Schlachthof, Wiesbaden, 21.06.2019
Vor ziemlich genau fünf Jahren war der Autor dieser Zeilen in exakt derselben Situation wie in diesem Fall. Eine Rockband spielte auf. Eine, die es erst noch zu entdecken galt. Außerdem eine – und das kommt ja immer noch viel zu selten vor – rein weiblich besetzte. Stilistisch sind die Ähnlichkeiten zwischen den aktuell tourenden STONEFIELD aus Australien und den damals performenden BABY IN VAIN aus Dänemark (Bericht dazu hier) mit dem Begriff „Rockband“ auch schon erschöpft, zumindest musikalisch. Das vergleichbare, beziehungsweise unterschiedliche an der Situation war Folgendes: BABY IN VAIN spielten damals im Rahmen des Women Of The World-Festivals (heute: W- Festival) hauptsächlich vor Geschlechtsgenossinnen, die mal so gar keine Affinität zum Rock’n’Roll hatten, was äußerst schade war.
STONEFIELD dagegen fanden bei ihrem Tour-Abschluss in Wiesbaden, nachdem sie mit dem Desertfest in Berlin, dem Maifeld Derby in Mannheim sowie dem Freak Valley im Sauerland einige prestigeträchtige Veranstaltungen beehrten, ein Publikum vor, welches anhand der getragenen Leibchen eindeutig als Fachpublikum erkennbar war. Hauptsächlich Männer. Allerdings ähnlich wenig wie damals im Frankfurter Club Nachtleben: Geschätzt waren höchstens 40 Besucher anwesend. Beim Latinfest vor den Hallen des Schlachthofs war da weitaus mehr los.
In der Berichterstattung über das diesjährige Desertfest tauchen STONEFIELD im Gegensatz zu solchen Kalibern wie OM, WOVEN HAND oder FU MANCHU jedoch kaum auf, nur der Metal Hammer schwärmt: Von „schweren SABBATH-Schleppern“ ist da die Rede, „Folk-Versatzstücke“ werden da gehört, „tribalhaft“ und „eruptiv“ das Finale. Wenn das nicht Lust machte auf einen exzessiven Abend in einem der tollsten Clubs in Rhein/Main. Doch, woran es auch immer gelegen haben mag: Exzessiv geht anders.
Vielleicht waren die vier Schwestern aus einem kleinen Ort in Victoria nach der Tour einfach nur müde. Vielleicht fühlten sie sich auch nicht besonders gefordert von der kleinen Anzahl der Zuhörer. Professionell war das alles – was die älteste Schwester Amy Findlay gleichzeitig am Schlagzeug sowie am Mikrofon leistet, sollte einen sowieso ehrfürchtig niederknien lassen. Alleine schon ihr überaus kraftvoller Gesang, der die ganze Klaviatur emotionaler Ausdrucksformen beherrscht und darüber hinaus auch, subjektiv wahrgenommen wie eigentlich das Meiste hier, einfach wunderschön klingt, ist famos und schon das Eintrittsgeld wert.
Oder die Orgelpassagen von Schwester Sarah Findlay, z. B. bei „People“: URIAH HEEP-Gedächtnissound galore, bei anderen Songs evoziert der Klang die Erinnerung an OMD oder gar an TANGERINE DREAM light. Hannah Findley wiederum spielt die Axt breitbeinig und so rockistisch, wie es bei Frauen gegenwärtig gefeiert, bei Männern dagegen kritisiert wird. Zumindest live – auf dem aktuellen Dreher „Bent“ geht die Klampfe etwas unter zwischen dem dominierenden Klargesang und dem Georgel von Schwester Sarah. Weswegen die meisten Stücke bei mir auch nicht hängenblieben. Ausnahmen sind Sternstunden wie „If I Die“, bei der Gitarre und Orgel einigermaßen ausgeglichen interagieren.
Ein professionell dargebotenes Stündchen Rockmusik, das nicht weh tat, aber (zumindest mich) emotional an diesem Abend nicht begeistern konnte war das – nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht hätte das Publikum, das BABY IN VAIN vor fünf Jahren viel zu wenig feierte, an STONEFIELD mehr Gefallen gefunden. Die feministische Standortbestimmung am Ende der Scheibe und in der Mitte des Sets, „Woman“, macht schließlich unmissverständlich klar, was von meinem Genörgel hier zu halten ist: „I am enough. I am woman“. Okay.
Dass das Ganze auch anders funktionieren kann, zeigten die Opener VELVET TWO STRIPES aus der Schweiz. Motiviert bis zum Anschlag betrat das Quartett, welches eigentlich ein Trio ist und nur live die Hilfe eines Schlagzeugers braucht, mit mehr als halbstündiger Verspätung die Bühne des Kesselhauses – Wartezeit, die weniger technischen Problemen geschuldet schien als der Hoffnung, die Hütte doch noch ein wenig voller zu bekommen. Etwaigen Frust über die anfangs zögerlichen Anwesenden merkte man den Ladies jedoch nicht an, ganz im Gegenteil: Die Schwestern Sophie (Gesang, Gitarre) und Sara Diggelmann (Gitarre) sowie Bassistin Franca Mock ließen nichts anbrennen und schienen erst mal für sich selber eine Party steigen lassen zu wollen – um dann zu sehen, ob da noch jemand mitfeiern wollte. Und sowas ist immer höchst ansteckend, da kannste nix machen.
Das Publikum duplizierte sich davon zwar nicht; der geräumige Platz vor den Damen wurde jedoch ausgiebig genutzt für alles, was man eben so macht, wenn man auf Konzerten eine gute Zeit hat. VELVET TWO STRIPES danken auf ihrer Homepage erst mal Jack White, bevor sie sich selbst vorstellen – und das ergibt schon Sinn. Die staubige Blues-Klampfe, der dreckig-fordernde Gesang und der schwere Rhythmus des Basses zimmern keine neuen Pfade im Haus des Rock’n’Roll, wischen die Böden aber amtlich durch dass es nur so blitzt. Live kongenial zusammengehalten von David Flütsch, einem Multiinstrumentalisten aus der Schweiz, der vor acht Jahren noch als Kandidat der „Mister Teenie-Wahl“ im Gespräch war, was immer das Merkwürdiges sein mag.
Die Ladies sind aber Boss, so auch gestern im Schlachthof. Das aktuelle Album „Devil Dance“, aus dem (glaube ich) alle Nummern des Abends stammten (ihr zweites, eine EP gibt es auch noch) rockt wie Sau und live war das sogar noch eine ganze Ecke stärker. Unterm Strich war das alles also durchaus unterhaltsam – beide Formationen sollte man im Auge behalten. Wobei am Ende trotzdem die Frage bleibt: Was machen eigentlich BABY IN VAIN?
Links: https://www.velvettwostripes.com/, https://www.facebook.com/velvettwostripes/, https://www.last.fm/de/music/Velvet+Two+Stripes, https://www.stonefieldband.com/, https://www.facebook.com/stonefieldband, https://stonefield.bandcamp.com/, https://www.last.fm/music/Stonefield
Text, Fotos & Clips: Micha
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