SNFU

Au, Frankfurt, 18.07.2014

SNFUEs hat lange gedauert, bis ich mit SNFU warm wurde. Gut, die erste Scheibe „…And No One Else Wanted To Play“, deren Titel wie bei allen nachfolgenden Werken aus exakt sieben Wörtern besteht, ist über jeden Zweifel erhaben und gehört ohnehin in jede Sammlung, aber vieles, was danach kam, war mir zu kantig, zu verklausuliert und zu konfus. Ich hatte einen schlechten Start mit SNFU. Dann aber sah ich die Jungs zum ersten Mal live und realisierte, welch ein Wahnsinniger da mit Mr. Chi Pig (rechts) auf der Bühne steht. Einer, wie man ihn nicht alle Tage sieht. Einer, der ähnlich wie Darby Crash, GG Allin oder Wendy O. Williams die pure Essenz des Punk verkörpert. Einer, den man nur verehren kann. Seither sehe ich die Alben mit anderen Augen, bin begeistert von den Ideen, den Lyrics und ja, auch von der Musik.

SNFUInzwischen sind viele Jahre vergangen, Bandmitglieder – weit über 20 – kamen und gingen, SNFU lösten sich auf und reformierten sich wieder. Lediglich Chi Pig blieb die einzige Konstante, die Band ist sein Leben. Einen guten Überblick über die Historie der Formation liefert die Dokumentation „Open Your Mounth And Say… Mr. Chi Pig“ aus dem Jahr 2010, in der der Frontmann auch über die „Stimmen“ in SNFUseinem Kopf spricht und uns sein Psychiater erklärt, was man unter „Chronischer Schizophrenie“ versteht, die er bei Chi Pig diagnostizierte. Im vergangenen Jahr erschien mit „Never Trouble Trouble Until Trouble Troubles You“ wieder ein Album, das erste nach neun Jahren, eingespielt mit komplett neuem Lineup. Und nun, 2014, sind SNFU auf Europa-Tour und machten gestern Station in der Frankfurter Au.

Es sollte ein denkwürdiger Abend werden, und dies nicht nur aufgrund der schwülen Temperatur, die förmlich den Schweiß von der Decke tropfen ließ. Wir waren früh gekommen, da zu befürchten stand, dass es sehr voll werden würde, SNFUdoch dem war (noch) nicht so. Im Außenbereich saßen lediglich einige Leutchen und tranken gemütlich Bier, während unten bereits die Vorgruppe lärmte. Es waren die MIRROR MONKEYS aus Gießen/Marburg/Frankfurt und was ich von dem Gig noch sah und hörte, klang ganz passabel. Wieder an der frischen Luft, kam Chi Pig, gewandet in goldener Glitzer-Hose, kurzem Röckchen und rotem Lack-Oberteil auf mich zu, schaute mich zweifelnd an und meinte: „I thought you died yesterday!?“ Ich musste kurz überlegen, erinnerte mich dann aber daran, dass ein oder zwei Tage zuvor Johnny Winter verstorben war. Hmpf, vielen Dank, nun wecke ich also bereits Erinnerungen an einen 70-Jährigen, aber vielleicht erinnerte ich ihn ja auch an den jungen Johnny Winter, jedenfalls rede ich mir das seither ein.

SNFUZwei bis drei Apfelweine später war es dann soweit und SNFU legten los. Und was sich dort auf der Bühne tummelte, war eine der größten Freakshows – was in Verbindung mit einem Punk-Gig durchaus positiv gemeint ist – die ich seit langer Zeit miterlebt habe. Auf der rechten Seite nahm Gitarrist Randy Steffes seinen Platz ein, der wie die Miniatur-Version von Gandalf dem Weisen wirkte, allerdings weitaus weniger anhatte als dieser. Zunächst noch mit einem kurzen Rock bekleidet, zog Randy nämlich nach einer Bemerkung von Chi Pig kurzerhand blank und stand fortan im Adamskostüm vor dem Publikum. Neben ihm stand Basser Dave Bacon, der nur ein Bein hat, und mit einer schädelverzierten Prothese SNFUspielte, die für ihn offensichtlich kein Handicap darstellte. Auf der linken Seite der Bühne fand sich der zweite Gitarrist Dirty Kurt von den REAL MCKENZIES ein, der während des Spielens Grimassen schnitt, die vermuten ließen, dass er sich seinen Pillermann vor der Show mit Tabasco eingerieben hatte. Das Schlagzeug bediente Jamie Oliver – nein, nicht der Koch –, der aktuelle Drummer der UK SUBS.

In der Mitte gab Chi Pig den Zeremonienmeister des nun folgenden Spektakels. Der Frontmann machte dabei rein körperlich nicht den besten Eindruck, er war extrem abgemagert, wog vielleicht 45, höchstens 50 Kilo. Der jahrelange Drogenkonsum hat ihn gezeichnet, er hat keine Zähne mehr im Mund und ist sich seiner Erscheinung durchaus bewusst – in der Doku bezeichnet er sich selbst als „Hunchback of the Punk Rock Scene“. Doch die Befürchtung, dass der Mann gleich von der Bühne kippen könnte, wurde durch sein Stage-Acting schnell SNFUentkräftet. Mr. Chi Pig fegte wie ein losgelassener Kampfhahn über das Podest, rollte sich über die Bretter, peitschte das Publikum an, schob sich eine Bierflasche mit dem Boden zuerst in den Rachen – ohne Zähne geht das wohl – und lieferte vor allem eine verdammt gute Gesangsperformance ab.

Von den Songs her wurde ein Querschnitt durch nahezu das gesamte Schaffen von SNFU geboten, lediglich die dritte LP „Better Than a Stick in the Eye“ und SNFUdas aktuelle Werk wurden komplett ignoriert. Vielleicht nicht ohne Grund, denn außer Chi Pig war keiner der Jungs, die gestern auf der Bühne standen, an dem Album beteiligt. Für die Tour hatte sich mal wieder ein komplett neues Lineup zusammen gefunden, dem mit Basser Dave Bacon aber immerhin ein altes SNFU-Mitglied angehörte. Dave spielte Mitte der Achtziger Jahre in der Band.

SNFUDie meisten der gespielten Songs stammten vom Erstlingswerk aus dem Jahr 1983 und verdeutlichten eindrucksvoll, was für eine geile und vor allem zeitlose Scheibe die Jungs damals rausgehauen haben. Ob „Gravedigger“, „Cannibal Cafe“ oder „She’s Not On The Menue“ – alle Tracks knallen auch heute noch. Und falls mich mal jemand fragen sollte: „Punk, was ist das eigentlich?“, dann werde ich ihm empfehlen, sich einfach mal einen Gig von SNFU anzuschauen und sich mit Chi Pig zu unterhalten. Ein ganz großer Abend und für mich jetzt schon eines der unbestrittenen Highlights des Konzertjahres 2014.

Links: https://myspace.com/snfu, http://www.reverbnation.com/snfu, http://www.lastfm.de/music/SNFU

Text & Fotos (17): Marcus / Fotos (9): Thorsten Sindel

Alle Bilder:

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Kommentare deaktiviert für SNFU

Filed under 2014, Konzerte

Comments are closed.