mantar, https://mantar.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Mantar
Text, Fotos & Clip (Mantar): Micha
Clip (D.O.G.): aufgenommen am Konzertabend von Dirk K.
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