RAUNÄCHTE TOUR

Das Bett, Frankfurt, 28.12.2015

FinsterforstEin kleines, aber feines Minimetal- Festival mit FINSTERFORST (links), DREAD SOVEREIGN, BIFRÖST und ANOMALIE blies uns zwischen all den verdrückten Spekulatius und dem Sektoverkill zum Jahresabschluss im Frankfurter Club „Das Bett“ noch mal höchst amtlich die Ohren frei. Ungewöhnlich waren (noch) der Veranstaltungsort und ein wenig die Zusammenstellung der vier Bands, die allesamt eine etwas andere Art der undergroundigen Extrembeschallung zelebrierten. Wegen einer der Formationen bestand für mich Erscheinungspflicht – die anderen kannte ich vorher nicht. Und doch dominierte unterm Strich die allgemeine Entzückung.

Aber der Reihe nach: Ungewöhnlich früh (für „Das Bett“-Verhältnisse) startete der metallische Abend mit der Formation ANOMALIE – eigentlich ein Ein-Mann-Projekt des HARAKIRI FOR THE SKY – Mitglieds Marrok. Dessen Album „Refugium“ erhielt eine ziemlich lobende Erwähnung im aktuellen Legacy und auch im britischen Terrorizer. Marrok, der Anomalieim Studio jeden Ton von jedem Instrument selbst zu verantworten hatte, beschränkte sich bei der Live-Darbietung auf seinen expressiven Gesang und ließ das leicht post-blackmetallische Geschehen von Menschen erledigen, die man 2014 auch im Elfer-Club beim Konzert von AGRYPNIE und HARAKIRI FOR THE SKY bewundern durfte. Und zwar bei beiden Bands. Soviel Hilfsbereitschaft und Fleiß unter Black Metallern spricht den Spöttern Hohn, die den einzeln agierenden Musikern dieses Genres gerne eine soziale Vollmeise und daraus schließend mangelnde Ensemble-Fähigkeit attestieren. Die knappe halbe Stunde Klangkunst kam exzessiv, mächtig und mit viel Nebel daher und Anomalieüberzeugte komplett mit wenig ausgetretenen Tonwegen und einer Spur Dark Wave im Sound. Der beworbene Tonträger ist darüber hinaus ebenso zu empfehlen. Die erste der mir vorher unbekannten Combos hatte mich von daher schon mal an den Eiern und steigerte die Erwartung, den Rest des Abends betreffend.

Die folgende Umbaupause war kurz – das traf auf alle Pausen zu und illustrierte ebenso den kameradschaftlichen Aspekt dieser Tour. Beim nächsten Act BIFRÖST standen zwei bis drei Menschen auf der Bühne, die zuvor auch bei ANOMALIE dort verweilten. Sänger Ragnar hatte sich vorher noch an der Gitarre den Wolf gespielt und gab nun die Vokalrampensau par excellence, die (überschaubare) Menge gnadenlos fordernd und antreibend. Im Gegensatz zum düsteren Schwarzmetall der ersten Band gab es nun weniger Rauch, mehr Klarheit und Lebensfreude. Auch mehr Märchen, Knödelgesang und BifröstGeschichten, die mir ziemlich am Arsch vorbei gehen würden, hätte ich sie verstanden. Der sogenannte Pagan- oder Folkmetal ist in den seltensten Fällen meins, trotz vorhandener Affinität zu keltischer Folklore. Schlecht war das Ganze aber nicht und wurde durchaus stimmungsvoll dargebracht. Dass ich es aber nicht schaffte, mir die BifröstSongs zuhause nochmal in aller Ruhe anzuhören, während die Scheibe von ANOMALIE kaum noch aus dem CD-Schacht rutscht, spricht Bände.

Apropos überschaubare Menge: Mehr als 40 Leute waren eigentlich nie vor der Bühne, allerdings waren das oft andere als jeweils bei der Band davor. Ein Phänomen, das ich am eindrucksvollsten beim Paganfest 2012 in Gießen erlebt habe: Acht Formationen, die alle so etwas wie Folkmetal spielten, wechselten sich auf der Bühne ab. Mich interessierten davon drei. Bei denen war die Halle leer und der Bierstand voll. Bei jenen, die mich nicht so interessierten, war es umgekehrt.

Interessiert und nachhaltig beeindruckt haben mich damals die Iren von PRIMORDIAL, deren charismatischer Sänger Alan Averill aka A.A. Nemtheanga als nächster auf das Podest in „Das Bett“ kam – diesmal ohne Corpsepaint, weniger nihilistisch und mit nur zwei Mitstreitern, mit denen er das Doom-Trio DREAD SOVEREIGN bildet. Doom-Trio?

„Do you like some Doom-Metal?“ fragte er auch glatt als Einstieg, bevor er, der juvenile Gitarrist Bones und Schlagzeuger Sol Dubh (auch PRIMORDIAL) losrockten. L-O-S-R-O-C-K-T-E-N! Und zwar amtlich. Die Gestalten vor der Bühne waren nun in der Regel männlich und ein wenig oder sehr viel älter als bei den anderen Formationen, sahen verzückt beim Instrumente-Malträtieren zu Dread Sovereignund schauten alle dümmlich und beseelt. Ich eingeschlossen. Was da eine Dreiviertelstunde auf die Glocke gegeben wurde war heftigster Classic/Blues/Thrash-Metal mit gelegentlichem Doom-Einschlag und damit für Puristen (mal wieder) ein Schlag ins Gesicht. Für alle anderen aber eine Offenbarung und das absolute Highlight des Abends. Außer eben für die, die draußen standen, quatschten und rauchten.

Dread SovereignVor allem, was Gitarrist Bones da tat, war Respekt einflößend: Nicht nur unbedingt vom technischem Geschick, sondern auch von Akrobatik und Hingabe her. Wen das nicht ansteckte, zumindest mit der Faust Löcher in die Luft zu prügeln wenn nicht sogar ums Carré zu hüpfen, war entweder tot oder in einem sehr kritischen Zustand. Den sonst so Angst einflößenden Nemtheanga, dessen Metal-Sachverstand und Dread Sovereignscharfe Zunge auch regelmäßig im Deaf Forever und im britischen Zero Tolerance-Magazin zu verfolgen ist, so aufgeräumt und Spaß habend zu erleben, tat mir auch sehr gut: Nach einem PRIMORDIAL-Gig würde ich mich nicht unbedingt trauen, ihn anzuquatschen, zu fotografieren und zuzutexten. Habe ich diesmal auch nicht, ein Bekannter von mir schon. Der hat das Ganze überlebt und zehrt jetzt noch von diesem Erlebnis.

Nach der letzten Umbaupause dann die Gastgeber des Abends, FINSTERFORST aus eben diesem (Schwarzwald). Wieder Paganmetal, wieder nicht so meins, wieder andere Menschen vor der Bühne. Besagter Bekannter stieß erst viel später dazu, weil sich die Musik von draußen „doch ganz interessant angehört habe und nicht so pagan-typisch“. Sagte es und musste die „Vogelhochzeit“ (in diesem Fall: „Försterhochzeit“) ertragen und Metal-Fans in Kutten erspähen, die alle „Fiderallala“ grölten. Ächz.

Andere Freunde von mir waren da schon auf dem Heimweg. Doch gibt es bei FINSTERFORST auch subjektiv Gutes zu berichten: Zum einen war die musikalische Mischung „harte Riffs treffen Quetschkommode“ in der Regel Finsterforstansprechend und originell verpackt. Zum anderen glänzten FINSTERFORST mit einer kleinen, aber sehr eindrucksvollen Lichtshow. Und drittens war Sänger Oliver Berlin (links) größtenteils und im Widerspruch zu den martialischen Texten extrem witzig und selbstironisch. Beispiele: „Was haltet Ihr von der Zusammenstellung der Tour? FinsterforstVier völlig verschiedene Bands? Also, ich finde es super!“ (zu den Fans, die sich DREAD SOVEREIGN zum Beispiel gar nicht angeschaut hatten). Oder: „Kennt Ihr den Titelsong („Macht Dich Frei“) der neuen Platte?“ Eine kleine, bescheidene Grölerei folgte. Berlin grinste: „Läuft!“ Oder, nach diesem Song: „Das war jetzt ‚Macht Dich Frei‘ im FinsterforstBett. Der Gag fiel mir aber auch eben erst ein.“ Naja, nicht unbedingt Schenkelklopfer; als Kontrast zum ansonsten recht gewalttätigen Gehabe aber sehr angenehm.

Unterm Strich war das also eine ziemlich energetische und spaßige Veranstaltung, an der, liest man die Facebook-Kommentare nach der Tour, auch die Musiker selbst viel Freude zu haben schienen. Außerdem eine gute Gelegenheit, ein paar Festtagskilos abzubängen und Kraft zu tanken für die konzertlose Zeit, die zum Jahreswechsel vor einem liegt. Dass der Spaß am Ende des Abends verblasste ob der schlechten, folgenden Nachricht (Lemmy’s Tod) steht hier auf einem anderen Blatt.

Links: https://www.facebook.com/The.Anomalie.Experience, http://anomalie-official.bandcamp.com/, http://www.last.fm/de/music/Anomalie, https://www.facebook.com/bifroestaustria/, https://myspace.com/bifrst, http://www.last.fm/de/music/Bifroest, https://www.facebook.com/dreadsovereign, https://dreadsovereign.bandcamp.com/, http://www.last.fm/de/music/Dread+Sovereign, http://www.finsterforst.de/, https://www.facebook.com/FinsterforstOfficial, https://myspace.com/finsterforst, https://www.reverbnation.com/finsterforst, http://www.last.fm/de/music/Finsterforst

Text, Fotos & Clips: Micha

Alle Bilder:

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Kommentare deaktiviert für RAUNÄCHTE TOUR

Filed under 2015, Konzerte, Videoclips

Comments are closed.