Brotfabrik, Frankfurt, 10.03.2017
Es gab eine Zeit, da war in Frankfurt die beste Location für Musik, die man heute „Americana“ nennt, der Sinkkasten – Vorläufer und Nachfolger des Clubs Zoom. Gerade in den Nullerjahren schlug alles und jeder dort auf, der amerikanische Musik zwischen Folk, Country, Blues, Rock und Punk zum Besten gab. Steve Wynn war dort Stammgast und trat zuweilen zwei Mal im Jahr auf, der in Deutschland lebende Chris Cacavas sowieso. Mark Olson und seine GREEKDIPPERS. Ex-BANGLES Vicki Peterson mit CONTINENTAL DRIFTERS, zu denen weitere Protagonisten des Paisley Undergrounds gehörten (wie Mark Walton, der mit Wynn bei THE DREAM SYNDICATE war). Interessanterweise nannte man solche Musik damals noch gar nicht so, wenn ich mich recht erinnere. Ryan Adams und Conor Oberst fuhren erste Erfolge ein. Für mich, als vornehmlicher Metal-Fan mit starker Country & Western-Sozialisation, waren diese Shows im Sinkkasten großartige Überraschungseier. Eben noch die Akustische auf dem Hocker gezupft, dann die Elektrische eingestöpselt und CLASH gecovert. Lehrstunden im Scheuklappen-Einreißen waren das.
Einer der beeindruckendsten Abende im Sinkkasten fand am 16. Dezember 2002 statt, kurz nach einem ebenso fantastischen mit Ryan Adams im Offenbacher Capitol. Alejandro Escovedo gastierte dort, der mit RANK AND FILE einer ebenso einflussreichen Eighties-(Country-)Rootsrock-Formation angehörte, wie BLOOD ON THE SADDLE zum Beispiel eine war oder die frühen LOS LOBOS. Vorher spielte er bei der Punkband THE NUNS. Als Solokünstler agierte er ständig mit anderen Größen des Genres wie Ryan Adams, als der noch bei WHISKEYTOWN war, mit Chuck Prophet, oder live sogar mit Bruce Springsteen. Seine Spielart des Rock’n’Roll hat die Wurzeln des Rock ebenso im Fokus wie heftigst ausladende Versionen. Selbst bluesigen Hardrock spielte er mit BUICK MACKANE 1997. Steve Wynn konnte man regelmäßig im Sinkkasten erleben und macht sich in Frankfurt rar, seitdem der Club wieder Zoom heißt.
Escovedo blieb jedoch aus anderen Gründen jahrelang auf seiner Seite des großen Teiches. 2003 brach er auf einer Bühne zusammen, an Hepatitis-C litt er wohl schon länger. Es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder auf dem Damm war. Seine Arztkosten gingen in astronomische Höhen und konnten nur durch die Hilfe einiger Freunde aufgefangen werden, die eine Tribut-CD veröffentlichten, auf denen sie Songs von ihm sangen. Die Namen dieser Freunde sind unter anderem Lucinda Williams, Steve Earle, John Cale oder Ian Hunter. Außerdem gab es Unterstützung von seiner musikalischen Familie, von denen seine Nichte Sheila E. (langjährige Schlagzeugerin bei Prince und einer seiner wichtigsten musikalischen Partner) die Bekannteste sein dürfte. Dass Escovedo nun wieder auf Europa- Tour ist, fasste ich schon als kleine Sensation auf. Zumindest in Frankfurt war er seit 2002 definitiv nicht mehr.
Schön also, dass in der Hausener Brotfabrik seine Tour ihren Anfang nahm. Escovedo promotete sein aktuelles Album „Burn Something Beautiful“, feine Sache, eingespielt von Leuten wie Peter Buck (R.E.M.), Scott McCaughey (YOUNG FRESH FELLOWS, MINUS 5) und Kurt Bloch. Europa wird jedoch mit einer anderen Band bereist: Der des Italieners Don Antonio, sonst bei SACRI CUORI. Und nein, ich habe keine Ahnung wer das ist. SACRI CUORI kann man bei Spotify hören, der Tastenmann und Saxophonist in Don Antonios Band gehört wohl auch dazu. Nicht-italienische Infos über die Combo oder Don Antonio zu erhaschen, ist nicht leicht. Immerhin kann man erfahren, dass SACRI CUORI genug Renommee besitzen, um Gäste wie Marc Ribot, Dan Stuart (Ex-GREEN ON RED, gastierte mit Steve Wynn als DANNY & DUSTY im Sinkkasten), oder Hugo Race zu empfangen.
Knapp 30 Minuten als Vorprogramm ohne Alejandro Escovedo zeigten bereits eindrucksvoll, dass es sich hier nicht um eine substanzlose Band aus Mietmusikern handelt. Vor allem Don Antonios gefühlvolles Gitarrenspiel ließ einige Münder offen stehen, das Zusammenspiel war zudem hervorragend. Eine besondere europäische Note war, im Gegensatz zur Musik SACRI CUORIs, weniger zu erahnen. Das amerikanische Spiel war bei den Italienern aber auf eine ähnliche Art und Weise zu erleben, wie bei ihren portugiesischen Kollegen der DEAD COMBO, die vor zehn Monaten im Club „Das Bett“ aufspielten. Sehr bluesig und leicht düster. Guter Einstieg.
Als nach kurzer Umbauphase Don Antonios Leute ihr Sakko tauschten und der Meister aus Texas dazu stieß, begann eine knapp 90-minütige Performance, bei der sich Escovedo ebenso darüber zu freuen schien, mal wieder in Frankfurt zu sein wie seine Fans es taten. Beim musikalischen Ping-Pong mit den Italienern wirkte Escovedo glücklich und beseelt, sein Redebedürfnis mit jeder Menge Namedropping wirkte zu keinem Zeitpunkt wie Prahlerei, sondern eher so, als könnte er selber sein Glück kaum fassen, mit solchen Leuten gearbeitet zu haben oder verwandt zu sein. Naturgemäß war auch Donald Trump ein Thema – der Mann, „der eine Mauer bauen will zwischen meinem Geburtsort und dem meines Vaters“ (Escovedo).
Geboten wurde einiges vom aktuellen Longplayer „Burn Something Beautiful“, meine Lieblingsstücke von „A Man Under the Influence“ (2009) habe ich leider vermisst. Und THE CLASH wurden nicht gecovert. Trotzdem war das ein exzellenter Abend mit Könnern ihres Fachs, die vielleicht nicht mehr ganz so begeistern wie Escovedo es vor 15 Jahren tat, aber immerhin für allerbesten „Classic Rock“ im Wortsinne sorgen können. Gerne wieder, und auch gerne wieder in der Brotfabrik, die das Programmkonzept des Sinkkastens, zumindest in Teilen, sehr sympathisch weiterführt.
Links: http://www.sacricuori.com/, https://www.facebook.com/DonAntonioOfficial/, http://www.alejandroescovedo.com/, https://www.facebook.com/alejandroescovedo/, https://myspace.com/alejandroescovedo, https://alejandroescovedo.bandcamp.com/, https://soundcloud.com/alejandro-escovedo, https://www.last.fm/de/music/Alejandro+Escovedo
Text, Fotos & Clips: Micha
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