MS Connexion Complex, Mannheim, 8.02.2019
Im Gegensatz zu den Autoren von Musikmagazinen oder Feuilleton-Schreibern haben wir hier als Blogger einige Vorteile: Gerade Letztere müssen in besonderem Maß „die Form wahren“; alle haben einen Informationsauftrag. Wir auch. Da wir Blogger uns den aber selbst gegeben haben und – kann man durchaus auch als Nachteil sehen – keine Bezahlung für unser Tun erhalten, haben wir ein paar Freiheiten mehr als unsere bekannteren Kollegen. Stilistisch können wir zum Beispiel Konzertreviews auf unterschiedliche Weisen angehen: Geschult durch unsere Vorbilder im Journalismus oder streng subjektiv – als Berichterstatter zwischen Fan und Troll; mit der eigenen Meinung als Maß aller Dinge oder dem Versuch, allen Beteiligten gerecht zu werden und dem Künstler in erster Linie für sein Schaffen Respekt zu zollen, unabhängig vom eigenen Gusto. Wie wir das hier im Einzelnen so hinbekommen, sollen Andere entscheiden. Diesmal jedoch treibt mich mehr an als das Abfeiern von geschätzten Musikanten, deren Großartigkeiten noch nicht bekannt genug geworden sind in der Welt (obwohl das auch eine Rolle spielt). Diesmal geht es auch um Haltung. Um Ambivalenzen. Und um Entscheidungen. Verehrte Lesende: Wir waren bei NECROS CHRISTOS.
NECROS CHRISTOS sind eine seit 2001 existierende Death Metal-Formation aus Berlin. Sie haben eine starke Doom-Schlagseite, weswegen sie auch schon auf dem Hammer of Doom-Festival auftraten (2012). Inhaltlich gelten sie als eine okkulte/spirituelle/kabbalistische Band, ihre Themen zeugen von tiefem inhaltlichem Studium religiöser Texte und entziehen sich Fachfremden völlig. Ich habe bisher noch kein Interview mit NECROS CHRISTOS‘ Mastermind Mors Dalos Ra gelesen, welches diesbezüglich auf Augenhöhe stattfand. Aussagen wie „NECROS CHRISTOS ist das Endwesen der Sitra Di-ssmala und nichts weiter als das dunkle Selbst des ewigen Ain Soph“, getätigt gegenüber dem Magazin Virus #41 (Juni/Juli 2011) unterstreichen diese These vielleicht.
Ich habe mich ungefähr zur gleichen Zeit in das Album „Doom of the Occult“ verliebt, weil ich mich, trotz meines atheistischem Weltbildes, häufig angesprochen fühle vom musikalischen Werk spiritueller Künstler, auch wenn ich ihre Visionen nicht teile – das umfasst Christen wie David Eugene Edwards von WOVEN HAND oder Johnny Cash ebenso wie Vertreter des gegenteiligen Spektrums aus der Metal/Hardrock-Szene – dort vor allem Menschen wie die von THE DEVIL’s BLOOD oder WATAIN. Dabei spielten vor allem die akustischen Einspieler zwischen den DM-Brechern auf diesem Album eine Rolle – die als „Temples“ oder „Gates“ bezeichneten, fast schon „folkigen“ Stücke veranschaulichen den ganzheitlichen Ansatz von NC in Form einer akustischen Beschäftigung mit den Klängen des biblischen Altertums, salopp formuliert. Ich kapiers nicht, höre es aber gerne (im Gegensatz zu vielen DM-Fans, die das Ganze nur im Gesamtpaket ertragen).
Auf dem Hammer of Doom 2012 war davon leider nichts zu hören, seitdem wartete ich auf eine Headliner-Tour in der Nähe. Nach Veröffentlichung des aktuellen Triple (!)-Albums „Domedon Doxomedon“ (2018), laut Mors Dalos Ra ihr letztes, war es endlich soweit – Mannheim wurde als erreichbarstes Ziel auserkoren. Als Vorband wurden VENENUM aus Franken bestätigt: Vor fünf Jahren sah ich die erst- und letztmals (Bericht hier), der Eindruck damals war okay soweit. Sowie eine weitere Combo, auf die ich später noch zu sprechen komme.
VENENUM hatten in der Zwischenzeit ein Album rausgehauen, welches Metal-Kritiker allenorten auf die Knie sinken lässt und welches ich (durch dessen Absenz bei den Streamingdiensten) nicht kannte, als ich mich im grünen und blauen Gegenlicht vor der Bühne entzücken ließ. Schande. Nach den 55 Minuten war ich geläutert und erstand das Prachtwerk namens „Trance of Death“ (oder kurz: T.O.D.), welches schon in die Plattenbestenliste 2017 gehört hätte. Auch hier: Heftiger Death Metal mit Ausreißern in andere Genres – Black in der Wirkung, Prog in der Attitüde, Psychedelic in der Wahrnehmung, oder anders: Ganz viel drin in diesen Klängen.
Selbstvergessen zockte sich das Quartett, welches an der zweiten Gitarre mit D.P. einen Neuzugang seit 2015 aufweist, durch eine bewusstseinserweiternde Performance, die mich und einige Andere mit offenem Mund zurückließ. Das Highlight des Abends, es stand auf diesem Billing für mich an zweiter Stelle. Nicht wenige sahen das jedoch anders, was man auch daran merken konnte, dass es vor der Bühne am engsten war bei dieser anderen Formation, die den Abend eröffnete. Deswegen folgt jetzt hier eine dieser Entscheidungen, mit denen ich mich vor dem Verfassen dieses Textes schwer tat. Aber okay: Reden wir nun über den Opener, (fast) überall auf dieser Tour.
Reden wir über ASCENSION aus Sachsen-Anhalt. Und reden wir mal über Prioritäten in der Underground- bzw. Black Metal-Szene. Ich kannte die Band vor dem Konzert nicht, registrierte aber, dass für einige ASCENSION der heimliche Headliner zu sein schien. Die 50 Minuten im Nebel und rotem Gegenlicht, die ich für einen Opener erstaunlich lang fand, überzeugten mich beim ersten Hören auch nicht so besonders. Später nochmal hören, nahm ich mir vor – im Gegensatz zu VENENUM findet man ASCENSION bei den Streaming-Diensten durchaus. Irgendwann nahm ich im Thread zur Tour, im Forum des Deaf Forever, jedoch wahr, dass es Diskussionen über diese Kapelle gibt. Die einen sagen, wie geil die doch sind. Die anderen: Schon. Veröffentlichen aber auf einem Nazi-Label. Wie geht man damit um?
Ich las mich noch ein wenig in die Materie ein und stellte fest, dass es im Forum dieser Zeitschrift schon an anderen Stellen Diskussionen über ASCENSION gab. Sie hatten einen eigenen; sie tauchten auf im „Persona Non Grata“-Thread, in welchem sich die Leser Bands wünschen, über die lieber nix im Heft zu finden ist. Die Diskussionen drehten sich im Kreis, wiederholten sich – nicht jeder, der über ein Thema stolpert, liest stundenlang, was andere User in der Vergangenheit dazu geschrieben haben. Nachdem sich Wolf-Rüdiger Mühlmann, Metalschreiber-Koryphäe (ehemals für das Rock Hard und nun beim Deaf Forever) sowie Konzertveranstalter, höchstselbst in den Tour-Thread einmischte und dabei hochgradig genervt wirkte, weil ja angeblich bezüglich ASCENSION durch ein Interview in Heft 3/2015 alles geklärt und die Combo ja wohl mehr als unbedenklich sei, tat ich das. Las die Postings in den Threads dazu. Sowie das Interview im Heft. Besonders bei letzterem wurde mir schlecht.
Sortieren wir die Fakten. Da heißt es zum Beispiel unisono: Die Band hat sich niemals faschistisch, fremdenfeindlich oder ähnlich geäußert in ihrem Wirken. Niemand behauptet das Gegenteil, scheint also wohl zu stimmen. Veröffentlicht wurden alle ihre Werke auf dem Label World Terror Commitee. Dieses wird geleitet von Sven „Unhold“ Zimper, der, laut ASCENSION im Deaf Forever-Interview, „uns entdeckt und immer großartige Arbeit geleistet hat. Das ist das Wichtigste für uns.“ Zimper ist selber Musiker, verantwortet LUROR (mehr dazu hier) und spielte bei ABSURD (hier). Auf seinem Label findet man viele Formationen, die ich nicht kenne – aber auch HORNA (hier). Mit denen sowie dem PESTE NOIRE-Boss La sale Famine de Valfunde versteht sich Zimper scheinbar blendend (klicke hier).
Jeder, der sich die Zeit nimmt und ein wenig recherchiert zum Label und der Person des Labelbosses, der sich so aufopfernd um ASCENSION gekümmert hat, sollte klar sein, wessen Geistes Kind ebendieser Zimper ist. ASCENSION veröffentlichen auf seinem Label. Das bedeutet, jeder verkaufte/gestreamte Tonträger wirft etwas ab für ein Nazi-Netzwerk. Wen jucken da noch die nostalgischen oder ehrwürdigen Gefühle der hier besprochenen Musikanten? Nun, anscheinend W-R. Mühlmann. Dieser unterbindet den Austausch im Forum mit einem genervten sowie inhaltlich nebulösen „Alle(s) weitere dazu ein andermal, ich gucke gerade Fußball und habe danach Quality Time“ am 9. Februar 2019, also einen Tag nach dem Konzert in Mannheim. Äußert sich danach jedoch nicht mehr dazu. Weil er es ja schon mal tat, im Interview im Deaf Forever 3/15? Doch wie sah dieses Interview eigentlich aus?
Unter der Überschrift „Jetzt Tacheles!“ wird so ziemlich das Gegenteil geredet. Mühlmann und Heftboss Götz Kühnemund, welcher in der Vergangenheit Kämpfe aufnahm mit Bands wie SLAYER oder MANOWAR (was vermutlich Anzeigen und Leser kostete) entschuldigen sich schon im Vorfeld für die kommenden Fragen zum Thema Label und suggerieren, dass sie ja eigentlich Bescheid wissen und es ihnen arg unangenehm ist, aber die Leser wollen das gerne wissen und überhaupt, wir sind ja alle erwachsen hier, blablabla. Zeigen Verständnis, bevor man als Leser weiß, wofür. Und lassen ASCENSION-Mitglied M tatsächlich mit der Aussage davonkommen, dass er sich „nicht mal sicher (ist), ob es diese (NSBM-) Szene überhaupt gibt“. Das ist nicht Tacheles, sondern Hofberichterstattung.
Weniger schleimig und aufschlussreicher ist dieses Interview hier, aber jetzt mal im Ernst: Im Grunde liegt das Problem in der Tatsache begründet, dass ASCENSION scheinbar für viele so ein Knaller sind wie für mich VENENUM – und das Zeug deswegen stressfrei gehört sowie live gesehen werden muss. Wären ASCENSION eine Kack-Band, wäre das kein Thema. So aber stagniert ein Großteil der Underground-Metal-Szene in der Bewunderung der Kunst und vergisst dabei die gesellschaftlichen Konsequenzen („W.T.C. ist ein astreines Label, hat immer faire Preise und ist zuverlässig. Die politische Einstellung vom Inhaber juckt mich da wenig.“ Ein Forums-User). Die da wären: Faschos werden wirtschaftlich stärker. In einigen Gebieten in Deutschland kommt man schon kaum mehr drum herum, Nazis zu supporten – etwa, wenn die Wohnung renoviert werden muss oder das Klo leckt (hier).
Weiße Metal-Fans zeigen sich bezüglich des braunen Mistes tolerant, weil sie nicht von deren Ausgrenzung betroffen sind. Waren PoCs in Mannheim am Start? Keine gesehen. Aber Skinheads und Metaller, auf deren Kutten „Deutschland“-Aufnäher klebten zwischen denen der Metal-Logos. Wenn die Metal-Szene wirklich so anti- bzw. rebellisch wäre, wie sie sich seit Jahrzehnten gerne sieht und verkauft, während ihre bekanntesten Protagonisten Stadien füllen sowie Selfies mit Fans für mehrere Tausend Euros verticken – dann würden sie sich gegen den zunehmenden Mainstream positionieren, der rechtsoffen und pseudotolerant agiert. Gerade in Bayern, Sachsen oder Sachsen-Anhalt. Solidarität mit den Underdogs wäre vonnöten, nicht mit der immer weniger schweigenden Mehrheit, die national befreite Zonen errichtet und über „Überfremdung“ wettert. So wie es der Nürnberger Club „Der Hirsch“, nach Anregung der Initiative Das Schweigen Durchbrechen, letztlich tat, als der Gig von ASCENSION gecancelt wurde, die beiden anderen jedoch auftraten (hier).
Ich habe lange überlegt, ob ich überhaupt eine Review zu diesem Abend verfassen soll, trotz aller Begeisterung für VENENUM und auch NECROS CHRISTOS. Die spielten am Ende satte 65 Minuten, unterteilten Ihr Set durch live gespielte Temples & Gates und beglückten die Anwesenden aufgekratzt auch noch mit einer zehnminütigen Zugabe, die zwar nicht gefordert, aber gerne angenommen wurde. Nach Abschied sah das alles nicht aus, eher nach einer großartigen Party. Die von Einigen nicht mehr wahrgenommen wurde, die nur wegen des Openers erschienen waren. Und die deswegen ein flaues Gefühl bei mir hinterließ. „Man kann doch nicht ernsthaft von einer BM-Band erwarten, dass sie nicht aneckt“ berichtet Z von ASCENSION im besagten Interview. Mission gelungen, würde ich sagen. Aber bei wem man aneckt, ist vielleicht auch nicht ganz uninteressant. Ich wünschte mir, dass Supportern von Grauzonenbands klar wird, worauf sie sich da einlassen. Egal, wie geil ihre Combos auch sein mögen. Und das ist hiermit der erste und letzte Post von mir zu einem Event, der Nazis wirtschaftlich oder anders helfen könnte. Ich freue mich diesbezüglich sehr auf die anstehenden „Hipster“-Metal-Konzerte in Aschaffenburg und Karlsruhe.
Links: https://www.darknessdamnationdeath.com/, https://www.facebook.com/darknessdamnationdeath, https://necroschristos.bandcamp.com/, https://soundcloud.com/darknessdamnationdeath, https://www.last.fm/de/music/Necros+Christos, http://www.munenev.com/, https://venenum.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Venenum
Text, Fotos & Clips: Micha
Alle Bilder:
Eine Deutschland Fahne ist also schon ein Zeichen dafür, dass man ein Faschist ist, sehr interessant.
Steht so nicht im Text. Jemanden, der sein Vaterland preist, halte ich aber nicht für eine „rebellische“ Person, sondern für eine staatstragende, sonst wär der Aufnäher ja irgendwie widersinnig. Darum ging’s in diesem Zusammenhang.