MOSES PELHAM

Batschkapp, Frankfurt, 10.04.2018

Moses Pelham

Was man an kulturellen Besonderheiten vor der eigenen Nase hat, wird oft nicht so registriert oder gar geschätzt wie Gleichwertiges von weiter weg. Ich kenne das von mir, jedenfalls. Die Kunstausstellung am Main läuft einem ja erstmal nicht weg, die in Straßburg oder München muss man aber schnell mitnehmen. Und dann: Ups, vorbei. Die lokalen Musiker, die gefühlt alle fünf Tage in den Lieblingsclubs gastieren, kann ich mir morgen ja auch noch angucken. Der US-Star gastiert one night only, also gehen wir zu dem. Hey, wo sind gleich die musizierenden Nachbarn? Auf Japan-Tour? Heilige Scheiße. Sind die gut genug dafür? TANKARD zum Beispiel sind gut genug dafür. Irgendwann landeten sie mal in diesem Blog, allerdings relativ spät. Was das mit Moses Pelham zu tun hat? Diesbezüglich, eine Menge.

Den registriere ich vor meiner Nase mehr oder weniger seit 1989: Bei der Black Beat Night in Rüsselsheim gastierten MOTHER’S FINEST, MAZE und Chaka Khan. Eröffnet wurde der Abend von einer lokalen Combo mit zwei Rappern: Einer davon, Turbo B., wurde kurz darauf weltbekannt als eine der Stimmen von SNAP! Der andere war ein gewisser Moses P., der im selben Jahr sein Debüt „Raining Rhymes“ präsentierte. Dieses ging unbemerkt an mir sowie vielen anderen vorüber. Rap bzw. Hip Hop flutete allmählich langsam die hiesigen Konzertsäle, wohl, weil die damals noch bei uns stationierten GIs die Hallen auch ohne uns einheimische Kartoffeln füllten. LL Cool J gastierte in Frankfurt; PUBLIC ENEMY, EPMD – und die ersten davon beeinflussten Kids fingen an, in ihrer Heimatsprache zu rappen.

Zwei davon brachten den Frankfurter Stadtteil Rödelheim damit bundesweit auf die Landkarte: Das RÖDELHEIM HARTREIM PROJEKT um Thomas H. sowie Moses P. war damals so etwas wie Hardcore im Rap, was man sich heute Moses Pelhammusikalisch kaum vorstellen kann. Textlich jedoch der Urahn des heutigen Gangstarap; wie im Genre üblich wurde verglichen, bewertet und gedisst. Eine Live-Umsetzung des Albums „Direkt aus Rödelheim“ versprach spannend zu werden, ein Ticket für den 27. Februar 1994 wurde gekauft. Ich stand neben einem Nordweststädter, der ständig gen Bühne pöbelte, eine mir nicht bekannte Szene-Koryphäe, am End‘. Gemeckert wurde vom, aber auch ohne Ende zum Podest hin, an Details kann ich mich nicht erinnern, aber dass das Konzert ein rasches Ende nahm, schon. Moses schmiss hin, sehr zum Ärger einiger Fans und zur Belustigung der Hater. Wirkte nicht sehr souverän, damals. War aber schon ein Indiz für die zarte Seele, die in dem massiven Körper zu wohnen scheint.

Moses PelhamRHP habe ich daraufhin ignoriert. Bis ich die CD von Schwester S. in der Hand hielt, Sabrina Setlurs erstes Release auf Pelhams Label. „Ja, klar“ war ein toller Song, aber ein Scheißdreck gegen die Urgewalt „Die neue S-Klasse“ von 1997, veröffentlicht unter Setlurs richtigem Namen. Maschinengewehrfeuerraps wie „Du liebst mich nicht“ (Text hier) oder „Nur mir“ mit Hardrock-Kante, ein Moses PelhamAlbum zum Niederknien mit grandioser Frankfurter Straßensprache. Produziert von Pelham sowie von ihm getextet, soweit ich informiert bin. Der Gangstarap-Pate als Frauenversteher. Was direkt den Bogen schlägt zu seinem Soul-Projekt GLASHAUS, welches er mit dem 3p-Produzenten Martin Haas betreibt. Mal abgesehen von der grandiosen Stimme Cassandra Steens, die eigentlich nur Tote oder Soul-Hasser unberührt lassen kann, sind die vollkommen unpeinlichen und gefühlvollen Texte Pelhams ein Alleinstellungsmerkmal, welches ihn von vielen seiner durch das Fernsehen bekannten Kollaborateure der jüngeren Zeit abhebt. Und wem hat er und damit wir das zu verdanken? Ausgerechnet den BÖHSEN ONKELZ.

Moses PelhamIch bin kein Freund der berühmtesten Rocker, die unsere Multikultistadt hervorgebracht hat. Aus persönlichen Erfahrungen (sind lange her), aus Fassungslosigkeit über vergangenes Geschwätz der Herren und aus demzufolge mangelndem Interesse an ihrem Werk. Wie Pelham jedoch schon mehrmals betonte (unter anderem hier), hat er seinen Wechsel von Englisch zu Deutsch eben jenen zu verdanken. Hätten das nicht auch Rio Reiser oder der frühe Lindenberg übernehmen können? Im „20 Jahre Batschkapp“-Jubiläumsprogramm scherzte der Rödelheimer vor 21 Jahren und nach weiteren Konzerten dort mit RHP, dass er „eine Runde ONKELZ-Shirts“ ausgibt: In der Batschkapp war das Tragen solcher jahrelang verboten.

Moses PelhamNun, diese Zeiten sind vorbei: Bei den von mir besuchten Pelham-Konzerten am 10. und am 16. April gab es nicht nur solche Leibchen im Saal, sondern mit dem Sample aus deren Song „Koma“ in dem Pelham-Stück „Für die Ewigkeit“ einen Moment, der sehr nah an ein dort stattfindendes ONKELZ-Konzert Moses Pelhamheranreicht. Ob wir das noch erleben werden bezweifle ich zwar, mit dem Auftreten von ONKELZ-beeinflussten Grauzonenbands wie zum Beispiel UNANTASTBAR aber wäre so etwas höchstens noch wegen der Saalgröße als Überraschung zu werten. Egal: Wenn wir es letztlich Stefan Weidner zu verdanken haben, dass Pelham lyrische Großtaten wie „Haltet die Welt an“ verfasst hat, dann schlägt das bei mir durchaus als Pluspunkt zu Buche. Wenn es auch der einzige ist, bisher.

Als Moses Pelham 2017 die Goethe-Plakette seiner Heimatstadt erhielt (Details hier und hier) waren davon einige, wie etwa der Frankfurter Musikjournalist Klaus Walter, ganz und gar nicht angetan. In einem ziemlich blöden Interview im Hessischen Rundfunk vom November 2017, bei dem der Moderator nicht viel Moses Pelhamvon Pelham mitgeschnitten zu haben schien, seitdem dieser Stefan Raab die Nase brach (1997), beschränkte Walter Pelhams Werk auf seine ONKELZ-Connection und kritisierte die Preisverleihung als solche, wenn auch Künstler wie Sven Väth (2015) so ausgezeichnet werden. Für die Reputation Frankfurts ist deren Werk jedoch nicht weniger bedeutsam als beispielsweise das Prof. Claus Helmers der Frankfurter Komödie. Lyrisch passt das bei Pelham sowieso.

Moses PelhamNachdem Moses Pelham mit GLASHAUS eine längere Pause eingelegt sowie solo seine „Geteiltes Leid“- Trilogie abgeschlossen hatte, erschienen 2017 neue Werke unter beiden Namen, welche 2018 exzessiv betourt werden. Die Bands weisen einige Überschneidungen auf: So spielt der Cellist Raphael Zweifel (der schon mit den TOTEN HOSEN gearbeitet hat) sowie der RODGAU MONOTONES-Gitarrist Ali Neander in beiden Formationen mit. Bei Pelham dabei ist die GLASHAUS-Interimssängerin Peppa Singt sowie die quirlige Rapperin Tice, die außerdem das Vorprogramm der Pelham-Shows bestreiten sollte. Wäre da, ach, die Bombe nicht gewesen.

Bei Bauarbeiten in Frankfurt werden gegenwärtig ständig Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg ausgebuddelt – Evakuierungen und nächtliche Entschärfungen sind die Folge. Am 10. April wurde eine vor dem Moses PelhamEinrichtungshaus Poco gefunden und ernsthaft erwogen, das an diesem Tag stattfindende Pelham-Konzert ausfallen zu lassen. Doch was hätte das für organisatorische Konsequenzen gehabt: Beim ersten der drei ausverkauften Batschkapp-Konzerte im April wurde gefilmt was das Zeug hielt, wenige Pressevertreter zugelassen und alles für eine eventuell später erfolgende Videovermarktung absolviert. Der Warm-Up-Auftritt Moses PelhamTices wurde stattdessen gestrichen und um Punkt 20 Uhr alle Anwesenden darauf aufmerksam gemacht, dass das Konzert um 22 Uhr enden müsse. Vorher würde der Getränkeverkauf schon eingeschränkt werden – die letzte Bahn sollte gegen 23 Uhr die Station Gwinnerstraße verlassen. Bombenstimmung unter Druck, sozusagen.

Dem Konzertablauf merkte man das jedoch nicht an: Nach vier Nummern des aktuellen MP-Drehers „Herz“, bei dem Pelham in „Neubeginn“ seine Beefmüdigkeit formulierte („Aber ich bin jetzt Veganer und kein bisschen Moses Pelhamaggressiv“, den PETA-Stand gabs in der Halle obendrauf, kaum goutiert vom Großteil des Publikums.) ging es den ersten Schritt zurück mit „Höha“ von „Geteiltes Leid 3“. Songs dieser Trilogie waren ebenso Bestandteil des knapp zweistündigen Konzertes wie eine Erinnerung an RHP („Wenn es nicht hart ist ist es nicht das Projekt“) mit Gast Costa Meronianakis, der vor Jahren als Illmat!c zur Frankfurter Rap-Ursuppe Moses Pelhamzählte und heute meist als Comedian seine Kohle verdient. Das erste Zusatzkonzert am 16. April verlief bombenfrei und damit entspannter, etwas länger sowie mit etwa 20 Minuten Vorprogramm von Energiebündel Tice, deren Zeug man hier bei Bandcamp hören kann. Bei „Strugglin’“ durfte Neander eine Strophe rappen (durchaus beeindruckend) und den Refrain von „Erbarmen! Die Hesse komme“ allen mitgeben, die noch nichts über sein anderes Betätigungsfeld wussten.

Beide Pelham-Konzerte waren gleichermaßen Rap wie Soul-Events. Pelham singt inzwischen häufiger, auch mal eine Strophe auf Englisch. Hymnen wie „Meine Heimat“, trotz Omnipräsenz bei Vox, passen ebenso auf einen Gig von GlashausGLASHAUS (rechts). Deren ausverkaufter Auftritt im Januar war gediegener und hatte bisweilen schon Smooth-Jazz-Format, entpuppte sich jedoch als nicht minder beeindruckend. Pelhams Buddy OB Peter Feldmann war, kurz vor der Wahl, auch zugegen; attestierte dem Musiker, dass „die Nacht heute ihm (Pelham) gehöre“ und meinte damit wohl die ganze, hochklassige Formation. Eine Publikumsverkostung mit „Schnaps für alle“ fand aber, ungleich dem Union Hallen-Auftritt 2005, leider nicht statt – der Song wurde erst bei den beiden Pelham-Shows gespielt.

Moses PelhamDrei herausragende Abende waren das mit weit über sechs Stunden Musik. Originär, anregend, großartig. Angeführt von einem Künstler aus der Nachbarschaft, der trotz Egozentrik und manchmal triefendem Pathos ein Teamplayer ist, der Talent sammelt, fördert und ein Forum gibt. Der einen Moses PelhamScheiß gibt auf Herkunft, Hautfarbe wie sozialen Status und der damit wunderbar zur Multi-Kulti-Hochburg Frankfurt passt (die vom Rest der Republik, laut Zeit-Umfrage, wenig geschätzt wird, siehe hier. Diese Narren.). Der mit enormen Wortschatz und großer Empathie gleichermaßen verbal Kämpfe austragen kann sowie große Gefühle unpeinlich transportiert. Hätte Pelham die Goethe-Plakette noch nicht verliehen bekommen: Schnellstes Nachholen wäre Pflicht. Unterhalten wir uns in ein paar Jahren diesbezüglich bitte mal über HAFTBEFEHL.

Links: http://www.mosespelham.de/, https://www.facebook.com/mosespelham/, https://www.last.fm/de/music/Moses+Pelham

Text & Fotos: Micha
Fotos aufgenommen am 10.04. und 16.04.2018 bei Moses Pelham & Band sowie am 25.01.2018 bei Glashaus

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