Dreikönigskeller, Frankfurt, 18.10.2013
Der Kerl, der im gut besuchten Frankfurter Dreikönigskeller wiederholt von hinten über meine Schulter greift, um an den Jägermeister-Shot auf dem Tresen zu kommen, ist mir von Anfang an sympathisch. Dass er anschließend gleich freundschaftlich mit mir anstößt, obwohl er mich bisher nie gesehen hat, verstärkt diesen Eindruck noch. Es ist Artimus Alexander Pace, genannt ABSTRACT ARTIMUS, Solo-Musiker und Weltenbummler. Vor fast genau einem Jahr habe ich seinen (damals ersten) Auftritt im DKK verpasst, nun bin ich Augenzeuge der One Man Show, die im Rahmen der „My Wild European Dreams Tour 2013“ des US-Amerikaners stattfindet. Zum Gig mitgebracht hat er, nicht ganz zufällig passend zum Tournamen, sein just im Sommer frisch veröffentlichtes Album „My Wild Dreams“.
Wer zu den Klängen des neuen Albums weiterlesen mag, klicke auf den Pfeil:
Aus diesem sowie einer Handvoll älteren Releases speist sich das Set, das mich und den gesamten Club an diesem Abend bestens unterhalten wird. Warum die Musik von ABSTRACT ARTIMUS auf der DKK-Website als „Soul-Punk-Garage-Rock’n’Roll“-Mischung angekündigt wird, kann ich allerdings nicht nachvollziehen. Soul? Nö. Punk? Fehlanzeige. Garage? Ein bisschen. Rock’n’Roll? Himmel, JA! Dieser Mann rockt. Er biegt sich, krümmt sich, neigt sich zum Sound seiner Gitarre; die lange Mähne und der Vollbart fliegen hundertfach von links nach rechts, von oben nach unten und wieder zurück, während seine Stimme im kompletten Spektrum von tief bis heiser bellend changiert. Grandios.
Dass er alleine auf der Bühne steht – außer Gitarre und Gesang kommen alle Töne aus der Konserve – stört mich nicht im geringsten. Denn selbst wenn ABSTRACT ARTIMUS, wie er es früher getan hat, mit einer begleitenden Band auftreten würde, so bliebe der Blick sowieso einzig und allein an ihm, dem Frontmann, hängen. Und wäre er wieder mit Kollegen unterwegs, so könnte er sicher nicht das Leben führen, das er augenscheinlich in vollen Zügen genießt und das seine Persönlichkeit in entscheidender Weise prägt: Das Leben eines extrovertierten Einzelgängers und Globetrotters.
Trotz seiner erst 30 Lenze ist AA schon ganz gut rumgekommen in der Welt: Geboren als Sohn eines Schlagzeugers in Florida, später aufgewachsen in Alabama und nun offiziell wohnhaft in New York, ist er in den vergangenen Jahren mehrfach mit und ohne Backing Band durch Kanada, die USA und Europa getourt. Noch bevor das Konzert richtig losgeht, schwärmt er erstmal von Deutschland, dem „Home-Made Schnitzel“, das er zuvor vertilgt hat und preist die Gastfreundschaft hierzulande, insbesondere die der „Familie“,
die ihn zurzeit in Frankfurt aufgenommen hat. Auch in Frankreich hat er nach eigener Aussage längere Zeit gelebt und lässt uns augenzwinkernd wissen, er liebe „french girls“ und „french beer“ (netter Zwischenruf aus den hinteren Reihen: „french fries!“ – ja, er liebt auch die).Zwischen starken Rocksongs wie „Ghosttown“, „Snakes“, und „Sweetshine“ streut er immer wieder Anekdoten ein (und trinkt dabei weiter Jägermeister). Die kleinen
Geschichten erlauben ihm, ein wenig verrauchte Luft zu schnappen und das Publikum schmunzeln zu lassen. So erzählt er beispielsweise von dem Tag, an dem er (mit Band) den Support für GWAR bestritt. Später erwähnt er nicht ganz ohne Stolz, dass im Visions einst ein Artikel über ihn direkt neben einem Bericht zu METALLICA veröffentlicht wurde. Das Magazin lasse er daheim auf seinem ‚Coffee Table‘ immer mit dieser Seite aufgeschlagen liegen, um die irritierten Reaktionen seiner Gäste abzuwarten.Von Starallüren ist der Alleinunterhalter erfreulicherweise weit entfernt. Er lädt auch alle Anwesenden freimütig ein, auf seine Website zu surfen, um sich alle seine Alben dort umsonst herunterzuladen. Geld sei ihm nicht wichtig, sagt
er. Was zähle, sei, dass all jene Menschen, die seine Musik mögen, diese auch hören könnten. Jede Scheibe lässt sich außerdem auf Webseiten einbinden, wie oben geschehen. Ein wahrhaft philanthropischer Ansatz, zur Nachahmung empfohlen. Zur Mitte des Gigs bittet er die „ass-shaking girls“ auf die Bühne. Das sind nicht etwa mitgebrachte, sondern vielmehr einige vorne stehende junge Damen. Die, so der Musiker, dürften nun alles tun – außer die „machine“ anzufassen, die ihm nun mal den Rhythmus vorgibt. Und das klappte ganz gut, wie oben zu sehen.Schließlich kündigt er bei der Zugabe mit den Worten „I swear to god this is my last song“ das nahende Ende des Auftritts an. Dieser Ausspruch entwickelt sich allerdings zum Running Gag, denn AA gibt dem Drängen der Gäste, weiter zu spielen, bestimmt noch ein halbes Dutzend Mal nach und kommt wegen der „We want more!“-Sprechchöre immer wieder zurück auf das Podest. Zum Schluss hat er, inzwischen oberkörperfrei, neben den Zugaben auch einige Songs ohne Musik vom Tape sowie gefühlt die Hälfte des vorherigen Sets noch einmal gespielt.
Es sei ihm völlig egal, so Artimus zwischendurch, wie fertig er nach der Show sei. Das Publikum habe Geld bezahlt, um ihn zu sehen und das verdammte Recht darauf, dass er sich den Arsch aufreiße. Eine Ansicht, von der sich manch anderer eine Scheibe abschneiden kann. Aber auch die Fans sind nicht untätig: Als der Musiker für weiteres Engagement zur Bedingung macht, dass auch im Zuschauerraum ordentlich abgehottet wird, gibt es auf einmal sogar Crowdsurfing im Dreikönigskeller. Wann hat man das schon mal erlebt. Was komplette Bands in der Regel nicht schaffen, das gelingt an diesem Abend einem ganz allein: ABSTRACT ARTIMUS.
Links: http://abstractartimus.wix.com/abstract-artimus, https://myspace.com/abstractartimus, http://www.reverbnation.com/abstractartimus, http://www.lastfm.de/music/Abstract+Artimus, http://abstractartimus.bandcamp.com/
Text: Stefan / Fotos & Clip: Kai
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