Schlachthof, Wiesbaden, 20.05.2019
Harte Bands mit Sängerin, die nicht einem einzigen Genre zuzuordnen sind, sondern Stilmischmasch betreiben: Gute Zeit gerade für die. Und für uns, die wir deren Zeug hören dürfen. BRUTUS spielen in dieser Woche, darauf freut sich der Rezensent hier ebenso wie die Mitarbeiter von Metal-Magazinen sowie dem Kreuzüberheft Visions. Letzteres machte auch darauf aufmerksam, dass PAGAN aus Melbourne/Australien nach einem Kurzbesuch Ende 2018 nochmal Deutschland beehren – mit Stopp in Wiesbaden. PAGAN? Wer ist das denn?
PAGAN sind ein seit 2015 existierendes Quartett mit, Ihr ahnt es, Sängerin, die harte Musik macht. Hart im Sinne von Hardcore, aber auch im Sinne von Black Metal. Die dabei mit den typischen BM-Attributen spielt – auf einem (ziemlich geilen) Promofoto schüttet PAGANs Stimme Nikki Brumen Rotwein auf ihr Gesicht, welcher Spuren hinterlässt auf ihrem weißen Shirt – während ihre Band-Kollegen das Etikett des Weins checken beziehungsweise die Reaktion des Betrachters studieren (hier). „Death-Punk’n’Roll“ fällt Visions dazu noch ein, was nicht falsch ist.
PAGANs erstes Album (nach einer 2016 über die Online-Musikplattform Bandcamp veröffentlichten EP) erschien 2018, heißt „Black Wash“ und ist großartig, wenn man hochenergetischen, leidenschaftlichen Rock mag, der sich wenig um Genre-Grenzen schert. Und ja, der auch zum Teil discokompatibel ist. Es ist der Beat, Baby. Der Rhythmus, wo man mit muss, hätten Eure Großeltern gesagt. Dieser Haufen hier rockt, groovt, zerstört auf die uns allerliebste Weise und gehört gehört. Das Kesselhaus des Schlachthofes war zum Glück besser besucht als so manch anderer Austragungsort interessanter bis fantastischer Acts der jüngsten Zeit, aber nicht so voll, wie es der Combo geziemt, meiner Meinung nach. Vielleicht hat da aber auch jemand das falsche Vorprogramm ausgesucht.
MICROWAVE aus Atlanta/USA anyone? Also, in den von mir gelesenen Musikmagazinen kamen die bisher nicht vor, oder ich hab sie überlesen. Selbst laut.de, sonst für jeden popmusikalischen Spaß zu haben, verweigert die Aussage. Dafür verschafft Stereogum Abhilfe, erzählt hier interessante Hintergründe zu den Ursprüngen und Themen der 2012 gegründeten Formation. Rein musikalisch jedoch kackten die US-Amerikaner in meiner Welt gegen die folgenden Australier extrem ab. Zwar war das Quartett mit vollem Körpereinsatz dabei und bewegte sich wie eine exaltierte Stoner-Band, fabrizierte jedoch Klänge zwischen Heartland- oder College-Rock, Nineties Style. Nicht reizlos, so allgemein. Ich würde jedoch die Behauptung wagen, dass aufgrund des Songmaterials MICROWAVE auch zum Beispiel gegen BUFFALO TOM den Kürzeren gezogen hätten, hätten sie bei denen „angeheizt“. Was passender gewesen wäre.
Mit PAGAN schien die Bewegungsfreude kompatibel, zumindest solange, bis diese höchstselbst die Bühne betraten. Nachdem ich mir zuhause noch einiges von MICROWAVE zu Gemüte führte bleibe ich (ganz subjektiv) dabei, dass mich diese Formation trotz interessanter Themen musikalisch kaum anspricht. Kann sie ja nix für. Ich denke jedoch trotzdem, dass es passendere Kandidaten für das Vorprogramm hätte geben können. Beispielsweise AZUSA, laut eigener Aussage „Avant-Thrash for the discerning listener“, bei denen sich Leute von THE DILLINGER ESCAPE PLAN sowie SEA + AIR treffen um zu, äh, lärmen. Aber die eröffnen am 6. August an gleicher Stelle für THE CONTORTIONIST. BRUTUS wiederum headlinen inzwischen selber.
Egal, PAGAN bräuchten eigentlich auch kein Vorprogramm, würden sie etwas länger spielen. Etwas, welches aufgrund der Tatsache, dass ihr Erstling eben nur elf Songs aufweist und sie beim Performen desselben so dermaßen abgehen, dass eigentlich ein Sauerstoffzelt neben der Halle auf sie warten müsste, schwer möglich erscheint. PAGAN traten letztlich nur 45 Minuten auf, die gehörten aber mit zum Großartigsten, was ich bisher in diesem Jahr an Live-Musik erleben durfte.
Im Gegensatz zum Kölner Gig im Dezember (laut Visions) verzichtete Brumen dieses Mal darauf, eine Weinflasche mitzunehmen und den Inhalt irgendwann über sich zu ergießen – dieses Mal soff sie während der Show, wie die meisten anderen Anwesenden auch, Becks Bier. Sich das aufs Dekolleté zu kippen ist optisch weniger der Bringer, weswegen sie das wahrscheinlich auch sein ließ und das Zeug nach jedem Song kurz zu sich nahm, ohne das aber zu übertreiben. War ja keine Zeit dafür. Nicht nur Brumen riss Kilometer ab, rannte, rammte ihre Faust in die Luft, sprang, bängte oder sank singend zu Boden, nein: auch ihre Mitstreiter an den Saiteninstrumenten, Xavier Santillis an der Gitarre sowie Dan Bonnicis am Bass klebten kaum an ihrem Standort, im Gegensatz zum Drummer Matt Marascos, bei dem das naturgemäß schwieriger wäre.
Der machte sich dagegen besonders gut unter dem eindrucksvollen Logo der Musiker, der Kreuz-Kerze, die gleichermaßen hip wie okkult erscheint. Vielleicht ist in der Metal-Presse nichts über PAGAN zu lesen weil sie deren Insignien auf eine Art modifizieren die, aus Trveness-Sicht, eher unvorteilhaft erscheint. Drauf geschissen. Bei aller Liebe zur Party war das purer Metal, genau so, wie ihn der Großteil seiner Hörer eigentlich abfeiert: Rebellisch und Anti-Mainstream. Eben auch Anti-Metal-Mainstream, inklusive Stilmischmasch. Seht sie Euch an, wenn es geht, ebenso wie BRUTUS oder AZUSA. Was leben wir in großartigen (musikalischen) Zeiten.
Links: http://www.mcrwv.com/, https://facebook.com/microwavetheband/, https://microwavetheband.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Microwave, https://pagancult.tumblr.com/, https://facebook.com/pagancult666/, https://paganhassle.bandcamp.com, https://www.last.fm/de/music/Pagan
Text, Fotos & Clips: Micha
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