Batschkapp, Frankfurt, 12.03.2019
„musikexpress“ steht als Präsentator auf der Eintrittsarte für das Konzert des in den USA lebenden Australiers Ry Cuming, weltweit bekannter als RY X. Eine Empfehlung? Eine merkwürdige, kommt der umtriebige Meister des intelligenten Schönklangs doch in den letzten Plattenrezensionen ebendort nicht gut weg. Beispiele? „Am Ende wirken allerdings die sanft-elektronische Produktion und der stets etwas wehleidig wirkende Gesang Cumings zu dick aufgetragen“ (über „Dawn“, 2016). Oder: „Aber je mehr Zeit man mit dem Album verbringt, desto ermüdender wird diese Musik“ (über die aktuelle Scheibe „Unfurl“, die ganze Rezension ist ein Knaller, hier). Ganze Artikel über den zwischen Songwritertum und Houseklängen agierenden Musiker, der auch als Teil des Elektro-Quartettes THE ACID etwas harschere Töne anschlagen kann, fanden sich zum Erscheinen von „Unfurl“ im Februar 2019 weder dort noch in der Schwesterzeitschrift Rolling Stone.
Verbunden mit der Tatsache, dass überhaupt gar kein Pressefotograf im Graben der Frankfurter Batschkapp zu sehen war, kann sich hier fast schon der Verdacht aufdrängen, dass RY X als völlig irrelevant gilt. Zu Recht? Oder hat die Konzertagentur nicht nur meine Anfrage abgeblockt, weil dem Künstler sein Stand in den Medien völlig Banane ist? Das andererseits wäre ja schon wieder cool. Findet man Interviews oder Aussagen von Cumings im Netz, fällt auf, dass er in sich selbst zu ruhen scheint; er sich auf esoterische Weise sehr mit seinem Ego beschäftigt und demzufolge niemandem gefallen muss. Tut er natürlich trotzdem. Gerade deswegen vielleicht auch.
Seine gestylte Lässigkeit, sein erlesener Stimmumfang und seine Songs, die zwar niemanden weh tun, jedoch weit davon entfernt sind, „gewöhnlich“ zu klingen, tun ihr Übriges, um die halbe Batschkapp mit jungen und schönen Menschen vollzustopfen. Hipsterhippietum at its best von einem Quartett, welches nicht nur farblich passend aufeinander abgestimmt ist, sondern live auch die Kopfstimme von Cumings abliefern kann. Die Namen der Kollegen? Kann ich nicht mit dienen. Die stehen weder auf den Seiten im Internet noch in der offiziellen Pressemitteilung. Das ist ja auch keine Band sondern alleine Cumings Ding – doch selbst, wenn er in einem Stück bis zu drei Instrumente bedient, kann er seinen vielschichtigen Sound nicht alleine produzieren.
Hannah Epperson kann das. Die Amerikanerin aus ursprünglich Salt Lake City (jetzt New York) spielt Geige seit ihrem sechsten Lebensjahr und entdeckte (laut Wikipedia) als Straßenmusikerin die Loop Station für sich. Ähnlich wie die Britin Jo Quail ihr Cello oder Henry Kohen als MYLETS die E-Gitarre speichert sie damit zuvor Selbstgespieltes, um dieses als Tonspur unter das Nächstgespielte zu legen und ihren eigenen Sound so bis zur Orchesterstärke aufblasen zu können. Epperson veröffentlicht viele Songs in zwei Versionen: Fulminantes bekommt den Namen Amelia, Reduziertes den Namen Iris. Beide Versionen ihrer Stücke sind zauberhaft, dabei leicht schräg und wenig gradlinig. Als Vergleich fällt mir diesbezüglich Julia Holter ein.
Dass die 31-Jährige (die auch Teil von Kanadas Ultimate Frisbee-Team ist) als Support auftritt wurde wenig großzügig kommuniziert. Umso höher ist zu bewerten, dass der barfüßigen Künstlerin von Anfang an respektvoll und mit wenig störenden Zwischentönen gelauscht wurde – was Epperson wiederum zu Höchstleistungen zu beflügeln schien. Ihr Dank an das Publikum für die Aufmerksamkeit wirkte authenisch. Der Applaus nach 35 Minuten inklusive dreier Stücke zwischen leise, laut und ganz leise war voller Hochachtung. Als Epperson nach der Show RY X-Merch verkaufte und dabei auch eigene Alben signierte, versprach sie bald wiederzukommen, das nächste Mal mit ihrer Band. Kann es kaum erwarten.
Kaum Umbau zwischen den beiden Programmpunkten – die trotzdem mehr als halbstündige Wartezeit wurde gegen 21.15 Uhr von einem sonoren „Wir wären dann soweit“ aus dem Innenraum unterbrochen. Kurz darauf ging es endlich los.
Gezupfte Saiteninstrumente, zarter Gesang, geloopte instrumentale Dopplungen – es gab durchaus Parallelen im Sound zwischen Vor- und Hauptprogramm, aber auch gewaltige Unterschiede. Bis Cumings sein Publikum ansprach verging eine Weile. Ich fürchtete schon eine selbstgefällige Performance eines Egozentrikers, aber dann kamen die Ansprachen, die Danksagungen, das ganze Menscheln. Und Liebe überall. Obwohl die Neuerscheinung beworben wurde, kam das Gros vom 2016er Album – mit Klangteppichen, die zwar erlesen konzipiert sind, zumindest mir aber bisweilen die Unterscheidung zwischen den Songs schwer machen. Die nett-vernichtenden Urteile des musikexpress kann ich sogar nachvollziehen, wenn das nicht alles so w-u-n-d-e-r-s-c-h-ö-n wäre.
Klar, Klassenkampf geht (wo)anders. Schlimme Zeiten erfordern unbequeme Kunst. Aber manchmal, nach Stress und Ärger den ganzen Tag, ist es eben auch nice einfach ins Wattebällebad abzutauchen und zu schwelgen, gemeinsam oder allein (ich hatte aber den Eindruck, dass fast nur Paare in der Batschkapp waren). RY X spielte nach eigenen Angaben an diesem Abend erstmals „Coven“ live (Clip dazu unten); knapp 75 Minuten dauerte die ganze Chose. Was man hören wollte, wurde gegeben. Also fast ausschließlich Songs des Erfolgsalbums „Dawn“ und ein bisschen was, stilistisch genauso gelagertes Neues. RY X macht es sich und uns gemütlich. Aber eben auf umwerfende Art und Weise. Schade, dass das in der Kritik so wenig Anerkennung findet.
Links: http://www.hannahepperson.ca/, https://www.facebook.com/hannaheppersonmusic/, https://www.instagram.com/hannahbbepperson/, https://soundcloud.com/hannah-epperson, https://www.last.fm/de/music/Hannah+Epperson, https://www.ry-x.com/, https://www.facebook.com/RYXmusic/, https://www.instagram.com/ryx/, https://soundcloud.com/ry-x, https://www.last.fm/de/music/Ry+x
Text, Foto (8) & Clips: Micha / Fotos (2): Nicole
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