Batschkapp, Frankfurt, 19.10.2017
Zwei der ehemaligen „Big Three“ des Doom Metal innerhalb von zehn Tagen in Frankfurt? Feine Sache. Nur sind die einzigen, die ihren Doom fast 30 Jahre später immer noch spielen, leider nicht dabei, nämlich MY DYING BRIDE. ANATHEMA wiederum (am 29. Oktober in der Batschkapp) spielen seit Jahren sehr feinen, melancholischen Progrock, auch gut. PARADISE LOST dagegen – je nach Sichtweise haben die schon eine ganze Menge durch (inklusive Scheiben, die man auch DEPECHE MODE zuordnen könnte, wenn die einen miesen Tag haben) oder sind ihr eigenes Genre. Bedingungslose Anhänger neigen wohl eher zum Letzteren. Obwohl: Gibt es die überhaupt? Also Leute, die alles von PL feiern? Also, ich gehöre nicht dazu, obwohl ich weit mehr Platten von denen mag als die meisten anderen Fans.
Ich höre PARADISE LOST seit 1992, also seit „Shades of God“. Aufmerksam auf sie wurde ich durch das Platten-Cover von Dave McKean, einem britischen Illustrator und Jazz-Pianisten, der zu dieser Zeit zusammen mit Neil Gaiman hervorragende Comics unter dem Vertigo Label der DC-Comics veröffentlichte. Von einer „neuen britischen Invasion“ sprach man da in den Staaten, bezogen auf diese Ausnahmetalente von der Insel. Auf die Death- und Doom Metal-Bands dieser Tage traf diese Aussage ebenfalls zu. Ob das auf „Shades of God“ Doom Metal war, war mir zu diesem Zeitpunkt relativ schnurz – ich mochte die kraftvollen, düsteren Songs ebenso wie ich einige Jahre zuvor die der SISTERS OF MERCY mochte. Deren Einfluss war bei PARADISE LOST durchaus zu hören. Das ein Jahr zuvor veröffentlichte PL-Album hieß dementsprechend „Gothic“ und wurde zum Paten einer Crossover-Szene zwischen Wave und Metal, aus der gleichermaßen Klassiker wie Peinlichkeiten erwuchsen (und es immer noch tun).
Der Schwenk zu Tracks, die so ähnlich von DEPECHE MODE geschrieben sein könnten (nachdem diese den reinen Synthie-Sound verließen und vermehrt zur Gitarre griffen), wurde von den Anhängern der sogenannten schwarzen Szene durchaus goutiert, von den Metal-Fans jedoch weit weniger. Dass die Live-Qualitäten PLs zudem durchaus schwankten und alte Fan-Faves wie „As I Die“ zwar gespielt wurden, jedoch mit solch einem Widerwillen, dass es besser gewesen wäre, es nicht zu tun, vergrätzte viele Wohlgesonnene.
Doch seit einigen Jahren veröffentlichen PARADISE LOST Tonträger, die auch den Freunden ihres Frühwerkes Spaß machen. Alle Scheiben seit „Faith Divides Us – Death Unites Us“ (2009) sind für mich sehr gut hörbar, die letzten beiden sogar extrem gut. Die Songs sind weniger käsig als die von mir ebenso geliebten aus der Schwarzkittelzeit, Synthies und Chöre spielen kaum eine Rolle mehr. Dafür findet man ziemlich frische Kompositionen, die man solch einer Institution nicht unbedingt zutrauen konnte. Doch würde sich das auch live bemerkbar machen? Ich sollte es später erfahren.
Der Abend begann mit einer Formation aus Portugal, die mir völlig unbekannt und extrem originell war, egal ob man das mochte oder nicht. SINISTRO mit der Sängerin Patricia Andrade gelten als Doom-Band ähnlich wie JEX THOTH – und in der Tat zelebrieren beide Frontfrauen theatralisch ihre Performance. Das wars aber mit den Ähnlichkeiten. Andrade arbeitet mit ihrer Stimme so, wie es Schauspieler tun (es gibt auch eine portugiesische Mimin mit dem identischen Namen – ob es sich hierbei um die gleiche Person handelt, entzieht sich meiner Kenntnis) – sie flüstert, sie rezitiert, sie schreit, sie schnurrt.
Dabei hampelt sie sich krampfartig so in Extase, dass man gar nicht anders kann als sie anzustarren, auch wenn man von ihrem Vortrag kein Wort versteht. Wie eine Chanson-Sängerin, die man an die Steckdose klemmt. Anders als Kolleginnen wie Jex strahlt Andrade dabei sehr viel Herzlichkeit aus, wenn sie zwischen den Stücken ins Publikum lächelt und vertraute Gesichter begrüßt. Musikalisch untermalt war das vom Allerfeinsten, druckvoll und mächtig. ESBEN AND THE WITCH würde ich als artverwandt ansehen. Die erste halbe Stunde des Abends trug diesen schon, ich war entzückt. Bitte als Headliner wiederkommen.
Alle Welt liebt PALLBEARER aus Little Rock, Arkansas – die Metal- wie die Indie-Presse. Ich nicht. Ich halte kein PALLBEARER-Album durch, trotz großartiger Momente darauf. Am Ende nerven mich diese Prog-Metal-Lalalas extrem, die auch die letzte MASTODON für mich unhörbar machten. Aus diesem einfachen Grund interessierte es mich in der Vergangenheit wenig, wenn sich PALLBEARER als Hauptact, zum Beispiel im Wiesbadener Kesselhaus, ankündigten.
Jetzt musste ich sie mir anschauen – und das war auch gut so, denn was das Quartett um die beiden Songschreiber Brett Campbell (Gitarre und Gesang) und Joseph Rowland (Bass und Gesang) knapp 45 Minuten lang ablieferte, verdiente als einziges am gestrigen Abend das Prädikat „Metal“, wenn man damit auch eine gehörige Portion Aggro assoziiert. Eine Doom-Band mit Punk-Attitüde, inklusive verbalem Arschtritt von Basser Rowland. Ich konnte nicht fassen, dass das dieselbe Combo sein sollte, die mich auf CD so anödete. Aber doch, sie wars. Die Platten gefallen mir zwar nach diesem fulminanten Gig immer noch nicht, meine Besuchspolitik werde ich aber ändern – das war ein Brett in fettester CROWBAR-Tradition, live. Auch bitte als Headliner wiederkommen.
Aufmerksame Leser werden bemerkt haben, dass ich PARADISE LOST demzufolge weniger „Metal“ attestieren werde. Dabei spielten diese eine Traum-Setlist aus großartigen neuen Stücken (Ja, bei PARADISE LOST ergibt sowas Sinn. Bei METALLICA leider weniger.) und Klassikern, die, vergleicht man die Einträge auf Setlist.fm, täglich wechselten. So musste/durfte Frankfurt auf ein vielleicht rausgekotztes „As I Die“ verzichten im Gegensatz zu Saarbrücken und Nürnberg, bot dafür aber zum Beispiel „True Belief“, sehr zu meiner Freude. Und zum Gefallen des Doom-Experten neben mir „Eternal“ vom „Gothic“-Album. Die neueren Songs wie „Beneath Broken Earth“ sind meiner Meinung nach sowieso über jeden Zweifel erhaben. Trotzdem (und das kann man einer Band, die seit 30 Jahren dabei ist und bis auf den Schlagzeuger noch in der Ur-Besetzung spielt, nicht unbedingt zum Vorwurf machen) wurde alles extrem routiniert abgespult, ohne Raum für Spontanitäten.
Da rissen auch die Witze von Nick Holmes über Growlen oder Nicht-Growlen nichts raus. Das ist jedoch Jammern auf hohem Niveau, denn unterm Strich heißt „routiniert“ ja nicht „schlecht“. Im Vergleich zu der einen oder anderen Live-Leistung in der Vergangenheit war das sogar ganz großes Kino. Etwas steril nur, im Vergleich zu den Support-Acts. Und „steril“ ist nicht unbedingt der Metal meiner Wahl. Dazu passte dann auch, dass der aktuelle Tonträger bereits vorsigniert zum Preis von 25 Euro am Merchtisch zu haben war – am Verkaufsstand vorbeizuschauen und vor Ort zu signieren ist was für die Support-Acts. Trotzdem bitte wiederkommen und noch mehr solche Alben veröffentlichen, die kauf ich dann auch gerne. Woanders.
Links: http://www.sinistroband.com/, https://de-de.facebook.com/sinistroband/, https://projectosinistro.bandcamp.com/sinistro, https://www.last.fm/de/music/Sinistro, http://pallbearerdoom.com/, https://www.facebook.com/pallbearerdoom, https://soundcloud.com/pallbearerdoom, https://www.last.fm/de/music/Pallbearer, http://www.paradiselost.co.uk/, https://www.facebook.com/paradiselostofficial/, https://www.reverbnation.com/paradiselostband, https://www.last.fm/de/music/Paradise+Lost
Text, Fotos & Clips: Micha
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