Schlachthof, Wiesbaden, 15.12.2017
Das Konzert am Abend des 23. Oktober 2014 war ein besonderes, in meiner Welt. Zum dritten Mal wollte ich die Berliner Senkrechtstarter KADAVAR im Frankfurter Club „Das Bett“ sehen. Im Vorprogramm spielten damals zwei Formationen, die bereits so derbe Alarm machten, als wären die Gäste ihretwegen hier: SPIDERGAWD aus Norwegen sowie THE PICTUREBOOKS aus Gütersloh. Wer bitte? Die mir bis dahin unbekannten Fynn Claus Grabke (rechts) an Gitarre und Gesang und Philipp Mirtschink am Schlagzeug standen innerhalb kürzester Zeit auf der Bühne in ihrem eigenen Saft. Der Laden war ausverkauft und KADAVAR inzwischen eigentlich zu groß für den Club (seitdem findet man das Trio in Spielstätten mit der Kapazität einer Batschkapp, Tendenz steigend).
Doch das war nicht der Grund für folgende Transpiration: Mirtschink und Grabke spielten mit vollem Körpereinsatz, knallten jeden Ton mit der Opulenz eines frontalen Angriffs raus, Verzichtbares wie Drum-Stöcke dabei auch öfter mal außen vor lassend. In unserer Clip-Sammlung (hier) findet Ihr einen Mitschnitt von jenem Abend, bei dem die Technik alles andere als rund zu laufen scheint. Die Hingabe an den Brachial-Blues ist aber mehr als deutlich, ein Zeichen für die Zukunft wurde gesetzt. Diese Band wollte ich sobald wie möglich als Headliner sehen.
Bis es soweit war, dauerte es mehr als drei Jahre. THE PICTUREBOOKS, die zwei Alben als Trio veröffentlichten, bevor sie durch den Abgang ihres Bassisten 2010 zu einem Duo mutierten, gingen in Klausur, addierten derbere, dreckigere Klangfarben und präsentierten sich so eigenständig wie auf eben diesem Gig vor KADAVAR.
Eine nicht zu unterschätzende Hilfe dabei ist Fynn Grabkes Vater Claus Grabke: Manager, Hausfotograf, Produzent und alleiniger Roadie ist er ebenso wie Tonmischer auf der Tour. Seine jahrelange Erfahrung als Musiker bei z. B. THUMB ist da sicher kein Hindernis, seine Erfolge als Skateboarder sind darüber hinaus Legende. Einige Gäste, die in den Neunzigern schon auf Konzerte gingen, sprachen vor dem Gig in Wiesbaden respektvoll über Begegnungen mit Grabke Senior. Oder biederten sich kumpelhaft bei ihm an. Doch der legte fokussiert für die Combo seines Sprösslings Hand an. Irgendwie doch noch ein Trio, diese Band.
Doch zuerst durfte man eine weitere Formation mit KADAVAR-Connection erleben: Pünktlich um halb Acht stiegen THE LORANES aus Berlin auf das Podest. Am Bass links außen Philipp „Mammut“ Lippitz, der bis 2013 bei KADAVAR spielte und mit Schlagzeuger Elias sowie Gitarrist und Sänger Pat seitdem bereits zwei Alben veröffentlicht hat. „Keine Ansagen, wir haben kaum Zeit“ meinte Pat zu Beginn der folgenden 30 Minuten und hielt sich auch weitestgehend an seine Vorgabe. Das Publikum im Wiesbadener Kesselhaus hielt noch etwas zu respektvoll Abstand, obwohl der Laden schon recht ansprechend gefüllt war, zeigte sich aber schon ziemlich überzeugt.
Der Power-Rock des Trios, der sich nur bedingt aus den üblichen Retroquellen speist und gleichermaßen Einflüsse späterer Jahrzehnte als der Sechziger zulässt, kommt live noch weitaus besser als auf Platte und passt zum Headliner wie Arsch auf Eimer. Wohl auch menschlich, wie Fynn Grabke später während seiner Show vermerkte. Ein guter Start, eine Viertelstunde länger wäre schön gewesen. Doch es war Freitag, vielleicht gab es ja noch eine anschließende Tanzveranstaltung im Kesselhaus.
Nachdem Papa Grabke den Bühnen-Umbau vollzogen hatte, standen sein Filius samt Mitstreiter Mirtschink um halb Neun auf den Brettern, Grabke jr. grinsend. „Hallo Wiesbaden“ und dann „PCH Diamond“ vom 2014er-Album raushauend. Slidegitarren-Blues mit Mitgröl-Part, nicht zum einzigen Mal gestern. THE PICTUREBOOKS sind eigentlich eine Stadionrock-Band, das wissen die Menschenmassen bisher aber noch nicht. Auffallend das beckenlose Schlagzeug von Mirtschink, das mit XXL-Streichhölzern oder den blanken Armen bearbeitet wurde – der Musiker saß nach kürzester Zeit bereits wieder in seinem Schweiß.
Nachdem die Tour mit den LORANES bereits seit September läuft (und vorher schon im Vorprogramm von MONSTER TRUCK gespielt wurde) waren merkwürdigerweise keine Zeichen von Tour-Müdigkeit zu erkennen, ganz im Gegenteil: Fynn Grabke plauderte wie aufgezogen, ließ die Anwesenden teilhaben an der Entstehungs-Geschichte von „Bad Habits Die Hard“, bedankte sich für das Erscheinen („Ihr müsst ja nicht freitags auf Konzerte gehen – Danke fürs trotzdem tun!“) und stellte detailliert dar, dass er die PICTUREBOOKS als Solitär in der Musiklandschaft sieht: Nur er, Mirtschink und sein Papa, zu dritt gegen den Rest der Welt und mit Soul-Buddies wie den LORANES; zufrieden, wenn man spielen darf, etc.pp. Das wirkte zwar alles ein wenig überzogen und idealisierend, überzeugte aber wegen des vorhandenen Spaßes in den Backen extrem. Albern wurde es erst, als Grabke davon sprach, dass sie „nicht wie Rockstars so einen Mitsing-Quatsch machen um alle zu animieren.“ I wo. Sprachs und animierte gleich bei „Zero Fucks Given“ alle dazu, den Stinkefinger hoch zu recken. Nun ja.
Solange THE PICTUREBOOKS mit so einem Einsatz und Leidenschaft ihrem Heavy-Blues frönen, kann einem eine inkorrekte Selbsteinschätzung jedoch herzlich wurscht sein. Ich kann mir kaum eine bessere Band vorstellen, um das Wochenende einzuläuten und ein paar Biere bei lauter, geiler Gitarrenmusik zu vernichten. Dass „wir auch nicht an der Tür lauschen, ob Zugaben gewünscht werden“ entsprach jedoch der Wahrheit: „Sagt was und wir spielen weiter!“ Wir sagten, sie spielten. Nach 75 Minuten war dann Sense und der Verkaufsstand wurde angesteuert, an dem die LORANES schon begeistert applaudierten. Sehr geil, das alles. Demnächst auf größeren Bühnen, ich hab da so ein Gefühl.
Links: http://theloranes.com/, https://www.facebook.com/theloranes/, https://soundcloud.com/theloranes, https://www.last.fm/music/The+Loranes, http://www.thepicturebooks.com/, https://www.facebook.com/ThePicturebooks, https://thepicturebooks.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/The+Picturebooks
Text, Fotos & Clips: Micha
Alle Bilder: