Das Bett, Frankfurt, 13.11.2015
Dass wir die großartige Formation THE URBAN VOODOO MACHINE aus London mal in Frankfurt erleben durften, haben wir letztlich Johnny Torpedo zu verdanken. Er lernte die vielköpfige Combo vor einigen Jahren im Vereinigten Königreich kennen, trat mit ihr auf und machte daraufhin die hiesigen Veranstalter heiß, sie auch mal für unsere Gefilde zu buchen. Nun hat es endlich geklappt und – soviel darf ich hier schonmal vorwegnehmen – der Weg in den Club „Das Bett“ hat sich einmal mehr gelohnt. Dem Umstand, dass an diesem Abend zwölf (!) Konzertveranstaltungen im Rhein/Main-Gebiet angeboten wurden, war es wohl geschuldet, dass sich letztlich „nur“ etwa 100 Personen einfanden; aber ich persönlich mag es eigentlich immer ganz gern, wenn nicht alles dicht an dicht stehen muss.
Im Vorprogramm natürlich: Johnny Torpedo mit seiner ROCKIN‘ SHANTY SHOW. Wir haben den Jungen mit der Kapitänsmütze und dem Akkordeon ja in diesem Blog kürzlich im Rahmen eines langen Interviews zu Wort kommen lassen (klicke hier), zum gestrigen Gig hatte er sich Unterstützung durch seine kongenialen Mitstreiter Stiggy Hoo-La (Kontrabass) auf seiner Steuerbordseite und Mr. „Skip“ Jack Tuna (Gitarre) an Backbord auf Deck geholt.
Und so schipperte das Trio zusammen mit den Gästen über die sieben Weltmeere und zog mal wieder alle Register: Ein launiger Gig mit mal rockigen, mal melancholischen Shantys, angereichert durch Anekdötchen, Kalauer oder Seemannsgarn zwischen den einzelnen Songs sowie Durchsagen mittels eines Mini-Megaphons mit eingebauter Sirene; Johnny und seine Mannschaft verstanden es wie gewohnt trefflich, das Publikum zu unterhalten. Auch die obligatorische Rumflasche hatte ihren Platz auf der Bühne, auch wenn sie am gestrigen Abend nur selten angesetzt wurde und deshalb fast voll den Weg zurück in den Backstage-Bereich fand. Ob sie später gemeinsam mit den Freunden der URBAN VOODOO MACHINE geleert wurde, darüber wird der Sänger vielleicht im Rahmen einer seiner nächsten Shows Aufschluss geben. Doch besagter Headliner hatte zuvor noch einen Auftritt zu absolvieren, auf den die Besucher nun gespannt warteten.
THE URBAN VOODOO MACHINE, das sind der in Norwegen geborene Frontmann Paul-Ronney Angel und eine fast unüberschaubare Truppe an Musikern, die er um sich versammelt hat. Versammeln ist hier absolut der richtige Begriff, denn alles begann 2003, als Angel von einem Promoter darum gebeten wurde, innerhalb von 48 Stunden eine Band für einen kurzfristigen Gig zusammenzutrommeln. So durchstreifte er die einschlägigen Bars und Spelunken Londons, rekrutierte zirkusreife Musikanten und die UVM war geboren. Da die daraus entstandene Combo nicht nur verschiedenste Stile miteinander verbindet, sondern auch eine Vielfalt von Instrumenten einsetzt – unter anderem Saxophon, Tuba, Geige, Gitarren, Harmonika, Akkordeon, Klavier, Kontrabass, Waschbrett und zwei Schlagzeuge nebeneinander –, wäre es schwierig, hier alle Mitglieder aufzulisten. Denn diese variieren mitunter von Show zu Show und Aufnahme zu Aufnahme.
Feste Bestandteile sind aber außer dem theatralischen Sänger selbst der Rotschopf Lucifire am Saxophon, die beiden Schlagzeuger J-Roni-Moe und Jary, Bassist Reverend Gavin Smith und Slim an den Tasten (die er in den Achtzigern schon bei HOWLIN WILF & THE VEE JAYS betätigte). Zu jenen festen Mitgliedern gehörte bis vor kurzem auch Nick Marsh, Mitbegründer von FLESH FOR LULU, an der E-Gitarre. Leider erlag Marsh im vergangenen Juni im Alter von 53 Jahren seinem Krebsleiden. Noch jünger war Rob Skipper, häufig bei der UVM an der Geige zu finden, als er 2014 an einer Überdosis Heroin starb. Skipper hatte mit seiner Band THE HOLLOWAYS einige Hits in den britischen Charts und auf beiden Versionen des Titels „Heroin (Put My Brothers In The Ground)” der URBAN VOODOO MACHINE gespielt. Nur sich leider den Text nie richtig angehört, wie Paul-Ronney Angel es nach dessen Tod ausdrückte.
Der Tod spielt bei der UVM also nicht nur in Liedtexten eine Rolle. Da passt es irgendwie auch, dass sie 2013 eine Single („Help Me Jesus“) mit Wilko Johnson, dem legendären Gitarristen von DR FEELGOOD, aufnahmen. Dem hatten die Ärzte Anfang selbigen Jahres wegen Krebs an der Bauchspeicheldrüse nur noch wenige Monate gegeben. Aber anscheinend hat Jesus die Single gefallen, denn bislang lebt Johnson immer noch. Die Zusammenarbeit mit älteren Musikern liegt der UVM übrigens: Wer sich das Video zu „Pipe and Slippers Man“ ansieht (klicke hier), kann dort den THE DAMNED-Schlagzeuger Rat Scabies in einer interessanten Rolle wiederfinden.
Die Videos der Band sind im Übrigen sehenswert und gut produziert. Sie zeigen, worum es bei dem Ensemble geht – ein visuell-musikalisches Gesamtkonzept, das Drama, Zirkus, Alkohol, Sex und verschiedenste Musikstile beinhaltet. Selbst bezeichnen sie dies als „Bourbon Soaked Gypsy Blues Bop ‘n’ Stroll“, aber man kann da noch viel mehr entdecken, Roots- und Punk-Elemente vermischt, einem Tom Waits nicht ganz unähnlich. Die zitierte Selbstbeschreibung ist übrigens auch der Titel des Debütalbums von 2009. Neben „Bourbon Soaked Gypsy Blues Bop ‘n’ Stroll“ gibt es nur noch zwei weitere Alben: „In Black ‘n’ Red“ (damit wäre dann auch das visuelle Konzept definiert) von 2011 und „Love, Drink & Death“ (und hier dann das inhaltliche) von 2014. Also insgesamt seit 2003 nur drei, noch dazu auf Vinyl schwer erhältliche Longplayer (das auf 300 Exemplare limierte, „aktuelle“ Doppelalbum war am Merchtisch nach der Show für schlappe 40 Euro zu haben). EPs und Singles gibt es aber auch noch. Ob die Aufnahmen an eine Live-Show der UVM herankommen, müsst Ihr selbst entscheiden.
Der gestrige Auftritt jedenfalls war phänomenal – musikalisch ein mitunter skurriler, aber höchst interessanter Stilmix sowie eine tolle Performance, bei der es an allen Ecken und Enden der Bühne immer etwas zu sehen gab. Dazu ständige Interaktion mit dem Publikum, was sowohl beinhaltete, dass die Musiker fast in kompletter Formation durch die Gästeschar marschierten, als auch dass einige junge Damen, die in den ersten Reihen getanzt hatten, dies auf der Bühne zwischen den Protagonisten fortsetzen durften (Bilder davon in der Slideshow unten). Eine Show der URBAN VOODOO MACHINE ist ein bisschen wie Theater, wie Zirkus, wie Rummelplatz und nicht zuletzt wie das wilde, stets Überraschungen bereithaltende Leben selbst.
So war die Stimmung bei Publikum und Band bestens, bis… ja, bis ich den Betreiber von „Das Bett“, Frank Diedrich, unmittelbar nach dem Ende des Gigs mit versteinerter Miene auf die Bühne und ans Mikrofon kommen sah. Ich gehe oft in den Club und da ich dies noch nie zuvor erlebt hatte, schwante mir gleich nichts Gutes. Vom Podest unterrichtete er die Gäste von den grausamen Terroranschlägen in Paris und dass man deswegen beschlossen habe, keine Tanzmusik im Anschluss mehr zu spielen. Eine richtige Entscheidung und aufgrund der Geschehnisse leider das betrübliche Ende eines Konzertabends, der bis dahin für mich zu den besten des nun ablaufenden Jahres zählte.
Setlist: Theme From The Urban Voodoo Machine / Lightning From A Blues Sky / Heroin (Put My Brothers In The Ground) / Bucket Of Blood / Crazy Maria / Emptiness / Orphans Lament / Pipe And Slippers Man / Factory Girl / Two Ships / Police Paranoia / Rusty Water & Coffin Nails / Goodnight My Dear / Help Me Jesus / Goodbye To Another Year / Across The Borderline / Down In A Hole
Links: http://www.johnny-torpedo.com/, https://myspace.com/johnnytorpedo1, http://theurbanvoodoomachine.com/, https://www.facebook.com/TheUrbanVoodooMachine, https://myspace.com/theurbanvoodoomachine, https://www.reverbnation.com/theurbanvoodoomachine, http://www.last.fm/music/The+Urban+Voodoo+Machine
Text: Stefan & Jan / Fotos & Clips: Kai
Alle Bilder: