Dreikönigskeller, Frankfurt, 19.04.2024
Mit 375 CEG feierte am gestrigen Abend im Dreikönigskeller eine neue und doch nicht ganz so neue Frankfurter Formation die Veröffentlichung ihres Debütalbums. Doch wer sind 375 CEG, warum klingt der Bandname wie der Zusatzstoff eines Energiedrinks und hat der Genuss der Musik auf den Hörer einen ähnlichen Effekt wie die chemische Potenzbrühe? Über meinem Kopf kreisten viele Fragezeichen und so setzte ich meine imaginäre Nick-Knatterton-Mütze auf und begab mich an den Ort der Feierlichkeit. Im Keller angekommen wurde schnell klar: Es würde voll werden – und das nicht ohne Grund, denn die einzelnen Mitglieder der Truppe sind dem Teenageralter – zumindest körperlich – längst entwachsen, haben bereits in etlichen Bands gespielt und verfügen somit über einen exorbitanten Freundeskreis.
375 CEG sind Matthias (Gitarre), der vorher bei THE SWUNK und VIVIENNE musizierte, Christina (Vermona-Orgel, Korg MS-10, Mundharmonika, Trompete), die einst Teil von IDA RED, der GOOD HEART BOUTIQUE und den DEAD CITY DOLLS war, Dietrich (Saxophon, Theremin und Percussions), der früher bei DIE SORGENBRECHER und KAKTUS INTERRUPTUS spielte und aktuell Mitglied bei PRIMABOY und dem DAS ÖL BRENNT TRIO ist sowie Gerd (Schlagzeug und Korg Monotron), der zuvor bei THE STRUGGS und den DEAD CITY DOLLS an der Schießbude saß und nach wie vor bei PRIMABOY sowie bei HIGHEST PRIMZAHL ON MARS trommelt. Man muss nicht alle der genannten Acts kennen, aber wer schon einmal die beiden Letztgenannten gesehen hat, der weiß, dass hier alles andere als Musik von der Stange geboten wird. PRIMABOY liefern eine brachial-nihilistische Mischung aus Garage, Noise-Rock und Anarcho-Blues, HIGHEST PRIMZAHL ON MARS machen eine Melange aus Kraut-, Psychedelic- und Space-Rock. Ist es bereits nicht einfach, das Schaffen der genannten Gruppen zu definieren, so fällt dies bei 375 CEG noch diffiziler aus.
Die Musiker selbst bezeichnen ihren Stil als „Elektrokrautpunkpop“ und tatsächlich sind die einzelnen musikalischen Richtungen, die sich im begrifflichen Kompositum wiederfinden, aus dem Sound herauszuhören. Doch das Quartett deckt noch weitaus mehr Stilrichtungen ab, sodass man beim Liveauftritt fast den Eindruck hatte, dass hier jeder Song einer anderen musikalischen Gattung huldigt. Mal klang das Ganze nach einem wüsten Konglomerat aus Psychedelic-Rock und Garage-Beats, mal war ein Bastard aus Elektropop und Chanson à la STEREO TOTAL zu erkennen und mal erinnerten die Töne an den minimalistischen New Yorker No-Wave-Sound und dessen Vertreter SUICIDE und SONIC YOUTH.
Ihren Teil zur kongenialen Kakofonie trägt bei 375 CEG die Instrumentierung bei, welche die aus Gitarre und Schlagzeug bestehende Rhythmus-Sektion durch Instrumente wie Theremin, Trompete, Orgel und ein Saxophon untermalte – auch ein alter Telefonhörer, der als Stimmenverzerrer fungierte, kam zum Einsatz. Den Gesang teilen sich Gitarrist Matthias, der die harmonischen Vocals lieferte, und Organistin Christina, deren Stimmvariationen vom verführerischen Geflüster über groovende Pop-Singalongs bis hin zu ekstatischen Schreien reichte. Matthias und Christina bilden dabei den ursprünglichen Kern der Band und musizieren bereits seit zehn Jahren im heimischen Hobbykeller, erst im vergangenen Jahr schlossen sich Gerd und Dietrich der Formation an und erweiterten dadurch deren Spektrum. Live machte das Ganze am gestrigen Abend großen Spaß, nicht zuletzt, da sich die Darbietung als psychedelische Wundertüte offenbarte, die das Publikum mit jedem Track aufs Neue überraschte. Doch nicht nur vor, sondern auch auf der Bühne hatte man Spaß, denn bei vielen Stücken wurde improvisiert und die auf der LP enthaltenen Lieder anders dargeboten.
Unterm Strich war’s ein grandioser Abend, der jeden Musikfan, der offen für Neues, Schräges und Ungewöhnliches ist, begeistert haben dürfte. Apropos LP: Die wurde natürlich ebenso wie eine aktuelle Single zum Kauf angeboten. Der Longplayer enthält Songs, die noch als Duo eingespielt wurden, auf der Single sind 375 CEG als Quartett zu hören. Beide Scheiben sind direkt über die Band (siehe den Link unten) oder über Lucky Star Records in Bornheim zu beziehen.
Bleibt noch die Frage zu beantworten, was es mit dem Namen 375 CEG auf sich hat: Dieser geht auf einen Comic des spanischen Künstlers Esteban Maroto (Jahrgang 1942) zurück und ist der Name eines Helden, der als Überlebensexperte für fremde Planeten gilt und als temperamentvoll, eigensinnig und romantisch beschrieben wird – allesamt Attribute, die auch auf die Frankfurter Band zutreffen, die ich an dieser Stelle jedem Musikfreund ans Herz legen möchte.
Links: https://www.facebook.com/375-CEG/, https://375ceg.bandcamp.com/, https://www.youtube.com/channel/375ceg
Text: Marcus
Fotos: Boris, http://www.borisschoeppner.de/
Clip: Karin
Alle Bilder:
Erst mal vielen Dank an den Textverfasser.
Toll und auf den Punkt beschrieben.
Auf dem Konzert kam einem das Stück rising sun gar nicht so lange vor. Live hat es einen hypnotisiert und eingesaugt.
Es war ein großartiges Konzert und ich freue mich auf den nächsten Auftritt.
Grüße Barbara