Zoom, Frankfurt, 8.04.2015
Ich habe wenig Ahnung von Hip Hop; eigentlich fast gar keine. Ich hör‘ sowas zwar schon seit „The Message“ von GRANDMASTER FLASH (1982), aber immer nur nebenbei, ab und zu. Als Musik von der Straße, beziehungsweise als musikalische Ausdrucksform einer künstlerisch aktiven Jugendbewegung, die irgendwann wie die meisten anderen Teil des erwachsenen Mainstreams wurde, habe ich Hip Hop jedoch immer genauso geschätzt wie Punk oder Heavy Metal. Auch, wenn ich einige Jahre lang überhaupt keinen Hip Hop hörte.
Es möge mir deshalb verziehen sein, wenn aus diesem Text weniger profunde Nerderei spricht als (hoffentlich) aus anderen Texten von mir. Aber ein wenig Rechtfertigungsdruck verspüre ich durchaus, weil selbst meine Kollegen hier ein wenig den Kopf schütteln. Dabei ist diese Review, zumindest in meiner Welt, absolut folgerichtig.
Ich möchte ein wenig ausholen: Als der Song „The Message“ rauskam, nannten das meine mehr oder weniger „friedensbewegten“ Kumpels (die hauptsächlich Hannes Wader goutierten, aber auch mal TON STEINE SCHERBEN oder Punk hörten) „Discoscheiße“. Zwei Dinge wurden bei diesem Fehlurteil ignoriert. Erstens: Bei dieser angeblichen „Discoscheiße“ wurde allemal mehr über aktuelle Lebensumstände berichtet, als in sämtlichen anderen Musikrichtungen außer Punk und bei dem einen oder anderen Singer/Songwriter. Und zweitens: Disco war nicht scheiße. Sondern geil, gut und wichtig. Aber das wäre nochmal eine andere Geschichte, die heute nicht erzählt wird.
Punkt 1 wurde von progressiveren Musikanten ja durchaus bemerkt, siehe die Crossover-Welle der 90er, die bis vor kurzem schamhaft als Altlast aus den meisten Playlisten verschwand; nun allerdings langsam, aber sicher, ein stetig ansteigendes Comeback zu erfahren scheint. FAITH NO MORE kommen wieder, WALTARI auch und selbst die Eltern dieser Bewegung, MOTHER’S FINEST, steigen nochmal in den Reisebus.
Mit Hip Hop hat das aber wenig zu tun. Die einzige mir bekannte „Crossover“-Tour mit ANTHRAX und PUBLIC ENEMY (entstanden aus den „Props“ für ANTHRAX im P.E.-Song „Bring The Noise“) 1992 war eine Tour, bei der die Hip Hop-Fans wegblieben und PUBLIC ENEMY von den Metallern nur geduldet wurden – dass der Großteil der P.E.-Musik vom Band kam half auch nicht unbedingt dabei, diese Musikrichtung bei den Gitarrenfreaks zu etablieren.
Nach PUBLIC ENEMY und den miesen Live- Darbietungen sonst von mir (auf CD) geschätzter Acts wie ICE CUBE, DE LA SOUL, LL COOL J oder BOOGIE DOWN PRODUCTIONS verlor ich ein wenig das Interesse und den Überblick – außer dem New Yorker NAS und dem WU-TANG CLAN hielt ich plattentechnisch niemandem die Treue. Ein kurzes Aufflackern meiner Aufmerksamkeit war spürbar, als Songs wie „Fremd im eigenen Land“ von ADVANCED CHEMISTRY (1992) rauskamen – Hip Hop auf Deutsch, die Erlebniswelt der sogenannten „Migrantenkinder“ beschreibend. Noch politischer wurde es mit Tracks wie „Solingen… Willkommen im Jahr IV nach der Wiedervereinigung“ von ANARCHIST ACADEMY (1994), die die Pogrome im neuen Gesamtdeutschland gegen Flüchtlinge und andere Ausländer thematisierten.
Gleichzeitig schien sich im Hip Hop eine Kultur der Egozentrik und der reinen Prahlerei zu etablieren, aber da bin ich zugegebenerweise raus. 50 CENTs ubiquitäre Videos ödeten mich an, EMINEM ignorierte ich eine Weile (sträflich).
Dann wurde durch eine Fortbildung mein Interesse an den Sprachschöpfungen moderner, deutschsprachiger Rapper geweckt. Ich hörte SIDO und BUSHIDO und konnte teilweise nachvollziehen, was deren Songs für jüngere Menschen bedeuten; teilweise aber eben auch nicht. Dass Frankfurt, bzw. das Rhein/Main-Gebiet eine Hochburg des modernen Gangster-Rap ist, sprach mich auch erstmal nur auf lokalpatriotischer Ebene an. Nach einigen Durchläufen mutierte ich jedoch zu einem begeisterten Hörer von HAFTBEFEHL und CELO & ABDI. Aber damit bin ich nicht alleine, sondern in der Gesellschaft eines Großteils des Feuilletons von Spiegel bis Spex. Fast schon wieder abschreckend, eigentlich.
Die Rapper, die anno 2015 als ZUGEZOGEN MASKULIN agieren, haben einen ganz anderen Hintergrund. Beide kamen aus der Provinz nach Berlin (ihr Name ist eine Referenz an die Berliner WESTBERLIN MASKULIN und SÜDBERLIN MASKULIN); ihre Themen finden sie ebenso in aktuellen Berliner Erlebnissen wie in ihrer Vergangenheit. Mit „Gangstertum“ hat das nichts zu tun und mit einer Glorifizierung davon schon gar nicht, wenn in „Plattenbau (OST)“ zum Beispiel das desillusionierte Abhängen in den Vorstädten oder in „Chrystal Meth in Brandenburg“ Ähnliches aus dem Umland beschrieben wird.
Dass die Geschichten interessant sind und die Meinungen, die grim104 und Testo als ZUGEZOGEN MASKULIN formulieren, eine erfrischende Relevanz haben, ist jedoch nicht der einzige Grund, warum ich sie schätze und in diesen Blog bringe – ich bin auch sehr angetan von der Musik des zweiten Albums „Alles brennt“. Auch hier bin ich Laie, stehe aber auf zeitgenössischen R’n’B wie den von BANKS oder THE WEEKND und meine, ähnliche Sounds auch bei ZM zu entdecken.
Verantwortlich dafür ist der dritte im Bunde, Kenji451, der nicht als offizielles Mitglied von ZM geführt wird, aber nicht nur mit auf der Bühne steht, sondern auch grim104s Soloalbum veredelte. Der sollte das Publikum im Frankfurter Club Zoom erst mal eine halbe Stunde lang musikalisch einstimmen, bevor die beiden Jungs dann auf das Podest sprangen – ob das in seinem Sinne gelang, vermag ich nicht zu sagen. Die Meute sammelte sich zwar, glotzte und bewegte sich minimal – es reichte aber noch nicht mal für einen Höflichkeitsapplaus. Den gab es dafür aber später, als er am Ende von „Plattenbau“ zur Violine griff. Ha, doch ein „richtiger“ Musiker und keiner, der nur Knöpfe dreht, oder was? Auch unter Hip Hop-Fans scheint es diese Denke zu geben.
Vom Energie-Level her war das, was Testo und grim104 anschließend eine knappe Stunde lang vor dem begeisterten Mob boten, eine absolute Glanzleistung. Alles, was ich an den (wenigen) von mir bisher besuchten Hip Hop-Dates Kacke fand, fehlte: Sowas wie blöde Animation („Wave your hands in the air“, „Say hohoo“) zum Beispiel, oder endloses Ausdehnen der Stücke auf Maxisingle-Länge. Stattliche 19 (!) Songs wurden gegeben, vom „Alles brennt“-Release und den Soloscheiben. Das bedeutet unfassbar viel Text, den die Jungs parat haben müssen und den sie ständig rumspringend unters Volk brachten. Texte, die aber auch fast komplett vom Pulk mitgegrölt werden konnten und der übrigens weitaus kleiner war als von mir nach dem (verdienten) Medienecho erwartet. Aber daran waren vielleicht auch die zeitgleich in der Batschkapp spielenden ORSONS Schuld.
Eine kleine, zärtliche Wall Of Death war die einzige geforderte Aktion, der Rest der Animation erging sich in ansteckendem Enthusiasmus. Bei „Champagner für Alle“ gab es selbigen ins Gesicht, nicht ohne vorher daran zu erinnern, die teuren Smartphones wegzustecken. In der Zugabe wurde dann auch nochmal dem ersten, umsonst vertriebenen Album von ZM gehuldigt, bevor „Vatermord“ als heftiger Abschluss nur noch erschöpfte und glückliche Gesichter vor und auf der Bühne zurückließ. Nette Jungs. Riesenparty. Mörderalbum. Ich bitte deshalb um etwas mehr Aufmerksamkeit. Und vielleicht sehen wir uns dann alle bald bei CELO & ABDI.
Links: https://de-de.facebook.com/ZUGEZOGENMASKULIN, https://de-de.facebook.com/Kenji451, http://www.lastfm.de/music/Zugezogen+Maskulin
Text, Fotos & Clips: Micha
Alle Bilder: