Schlachthof, Wiesbaden, 21.07.2014
Hiermit erkläre ich 2014 offiziell zum Jahr des Classic-Punks. Ich weiß nicht woran es liegt, fest steht aber, dass in diesem Jahr so viele alte Recken durch Deutschland ziehen wie selten zuvor. DICKIES, ADOLESCENTS, D.Y.S., NEGATIVE APPROACH, THE DICTATORS, REAGAN YOUTH, D.O.A. – um nur einige zu nennen – touren alle mit Bandmitgliedern, die die 50 oder sogar die 60 bereits überschritten haben, aber dennoch eine Spielfreude an den Tag legen, die man sich oftmals auch von jüngeren Bands wünschen würde.
Auch AGENT ORANGE aus Orange County, Kalifornien fallen in diese Kategorie, obgleich sich die Band „erst“ im Jahre 1979 gründete und somit gerade mal 35 Jahre auf dem Buckel hat. In dieser Zeit brachten es die Jungs lediglich auf drei Studioalben, was nicht zuletzt daran lag, dass sich das Personalkarussell recht häufig drehte und die Truppe ihre Aktivitäten sogar für einige Jahre ganz auf Eis legte. 1996 erschien mit „Virtually Indestructable“ die dritte und bis dato letzte Scheibe, der lediglich noch eine Single im Jahr 2010 („This House is Haunted“) folgte. Musikalisch waren daher beim Auftritt der Amerikaner in der Räucherkammer des Wiesbadener Schlachthofs keine Überraschungen zu erwarten. Als Support standen die Frankfurter Skate-Punks SCHEISSE MINNELLI auf dem Programm, die die Gelegenheit nutzten, ihr komplettes neues Album „Sorry State of Affairs“ – mit Ausnahme des Covers „In the Ghetto“ – zum Besten zu geben. Der Auftritt war gewohnt stark, da wir die Formation aber bereits einige Male gefeatured haben, sei sie diesmal nur kurz erwähnt.
Etwa 20 Minuten später ging’s mit dem Headliner weiter, der über 30 Songs auf der Setlist stehen hatte. Sänger und Gitarrist Mike Palm (oben) – das einzige verbliebene Mitglied der Ur-Besetzung – präsentierte sich gut gelaunt und zudem mit einem T-Shirt des Openers SCHEISSE MINNELLI. Was AGENT ORANGE schon immer von anderen Bands des Genres abgehoben hat, ist deren musikalische Mixtur aus klassischem California-Punk und Surf-Sound. Eine Kombination, die man im Punk nicht oft findet und die seither das Markenzeichen der Band ist. So verwunderte es nicht, dass es gleich mit „Misirlou“, einem der Surf- Klassiker schlechthin, losging. Nachfolgend wurden alle (!) Songs des 81er- Albums „Living in Darkness“ gespielt, ein Gros der 86er-Scheibe „This is the Voice“ sowie zahlreiche Cover-Versionen, zumeist aus dem Surf- und Sixties-Bereich („Secret Agent Man“, „Mr. Moto“), aber auch „Police Truck“ von den DEAD KENNEDYS. Mit von der Partie waren natürlich die Klassiker „Bloodstains“, „America“ und „The Last Goodbye“. Mit einer Setlist wie dieser konnte eigentlich nichts schiefgehen, dennoch überzeugte mich die Band gestern nicht. Der Sound war nicht der Beste, die Stimme von Mike klang irgendwie krächzend und teilweise wurden die Tracks mit einem höheren Tempo gespielt, als man sie kannte. Das ist im Prinzip nichts Schlechtes, doch leider verloren viele dadurch ihren Charme.
Die tropische Hitze an diesem Tag trug ihren Teil dazu bei, dass es mich nicht während des gesamten Konzertes in der Räucherkammer hielt, und vielen anderen ging es ebenso. Aber vielleicht war ich nach dem Spektakel, das SNFU einige Tage zuvor in der Au entfacht hatten (Bericht hier) auch einfach etwas verwöhnt, so dass mich der recht statische und routinierte Auftritt von AGENT ORANGE nicht wirklich begeistern konnte. Zur Verteidigung der Band sollte allerdings erwähnt sein, dass die Jungs nur als Trio spielen und daher keinen echten Frontmann wie beispielsweise SNFU oder die DICTATORS haben. Somit bleibt quasi nur die Musik, um die Besucher zu fesseln, dies gelang jedoch zumindest an diesem Abend nicht.
Vermutlich aber haben AGENT ORANGE einfach nicht ihren besten Tag erwischt und selbst mit der Hitze im Club zu kämpfen gehabt. Den einzelnen Musikern ist indes kein Vorwurf zu machen, denn sie spielten das Set souverän herunter, allen voran Mike mit seiner fast 40-jährigen Erfahrung sowie Schlagzeuger Dave Klein, der unter anderem auch bei den Surf-Bands BOMBORAS und THE GHASTLY ONES die Drumsticks schwang. Fazit: AGENT ORANGE boten sich solide und routiniert dar, gleichzeitig aber auch sehr statisch und konventionell. Ich hab’ die Jungs schon besser gesehen.
Links: http://www.agentorange.net/, https://myspace.com/agentorange, http://www.lastfm.de/music/Agent+Orange
Text & Fotos (2): Marcus / Fotos (9): Stefan
Clip: aufgenommen am Konzertabend von valentinsteinbrecher
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