Schlachthof, Wiesbaden, 24.06.2015
THE WORLD/INFERNO FRIENDSHIP SOCIETY ist, meine jüngeren Lieben mögen das verzeihen, eine alte Liebe von mir. Ich sah die Kapelle um den charismatischen Sänger Jack Terricloth (rechts) erstmals im September 2001, damals noch im kleinen Keller der Au in Frankfurt-Rödelheim. Das war nur ein paar Tage nach den Anschlägen, die damals die Welt in Aufruhr versetzten und man fragte sich zwangsläufig, ob es p.c. sein konnte, sich eine Band solchen Namens unter dem Eindruck der grauenvollen Geschehnisse anzusehen. Es konnte. Und wohl niemand, der damals dabei war, hat es bereut, dem Auftritt beigewohnt zu haben. Diese Melange aus Punk, Rock, Klezmer, Jazz und einer Prise Soul, vorgetragen von einem vielköpfigen, skurrilen Ensemble, faszinierte und war – bestimmt nicht nur für mich – etwas völlig Neues in der Welt des musikalischen Untergrunds rund um Punk und Artverwandtem.
In den folgenden Jahren besuchte ich die Shows der WIFS noch mehrmals in der großen Halle des Bockenheimer Café Exzess, so geschehen 2005, 2006 und 2007. Danach verlor ich, zumindest was die Auftritte betrifft, die Spur der Amerikaner, auch wenn ich bei ihren Tonträgern weiter am Ball blieb. Von denen gibt es, Live-Aufnahmen eingeschlossen, inzwischen sieben Longplayer, dazu kommen mehr als ein Dutzend Singles und EP’s. Am gestrigen Abend war das Kollektiv nun bereits zum vierten Mal im Wiesbadener Schlachthof zu Gast, und erstmals im erst im März 2015 eröffneten Kesselhaus (ganz nette Location, übrigens).
Das moderat gestylte Ambiente des Kesselhauses spiegelte indes auch die (optische) Entwicklung der diesmal zu acht (!) angetretenen Formation wieder. Trugen die Bandmitglieder früher – abgesehen von Frontmann Jack, der stets vom Feinsten gewandet auf den Bühnen dieser Welt wandelt – gerne auch mal zerschlissene Klamotten und ihre zahlreichen Tattoos zur Schau, präsentierte sich die Truppe nun homogen in Anzügen mit Schlips und Kragen. Die Jungs und Mädels (diesmal derer zwei) sind, und das mag man ihnen weder ankreiden noch neiden, älter geworden, und außerdem etwas berühmter. Die Zeiten, in denen man die WIFS noch in Au, Exzess oder ähnlichen Clubs erleben konnte, sind vorbei.
Das allerdings tat, wie sich in den folgenden etwa 90 Minuten herausstellte, dem hohen Entertainmentfaktor einer WIFS-Show keinen Abbruch, und das, obwohl die Truppe erst einige Stunden zuvor zum Start ihrer Europa-Tour aus den Vereinigten Staaten eingeflogen war und wahrscheinlich noch unter einem gehörigen Jetlag litt. Jack schien den mit Rotwein zu bekämpfen; man sah ihn anfangs das Glas und später die ganze Flasche in Richtung Publikum schwenken. Die Atmosphäre im Saal stimmte vom ersten Song an, der Rhythmus der Mid- und Up-Tempo-Nummern mit dem einprägsamen Gesang und dem punktgenauen Einsatz der Bläsersektion ließen die Gäste schnell in Wallung kommen. Zwischen den Stücken sorgten die kleinen Anekdoten des Frontmanns beim Luftholen für Musiker und Zuhörer für schmunzelnde Gesichter.
Mit ihrem aktuellen Album „This Packed Funeral“ ist die Band nun beim Label Alternative Tentacles gelandet, was ja in dem Genre keine schlechte Referenz ist. Von der Scheibe wurde allerdings, was ich etwas ungewöhnlich fand, neben dem Titelsong nur ein weiteres Stück („American Mercurial“) gespielt. Ein Schwerpunkt der Auswahl lag auf der 2006 erschienenen, hervorragenden LP „Red-Eyed Soul“, der mit „Brother of the Mayor of Bridgewater“, meinem Favoriten „Velocity of Love“, „Annie the Imaginary Lawyer“, „Fiend in Wien“ und der tollen Mitsing-Nummer „Only Anarchists are Pretty“ (in der Zugabe) mindestens fünf Stücke der rund 20 Songs umfassenden Setlist entstammten.
Weiterhin hervorzuheben sind der Titeltrack des Werks „Addicted to Bad Ideas“, das die Band 2007 als Hommage an den deutschen Schauspieler Peter Lorre konzipiert hat, sowie die Klassiker „Paul Robeson“ und „Poor Old Jeffrey Lee“, die in jede gute WIFS-Show gehören. Insgesamt ein schöner Querschnitt des Schaffens der vor knapp 20 Jahren gegründeten Combo; für mich blieben da keine Wünsche offen.
Im Verlauf des Abends kokettierte die Band, die als Heimatstadt stets „Brooklyn, New York“ angibt, immer mal wieder damit, dass die Mehrzahl ihrer derzeitigen Mitglieder nicht aus New York City, sondern aus New Jersey stammt (es scheint dort eine vergleichbare Art gegenseitiger Wertschätzung wie zwischen Frankfurt und Offenbach zu geben). Die beiden Kollegen aus dem Big Apple, tätig an Geige und Trompete, wurden neben der offiziellen Vorstellung sogar noch einmal extra benannt.
Die Liste all derer, die schon bei der WIFS mitgewirkt haben, ist lang. Sie umfasst mehr als 40 Personen, und die Namen von deren ehemaligen oder aktuellen Bands wie z. B. STAR FUCKING HIPSTERS, LEFTÖVER CRACK und THE DRESDEN DOLLS bis hin zu NINE INCH NAILS und DEXY’S MIDNIGHT RUNNERS sind mitunter klangvoll. Die einzige der momentanen Besetzung, die ich neben dem letzten verbliebenen Gründungsmitglied Jack Terricloth noch von den Konzerten Mitte der 2000er Jahre aus dem Exzess erinnerte, war Bassistin Sandra Malak mit ihren langen, über dem Kopf zusammengebundenen Dreadlocks. Doch egal, wer an der Seite von Jack letztlich die WIFS repräsentiert, es sind alles Könner an ihren Instrumenten und auf der Bühne allemal Hingucker. Und so bleibt die WORLD/INFERNO FRIENDSHIP SOCIETY, was sie schon immer war: ein akustisch-optisches Gesamtkunstwerk.
Links: http://www.worldinferno.com/, https://www.facebook.com/worldinferno, https://myspace.com/worldinferno, http://www.lastfm.de/music/The+World/Inferno+Friendship+Society
Text: Stefan / Fotos & Clip: Kai
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