Colos-Saal Aschaffenburg, 26.03.2013
Ich muss gestehen, dass ich in puncto SAINT VITUS vorbelastet bin. Die amerikanische Doom-Metal-Band hatte mir nämlich im Jahre 1989 im Frankfurter Cooky’s einen der bis dato besten Konzertbesuche meines Lebens beschert – und das, obwohl sich damals gerade mal 15 Besucher im Kellerclub zusammenfanden. Doom, das ist eine extrem langsame und schwerfällige Spielart des Heavy Metals, die finster und melancholisch anmutet und einst von BLACK SABBATH, damals noch in Unkenntnis der Protagonisten, kreiert wurde. Nicht jeder kann etwas mit Doom anfangen, und wenn man nicht gerade Metal-Fan ist, fällt es umso schwerer, denn von Rock’n’Roll oder Punk-Rock ist diese Musikrichtung weit entfernt.
In unseren Gefilden hatten sich die Kalifornier seit dem Gig im Cooky’s rar gemacht, vielleicht ja wegen der wenigen Besucher und dem merkwürdigen Stammpublikum des einstigen Kult-Clubs, das ob der anschließenden Disco-Veranstaltung bereits während des Konzertes einlief und teilweise aus Menschen mit weißen Jogging-Anzügen und pastellfarbenen Sackos bestand. Da hätte ich mir als Band wohl ebenfalls notiert, dass Frankfurt ab sofort zu meiden ist. Auch diesmal gastierte das Quartett nicht in der Mainmetropole, sondern im 50 Kilometer entfernten
Aschaffenburg, wo das Colos-Saal Hardrock- und Metal-Bands regelmäßig als Station bei Touren dient.Noch während der Fahrt überlegten wir, ob der Gig aufgrund der aktuellen Retro-Welle des Genres ausverkauft sein würde oder nicht, bei Ankunft war jedoch schnell klar, dass das nicht der Fall war. Der Saal war zwar auf den ersten Blick gut gefüllt, jedoch konnte man sich ohne große Mühe einen
Platz in den vorderen Reihen sichern, so dass das Fassungsvermögen des Clubs gerade mal zu zwei Dritteln ausgeschöpft war. Schade eigentlich, dass eine so großartige Band nicht mehr Publikum zieht, aber wie bereits erwähnt, ist das mit Doom im Allgemeinen und mit SAINT VITUS im Besonderen so eine Sache, selbst vielen Metal-Fans dürfte die Musik einfach zu kantig und unbequem sein.Bei Eintreffen gegen 21 Uhr hatten wir bereits den ersten Act des Abends, ORCUS CHYLDE, verpasst. Das war zwar schade, aber die Jungs kommen aus der Gegend, so dass sich vermutlich in Bälde eine weitere Gelegenheit ergeben wird. Als zweiter Support stand das aus Washington stammende Trio MOS GENERATOR (Foto unten) auf dem Programm, das eine solide Show bot. Die Band lieferte eine kurzweilige Mischung aus Southern Rock, Hardrock und
Stoner-Metal, angesiedelt irgendwo zwischen TED NUGENT, MOLLY HATCHET und KYUSS. Das war zwar soweit okay, aber mir, der ich eher härteren Musikrichtungen zugeneigt bin, auf die Dauer zu glatt und zu langweilig, so dass ich beschloss, mir in der Fußgängerzone, in der das Colos-Saal angesiedelt ist, einen kleinen Imbiss zu genehmigen.Als ich zurückkam, ging’s dann auch schon mit der Band los, wegen der wir gekommen waren: SAINT VITUS. Die 1979 gegründete Combo stand nahezu in der gleichen Besetzung auf der Bühne, in der das 1988 veröffentlichte vierte Album „Mournful Cries“ aufgenommen wurde, lediglich der 2010 verstorbene Drummer Armando Acosta war durch Henry Vasquez von BLOOD OF THE SUN ersetzt worden. Auch Sänger Scott „Wino“ Weinrich, der die Band ursprünglich 1990 aufgrund von Differenzen mit Gitarrist und Bandleader Dave Chandler verlassen hatte, war wieder mit von der Partie. Und so standen denn mit Chandler und Wino gleich zwei der wohl charismatischsten Persönlichkeiten der Metal-Szene auf der Bühne.
Bereits mit dem ersten Akkord von Gitarren- Hexer Chandler wurde die Luft im Saal zu Blei und alle Anwesenden im Zuschauerraum zu willenlosen Zombies, die sich rhythmisch, aber im Zeitlupentempo zu den hypnotischen Klängen des Zeremonienmeisters bewegten. Los ging’s mit „Blessed Night“, dem besten Track des aktuellen Albums „Lillie: F-65“, weiter mit „I Bleed Black“, dem Über-Song
des Albums „V“, bevor mit „War Is Our Destiny“ und „Look Behind You“ zwei schnellere Stücke folgten. „Schneller“ und SAINT VITUS sind übrigens kein Widerspruch, denn die ersten sechs Veröffentlichungen der Band fanden alle auf dem Label SST des BLACK FLAG-Gitarristen Greg Ginn statt. Da die Gruppe sich seit ihrer Gründung stets im Hardcore-Punk-Umfeld bewegte, mit BLACK FLAG und anderen HC-Bands tourte, gehörten auch schnellere Tracks immer zum Repertoire der Metalheads aus L.A.Bei den Uptempo-Nummern explodierten die ersten Reihen vor der Bühne förmlich und ergaben sich im wilden Veitstanz (Saint Vitus Dance), so dass dabei durchaus Hardcore- oder Thrash-Metal-Atmosphäre aufkam. Doch egal ob schnell oder langsam, Gitarren-Magier Chandler lieferte allein durch seine
Mimik und Gestik dem Publikum eine grandiose Show. Als optische Mischung aus Gandalf, Miraculix und Catweazle flüsterte er die Songtexte wie in Trance vor sich hin und gebärdete sich dabei wie ein Besessener, dem Formeln des Wahnsinns aus dem Mund zu sprudeln schienen. Gegen diesen Dämonentanz verblasste selbst Sänger Wino etwas, der gewohnt angepisst, misanthropisch und wie ein Fels in der Brandung auf der Bühne verharrte und lediglich einmal in Aktion trat, als ein junger ‚Sparkassen-Angestellter‘ im modischen KYUSS-Shirt auf die Bühne kletterte und er ihn unsanft wieder in den Abgrund stieß. Zur Szene hätten eigentlich nur noch die Worte „This is Sparta…, ähm, SAINT VITUS!“ gefehlt.Gegen Ende der Show folgten mit „White Stallions“ und dem BLACK FLAG- Cover „Thirsty And Miserable“ noch mal zwei ganz besondere Highlights, bevor der
Auftritt mit „Dying Inside“ und – natürlich – „Born Too Late“ endete. Beim letzten Song sprang Chandler zur Überraschung des Publikums samt seiner Gitarre von der Bühne und spielte dicht umringt von den Fans weiter. Mit dem Stück fand ein intensiver und fesselnder Gig sein Ende, wobei sich die Band im Anschluss noch unters Volk mischte und ein wenig Smalltalk hielt, eine sympathische Geste. Und wie bereits im Cooky’s vor 24 Jahren habe ich auch diesmal ein Konzert erlebt, an das ich noch lange Zeit zurückdenken werde. SAINT VITUS sind Doom und Doom ist SAINT VITUS!Links: http://www.saintvitusband.com/, http://www.myspace.com/stvitus, http://www.reverbnation.com/saintvitus, http://www.myspace.com/mosgenerator, http://www.reverbnation.com/mosgenerator
Text: Marcus / Fotos: Britta Stippich, http://www.musikladen-frankfurt.com
Clip: am Konzertabend aufgenommen von FreddyJMyers
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