THIN LIZZY

Batschkapp, 10.07.2012

Erinnerungen werden wach an Abenden wie diesen: Gedanken an Teenagerzeiten, in denen man innerhalb der Clique stritt, ob nun AC/DC, DEEP PURPLE, QUEEN oder THIN LIZZY die weltbeste Rockband sei. Erinnerungen, die zurückreichen bis in Kindertage, als man sich wie ein Schneekönig freute, das Lizzy-Album „Live and Dangerous“ als Kopie auf MC überspielt bekommen zu haben. Diese Erlebnisse waren längst verschüttet, aber dennoch kamen sie mir auf dem Weg in die Eschersheimer Batschkapp wieder in den Sinn.

Von der S-Bahnstation kommend, fiel beim Überqueren der alten, maroden Fußgängerbrücke als erstes der riesige schwarze Truck ins Auge, mit dem die irischen Edelrocker ihr Equipment vor die Halle karren ließen (Foto in der Galerie unten). Den Naturgesetzen folgend eigentlich unmöglich, mit diesem Ungetüm auf fünf Achsen dort um die Kurve zu kommen. Wer immer das Gefährt, vermutlich im Verlauf einiger Stunden, auf der engen Zufahrt zur altehrwürdigen Kapp zentimetergenau eingepasst hat, der kommt durch jedes Nadelöhr dieser Welt.

Tickets gab’s noch einige an der Abendkasse und ich hatte eigentlich einen nur mäßig gefüllten Saal erwartet, denn zurzeit sind ja Sommerferien, in denen ich das Gros der Lizzy-Fans im besten Familienväter-Alter im Urlaub wähnte. Dennoch sollte es zu einem der berüchtigten „Ein-Bier-Konzerte“ werden – einmal Getränke holen, nach vorne gehen und dann dort bleiben, weil man auf dem Weg zurück zur Bar aufgrund der drangvollen Enge das halbe Konzert verpassen würde. Aber dazu später mehr.

THIN LIZZY, am gestrigen Abend in der Besetzung mit Scott Gorham (Gitarre, Foto rechts), Ricky Warwick (Gesang & Gitarre), Brian Downey (Schlagzeug), Darren Wharton (Keyboard), Damon Johnson (Gitarre) und Marco Mendoza (Bass), ließen sich zur Freude der Fans schon um halb acht in der Nähe ihres Nightliners vor dem Elfer sehen und signierten Fotoalben und andere Devotionalien. Danach trollten sie sich wieder backstage, von wo aus wenig später PUSSY SISSTER (ja, mit zweimal „ss“ in der Mitte) auf die Bühne kamen, um das Vorprogramm zu bestreiten.

Die Karlsruher sind, wie ich am Rande hörte, durch die im Privatfernsehen gezeigte Dokureihe „Goodbye Deutschland – Die Auswanderer“ zu zweifelhaftem Ruhm gelangt. Mir war weder die Band noch die Serie zuvor ein Begriff und – wie sich herausstellte – habe ich nichts verpasst. Die Truppe fiel nicht nur durch ihren

arg originellen Namen, sondern später auch durch ihr affektiertes Gepose und ihre abgedroschenen Sprüche bei mir glatt durch. Beispielsweise sollten alle, die was „zum Saufen“ haben, ihre Becher in die Höhe recken. Anschließend rief einer der Musiker „Prost ihr Säcke“. Diejenigen, die diesen uralten Spruch immer noch witzig fanden (und die gab’s tatsächlich), brüllten zurück „Prost Du Sack“. Dergleichen gab’s einiges mehr. Im Keller rattert die Bartwickelmaschine und die Dorfdisco lässt grüßen.

Sänger Alex Nad, Spitzname „Sex“ (was sonst), präsentierte sich gebräunt, das Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, später ganz oberkörperfrei, mit Macker-Posen wie am Ballermann – eine Rock’n Roll-Reinkarnation des „Königs von Mallorca“ früherer Tage oder unfreiwillige Persiflage seiner selbst. PUSSY SISSTER bedienten wohlkalkuliert jedes Klischee, das ist halt ihre Masche.

Die fünf Jungs beherrschten ihre Spielgeräte einwandfrei, doch die Lieder zündeten (zumindest bei mir) nicht. Rockmusik, die annähernd so wild und gefährlich klang wie die der späten SCORPIONS. Es gab aber auch einige, deren sonniges Gemüt die PS erfreuten, das sei fairerweise angemerkt. Viele warteten allerdings lieber draußen auf das, was noch kommen sollte.

Die Umbaupause geriet etwas lang, insbesondere in Anbetracht der subtropischen Temperaturen, die inzwischen in der picke-packe-vollen Kapp herrschten. Das Publikum bestand aus allen Altersklassen: Zu meiner rechten stand ein Herr im Rentenalter, der ohne weiteres mein Vater hätte sein können, vor mir ein Bubi von etwa 16 Jahren, der problemlos mein Sohn hätte sein können. Jemand hatte sogar sein schätzungsweise zehn Jahre altes Kind mitgebracht. Generationenübergreifend wurde in freudiger Erwartung geschwitzt und ausgedünstet, was die Poren hergaben.

Dann: Lichter aus, Jubel. THIN LIZZY kamen raus, nahmen ihre Plätze ein und Warwick brüllte „Are You Ready?“ ins Mikrofon. Der Startschuss zum ersten Stück, prädestiniert als Opener für einen furiosen Konzertabend. Hunderte hungrige Anhänger fraßen der Band vom ersten Takt an aus der Hand. Mit „Jailbreak“ und „Don’t Believe a Word“ folgten weitere Klassiker meiner persönlichen Rock’n Roll-Hall of Fame, erst bei „Dancing in the Moonlight“ trat die Band tempomäßig auf die Bremse, um anschließend mit „Massacre“ wieder voll aufs Gaspedal zu steigen.

Die vier Gitarren in der vorderen Reihe (links Mendoza am Bass, daneben Johnson und Warwick, rechts Gorham) machten mächtig Alarm. Besonders gut gefiel mir Damon Johnson, der im vergangenen Jahr in Aschaffenburg nicht mit von der Partie gewesen war. Ein absoluter Könner an den sechs Saiten und ohne Zweifel würdig, bei TL zu spielen. Warwick stellte einmal mehr unter Beweis, dass auch er den verstorbenen Phil Lynott zwar nicht vergessen machen, aber durchaus ersetzen kann.

Gorham, Downey (beide inzwischen 61) und Wharton spielten routiniert und unspektakulär; sie überließen Aktion und Interaktion mit dem Publikum weitgehend Frontmann Warwick und Johnson. Auch Mendoza ist mit seinen knapp 50 Jahren noch immer ein Energiebündel. Nebenbei warf er während des Auftritts noch gut zwei Dutzend Plektren mit seinem Namenszug in die Menge, die natürlich gern als Souvenir aufgefangen und eingesteckt wurden.

Im zweiten Teil des Gigs wartete noch einer meiner absoluten Favoriten, der „Cowboy Song“. Und als Warwick beim Intro zur Mundharmonika griff und ihm die Schweißperlen in Strömen von den Armen tropften, da sah man auch, dass so ’ne Rockshow verdammt harte Arbeit ist. Tosender Applaus wird es ihm vergolten haben. Danach spielte die Band „The Boys are Back in Town“, bevor das Sextett sich das erste Mal verabschiedete. Zur Zugabe ließ es sich allerdings nicht lange bitten und zum Schluss gab’s „Rosalie“ in einer XXL-Version sowie „Black Rose“. Die Setlist umfasste zwar „nur“ 15 Songs, diese dauerten dafür aber bis zu acht Minuten, wie beispielsweise bei „Whiskey in the Jar“ (Clip weiter unten).

Insgesamt war der Auftritt eine wunderbare „Best of Thin Lizzy“-Show. Klar, ein paar Songs mehr, darunter „The Rocker“ und „Sha La La“, hätten wohl alle Anwesenden gern noch gehört, aber die Jungs haben so viele Hits, die passen nun mal nicht alle in ein 90-minütiges Set. Ein Blick in die Gesichter um mich herum nach dem Gig zeigte: THIN LIZZY hinterließen zufriedene, teils begeisterte Konzertbesucher, die ihr Kommen trotz teilweise weiter Anfahrtswege nicht bereut haben.

Und selbst, als Scott Gorham und seine Mitstreiter sich gegen halb zwölf vor dem Elfer in einen Daimler schwangen, liefen noch einige Fans zum Wagen, machten die Türen wieder auf und schossen ihre letzten Fotos. Zur Erinnerung an einen Abend wie diesen.

Setlist: Are You Ready – Jailbreak – Don’t Believe a Word – Killer on the Loose – Dancing in the Moonlight – Massacre – Angel of Death – Still in Love With You – Whiskey in the Jar – Suicide – Waiting for an Alibi – Cowboy Song – The Boys are Back in Town – Rosalie – Black Rose

Links: http://www.thinlizzyband.com/, http://de.myspace.com/thinlizzynow, http://scottgorham.com/, http://www.rickywarwick.com/, http://www.damonjohnson.com/, http://www.marcomendoza.com/, http://www.pussy-sisster.de/band.html, http://www.myspace.com/pussysisster

Text, Fotos (1) & Clips: Stefan / Fotos (14): Genadi / Fotos (14): Britta Stippich

Mehr Bilder:


Einen weiteren Bericht zu THIN LIZZY vom Juli 2011 gibt es hier.

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