MS Connexion Complex, Mannheim, 4.02.2020
Rumms! Die Art, wie die Chilenen NUCLEAR in diesem Billing auf sich aufmerksam machten, war nicht unoriginell. Schließlich hatte sie kaum jemand auf dem Schirm und ihre Teilnahme an der Tour als Opener für den Headliner ABBATH (links) sowie VLTIMAS und 1349 wurde vorher nur an wenigen Stellen thematisiert. Überhaupt: Dass die Tour nicht abgesagt wurde, war im Vorfeld alles andere als sicher (dazu später mehr). Tatsache war jedoch: Das Konzert fand statt. Viele kauften ihr Ticket in letzter Minute und füllten die Kolbenhalle im MS Connexion Complex in Mannheim recht ansehnlich. NUCLEAR starteten ihr 30-minütiges Programm pünktlich um 19.30 Uhr – ich stolzierte in Richtung Fotograben, mein rechtes Ohr war bereits durch die Schaumsstoff-Plombe geschützt, so wie es meine Ärztin verlangt, wenn ich weiter Metal-Konzerte besuchen will; ins linke wollte ich gerade den orange-roten Partner dieses Schutzes schieben, da tat es diesen infernalischen Schlag.
NUCLEAR hatten es in diesem Moment ziemlich verschissen bei mir, das von ihnen verursachte Klingeln beschäftigte meinen Gehörgang noch einige Tage. Ich weiß, ich bin alt und empfindlich – aber dafür hasste ich sie, abgrundtief. Alt sind NUCLEAR ebenfalls, aber weniger empfindlich oder früher mit Gehörschutz ausgestattet. Aktiv seit 2003, vorher bereits als ESCORIA unterwegs und nein, ich kannte sie nicht und wollte sie scheitern sehen an diesem Abend, an dem sie als Einzige ohne Bemalung, Gewandung oder ähnlichen Krempel auskamen. Klappte nicht.
Mein Zorn verrauchte in dem Augenblick, als ich das C.O.C.-Shirt des Schlagzeugers wahrnahm – wenige Tage vorher starb deren Drummer Reed Mullin. Das konnte ein Zufall sein, glaube ich jedoch nicht. CORROSION OF CONFORMITY schätze ich sehr, Mullin traf ich zweimal zum Interview in den Neunzigern und die Gespräche mit ihm gehörten zu den angenehmsten Begegnungen, die ich mit Musikern jemals hatte. Props an Punto Sudy, der ebensolche an Mullin posthum durch seine Shirt-Wahl verteilte. Ich mochte NUCLEAR jetzt schon, was sich durch das folgende, halbstündige Set auch nicht mehr änderte. Punkiger, dem Anarchismus huldigender Thrash Metal ohne Innovationsgeist, aber mit Hingabe und Bock. Steckte an. Sehr geiler Opener.
Lust auf ein Bier? Ihr nachzugeben wird inzwischen im Connex etwas erschwert. Beim Einlass wurde bereits darauf hingewiesen, dass neben der Abendkasse ein zweiter Schalter geöffnet sein würde, an dem man Karten für fünf oder 25 Euro ordern könne. Nur mit diesen Karten gibt es Getränke, sogar die Garderobe muss damit beglichen werden. Grund für die Maßnahme ist das (begründete oder nicht) Misstrauen des
neuen Geschäftsführers gegenüber seinen Mitarbeitern, die angeblich in der Vergangenheit öfter in die Kasse gegriffen haben sollen, wie hinter vorgehaltener Hand kolportiert wurde. Umständlich für die Gäste, die im Lauf des Abends immer größere Schwierigkeiten hatten die Menge an ausgestrichenen Kästchen zu überprüfen oder gar ihre Karten nicht zu verlieren (ich weiß, wovon ich spreche!) und blöd für die Mitarbeiter, die auf diese Art weit weniger Trinkgeld einsacken dürften.
Das schreit nach Krawall. Passend dazu folgten die Norweger 1349 – benannt nach dem Jahr, in dem die Pest zwei Drittel ihrer Landsleute dahinraffte. Die Schwarzmetaller waren für viele der Hauptgrund des Erscheinens, trotz der gerade mal 45-minütigen Spielzeit. Länger duften auch die anschließenden VLTIMAS nicht zocken, aber da stehen mit Frontsau David Vincent sowie Rune „Blasphemer“ Eriksen gleich zwei Legenden auf den Brettern – 1349 haben mit Drumgott Frost nur eine zu bieten, sind nach sieben Studio-Alben und 23 Jahren Praxis aber eigentlich selbst längst eine. Und was für Alben das sind: 1349 prägten den norwegischen Black Metal auf ihre spezielle Weise, entwickelten sich ständig weiter und erfuhren in ihrer Heimat auch den Ritterschlag der Hochkultur, ähnlich wie die ebenso von Frost befeuerten Kollegen von SATYRICON.
Auf Anfrage des Munch-Museums in Oslo setzten sich 1349 mit dem Werk der norwegischen Kunst-Ikone Edvard Munch musikalisch auseinander und veröffentlichten 2019 den Song „Dødskamp“ zum gleichnamigen Gemälde (mehr hier). Okkulter Black Metal bei 1349 beinhaltet eine Geistes- und Gefühlshaltung, die „nichts mit umgedrehten Kreuzen zu tun hat“ (Frost im Metal Hammer zu Björn Springorum, der im
gleichen Artikel attestiert, dass 1349 „eben nicht zum Spaß hier sind“). Fies und überragend haute das Quartett nach anfänglichen Soundproblemen eine Reihe von Knallern in den Smartphone-dominierten Pit, die sich aus vier Stücken des aktuellen Drehers „The Infernal Pathway“ sowie einigen Ausflügen in die entferntere Vergangenheit bis 2003 speiste. Die Reise nach Mannheim hatte sich schon gelohnt, selbst wenn jetzt nur noch Rotz kommen sollte.
Ob dem so war oder nicht ist natürlich reine Geschmackssache. Das 2019 veröffentlichte Debüt des Trios VLTIMAS, das sich live als Quintett entpuppte, dem zweiten Gitarristen sowie dem Bassisten aber jedwede Credits zu verwehren scheint, überzeugte mich im Vorfeld jedoch herzlich wenig – gerade im Vergleich zu den Großtaten, die David Vincent mit MORBID ANGEL zu verantworten hat sowie den vielen kultigen Veröffentlichungen des Wahl-Portugiesen und Multi-Bandmitglieds Rune Eriksen (unsere Berichte zu Auftritten mit AURA NOIR und EARTH ELECTRIC gibt es hier und hier).
Black Metal ist das nicht, was VLTIMAS da fabrizieren, auch wenn deren Töne natürlich nicht ganz ohne schwarzgetünchte Riffs auskommen. Zähflüssiger Death Metal dominiert, Vincents Vortrag klingt zum Teil sogar RAMMSTEIN-beeinflusst. Ein überzeugender Live-Auftritt hilft ja manchmal bei der Neubewertung eines Tonträgers – und überzeugend waren die 45 Minuten, in denen das bisher einzige Album durchgeprügelt wurde und keine Wünsche nach MORBID ANGEL-Songs erfüllt wurden, auf jeden Fall. Für die MA-Songs gibt es Vincents andere Spielwiese I AM MORBID. Trotzdem zündet die Platte bei mir nach wie vor nicht. Geschmackssache, wie gesagt. Ich würde den Texaner David Vincent lieber mal als Country-Crooner live erleben oder als Nachfolger von Lemmy bei HEADCAT, aber das kann man in unseren Breiten wohl vergessen.
Gegen 23 Uhr stand dann tatsächlich der Headliner auf der Bühne, was im Vorfeld alles andere als gesichert galt. Wir rekapitulieren: Abbath, Gründungsmitglied der norwegischen Black Metal-Ikonen IMMORTAL und von denen 2014 geschasst, MOTÖRHEAD-Fan und deswegen auch bei der Tribut-Band BÖMBERS unterwegs, brach im vergangenen November seinen ohnehin verspätet stattfindenden Auftritt in Buenos Aires nach zwei Songs ab und cancelte spätere Shows. Am 25. November 2019 ließ er auf seiner Facebook-Seite verlauten, dass es kein Geheimnis sei, dass er Suchtprobleme habe, diesen Dämon jetzt bekämpfen möchte und deswegen eine Therapie beginnen werde.
Trotzdem ist er acht Wochen danach wieder am Start und geht auf Europa-Tournee – mit einer runderneuerten Formation, zu der bis vor Kurzem die ebenso bei Tom Warrior’s TRIUMPH OF DEATH (Bericht hier) mitwirkende, bzw. nun rausgeflogene Mia Wallace gehörte. Wallace, über die Warrior eine mäßig verklausulierte Kolumne im aktuellen Deaf Forever schrieb, in der er ihr vorwarf, während Abbath’s suchtbedingtem Totalausfall „…minutenlang narzisstisch für die Fotografen rumposiert (zu haben), während der Bandleader (…) daneben in Tränen ausbricht…“. Wallace (aka Soulfucker) spielte im Dezember 2019 an gleicher Stelle in Mannheim bei der italienischen Wave-Legende KIRLIAN CAMERA und beklagt auf Facebook, nicht über die Gründe des
Rauswurfs informiert worden zu sein. Darüber hinaus wünscht sie dem von ihr bewunderten Abbath nur das Beste. Ganz schön Gala, das alles.
Das Mjölnir-Symbol am Hals des ABBATH-Gitarristen Ole André Farstad sowie des Jetztwieder-Bassisten Rusty Cornell lässt sich diesbezüglich als Zeichen der Verbundenheit der Musiker lesen, hoffe ich. Bis nach Mitternacht heizte der nüchterne Olve Eikemo mit seinen Jungs den zunehmend betrunkenen Gästen mit Songs aus den zwei ABBATH-Veröffentlichungen sowie einiger Stücke von IMMORTAL und dem Projekt I ein. Keine leichte Tätigkeit für einen Suchtkranken auf eng getakteter Tournee. In Mannheim und auch anderswo lieferte ABBATH amtlich ab, danke dafür. Jetzt sollten aber andere Prioritäten herrschen und die Reha in Angriff genommen werden. Das Beispiel Reed Mullin von C.O.C. zeigt, dass Alkoholismus nicht witzig ist.
Links: http://www.nuclear.cl/, https://www.facebook.com/nuclearcl, https://nuclear.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Nuclear, http://legion1349.wdex.siteman.no/, https://www.facebook.com/1349official, https://1349som.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/1349, https://www.facebook.com/vltimas/, https://vltimas.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/vltimas, http://www.abbath.net/, https://www.facebook.com/abbathband/, https://abbath.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Abbath
Text & Fotos: Micha
Clip: am Konzertabend aufgenommen von Lucas
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