Elfer Music Club, Frankfurt, 22.10.2014
„Des einen Freud‘, des andern Leid‘?“ Nein, die Ereignisse um die verschobenen Live-Konzerte des abrupt geschlossenen Steinbruch-Theaters in Mühltal bei Darmstadt mit so einer Formel abzuspeisen, wäre egozentrisch und kurzsichtig. Tatsache ist aber, dass ich ohne diese Schließung nicht in den Genuss dieses hochklassigen Black Metal-Events gekommen wäre, da meine metallische Peer-Group zu alt und zu ignorant gegenüber solchen Strömungen im Metal ist (die man ja nun auch nicht gerade mehr als „modern“ bezeichnen kann) und ich ohne Auto die Heimfahrt vom ‚bruch in die Frankfurter Heimat scheue, weil zeitaufwendig bis unmöglich.
Eine kurzes Glück im Unglück aber, fürwahr – atmosphärisch bleibt das Steinbruch-Theater unerreicht und stellt mit seinen programmatischen Schwerpunkten nicht nur in der Region einen herben Verlust dar. Wo, bitte, hätten WATAIN sonst mit Blut rumsauen dürfen? Wer bucht hier in der Gegend sonst EISREGEN? Die anstehenden Konzerte sind alle großflächig in der Region verteilt, von Heidelberg über Weinheim bis in Richtung Würzburg wird gestreut. Aber AGRYPNIE spielen im Frankfurter Elfer. Welch ein Glück für mich.
Dabei möchte ich mich hier nicht als Kenner der Materie aufspielen: Ich habe AGRYPNIE erst einmal gesehen (im Nachtleben vor DORNENREICH), fand sie klasse und habe mir daraufhin ein Album zugelegt. Die ganzen personellen Verbindungen zu den mehr oder weniger Großen im deutschen Black Metal – registriert, aber geschenkt, so weit stecke ich da nicht drin. Ich freue mich bei aller Begeisterung für Retro-Klänge aber eben auch mal über (für mich) neue, aufregende Sounds; und der schwedische Black Metal mit seiner starken Post-Rock-Affinität war mir diesbezüglich eine starke Inspiration.
SHINING mit dem zynischen, ständig nach Drogen geiernden Ritzer Niklas Kvarforth, zum Beispiel. Aus einer ähnlichen Ecke stammen die Opener VANHELGA, deren Name nicht schwedisch für BeiUschi bedeutet sondern sowas wie „schänden“ oder „Schändung“. Personell durch den ebenfalls heftig benarbten Sänger J. Gabrielson mit den Suicide-Black Metal Mastern LIVELOVER verwandt, rumpelten die Herren in geschmackvoller Splatter-Uniform etwas verfrüht los, was daran gelegen haben wird, dass im Elfer unter der Woche wohl immer um 23 Uhr Schicht ist im Schacht.
Beim Zücken meiner Kamera erntete ich erstmal einen gelangweilten Stinkefinger und überhaupt sah Gabrielson aus, als würde er gleich im Stehen einschlafen. Täuschte aber. Wie überhaupt das ganze Image: Aufgrund der mir nur teilweise bekannten Historie der Band sowie der von LIFELOVER und dem anonymen Outfit erwartete ich eine gefährliche Truppe, die ihren Lebenshass vielleicht sogar aggressiv auslebt – es stellte sich jedoch heraus, dass der Haufen eigentlich der witzigste des ganzen Abends war.
Über das weitgehend bewegungsarme, Maulaffen feilhaltende Publikum wurde nur gewitzelt („Frankfurt is silent“), Gabrielson ließ sich von Kollege 145188 (Ja. Namen im Black Metal. Eine Wissenschaft für sich.) in den Schritt greifen, wenn er es nicht gerade selbst tat und die Band spielte teilweise aberwitzige Stücke, die in ihrem kreativen Durcheinander und der dahinter stehenden Leck-mich-Haltung eigentlich purer Punkrock waren. Live fehlten ein paar großartige Klangfarben der Tonträger (Piano, zum Beispiel), aber das war schon recht kurzweilig.
Die anschließend spielenden HARAKIRI FOR THE SKY waren mir vorher unbekannt und bliesen mich live komplett um, soviel sei im Vorfeld verraten. Keine Ahnung, welch lyrische Komponenten Sänger J.J. schreiend vom Stapel lässt; lebensbejahend wirkte das aber auch nicht gerade, wenn ich Gesten wie Fingerpistole an den Kopf und abdrücken in diesem Zusammenhang richtig deute. Die auf dem Papier nur aus zwei Leuten bestehende Band hatte eine beeindruckende Anzahl von (Gast-)Musikern am Start (u.a. bei „Panoptycon“ Eklatanz von AGRYPNIE) und schuf eine gleichermaßen differenzierte wie platt wälzende Soundwand, die keine Gefangenen machte. Dass J.J. selbstvergessen öfter ins Auditorium sprang und seine eigene Band anbängte (während er von den Scherzkeksen Gabrielson und 145188 den Arsch versohlt bekam) veranlasste immer mehr Gäste, aus sich heraus zu gehen und die Mähnen zu schütteln – so langsam bekam man den Eindruck, einer Metalshow beizuwohnen. Großartig.
War Eklatanz noch gesichtsnackt an der Seite der Österreicher zu erleben, so hatte auch er wie seine Kollegen von AGRYPNIE bei deren Gig Farben aufgetragen, die die Schwüle des Clubs im Laufe der Show jedoch verlaufen ließ. Eindrucksvoll illuminiert strahlten die Musiker eine Ernsthaftigkeit und Strenge aus, die Frontmann Torsten „der Unhold“ Hirsch mit seinen Ansagen aber auflockerte – Ansagen wie beispielsweise die, dass ein Gig der zehnjährigen Jubiläums-Tour ja wohl auch in seiner Heimatstadt Frankfurt stattfinden müsste, wäre komisch, sonst. Dabei hatte die vor zehn Jahren als Ein-Mann- Combo gestartete und im Laufe der Zeit immer größer werdende Band ihren Live- Einstand 2007 im Steinbruch-Theater; nochmal ein Indiz dafür, dass Black Metal-technisch in Frankfurt nicht viel geht.
Die alles zuqualmende Metaljugend im Club zelebrierte die Geburtstagsparty bewegungstechnisch angemessen und feierte die atmosphärisch stimmungsvolle Performance adäquat ab – ich fand das grandios, instrumental herausfordernd und gleichermaßen stimmig, kathartisch und begeisternd. „Schlaf“, glaube ich, beendete diesen Set, der ruhig noch ein paar Gäste mehr hätte vertragen können. Im ‚bruch wären es wohl auch noch ein paar mehr gewesen. Warten wir ab, was die Betreiber demnächst an der Heimatfront aufziehen werden, ich bin gespannt. Ich bedanke mich jedenfalls begeistert für den Besuch in FFM.
Links: http://templeofvanhelga.com/, https://myspace.com/vanhelga218, http://www.reverbnation.com/vanhelga, http://www.lastfm.de/music/Vanhelga, https://www.facebook.com/HarakiriForTheSky, http://artofpropaganda.bandcamp.com/album/harakiri-for-the-sky-aokigahara, http://www.lastfm.de/music/Harakiri+for+the+Sky, http://agrypnie.de/, https://myspace.com/agrypnieband, http://www.reverbnation.com/agrypnie, http://www.lastfm.de/music/Agrypnie
Text, Fotos & Clips: Micha
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