Batschkapp, Frankfurt, 12.10.2022
„Ausverkauft“ hieß es seit Tagen auf der Internetseite der Batschkapp – und das ist mehr als angemessen für eine Band wie ALL THEM WITCHES aus Nashville, die staubige Rockmusik in neue Dimensionen lenkt. Aber „Ausverkauft“ ist auch nicht mehr das, was es mal war, seitdem Corona unser aller Leben umgekrempelt hat. Wer als glücklicher Eigentümer eines Tickets die Hoffnung hatte, sich das Treiben gemütlich von einem Sitzplatz auf der Empore (die in der Kapp ja nur öffnet, wenn es arg voll ist) aus anschauen zu können, wurde enttäuscht. Die Empore blieb zu. Auch im hinteren Bereich der Konzertstätte gab es ordentlich Luft wie Freiraum, bloß eine Bar hatte geöffnet. Ob diese Maßnahme dem Infektionsschutz geschuldet war oder ob schlichtweg Personal fehlte, wie in allen anderen Berufen zur Zeit ebenso, entzieht sich dabei meiner Kenntnis. Ein „Sold Out“-Schild an der Abendkasse ist auf jeden Fall eine Ansage, die vor allem die Musikanten auf der Bühne glücklich macht.
Zumindest der als RICH RUTH auftretende Herr im Vorprogramm war sehr davon angetan, dass seine Buddies ALL THEM WITCHES und damit auch er vor vollem Hause spielen. RICH RUTH (aka Michael Ruth) stammt, wie ALL THEM WITCHES, aus Nashville, Tennessee. Seit 2018 fabriziert er alleine in seinem Home Studio seine repetetiven, instrumentalen Klänge, die enorm von Krautrock sowie Spiritual Jazz geprägt sind. Sein letztes Album „I Survived, It’s Over“ von 2022 (zu hören hier) läuft bei mir seit Bekanntgabe des Supports in Dauerschleife – Synthiesounds, Flöten, Saxophon und dazu eine oftmals atemberaubend schnell gespielte Gitarre evozieren eine Stimmung zwischen Bedrohung und meditativer Einkehr.
Ruth spielt das alles selbst, live wohl häufiger mit Ensemble – jedoch nicht in der Batschkapp. Da gab es nur ihn, seinen Synthie, eine Menge Pedale sowie seine Gitarre. Das wirkte sich dementsprechend auf die dargebrachten Klangfarben aus – das Jazzige in seiner Musik war an diesem Abend komplett verschwunden, das Rockige in Gestalt exzessiver Shredderei überbetont. So gesehen passend zur Musik des Headliners. Ergänzend, bzw. kontrastierend dazu eine Synthie-Soundwand, die an elektronische Pioniere wie Klaus Schulze erinnerte, an ASH RA TEMPEL oder TANGERINE DREAM. Hoch konzentriert ging Ruth zu Werke, seine anfängliche Anspannung löste sich nach dem ersten Applaus und er begann zu plaudern, was für Pfundskerle seine Kumpels von ALL THEM WITCHES sind und wieviel er ihnen verdankt, dass seine Mama ihm gesagt hätte, seine Vorfahren kämen „aus dieser Ecke Deutschlands“ und dass man „independent artists supporten sollte“ (also, in diesem Fall, ihn). Das sollte man unbedingt tun: Sein Album ist großartig und seine live dargebrachte Musik, die noch sakraler, mächtiger, verspielter oder wilder daherkam, war es ebenso.
Etwa 35 Minuten dauerte sein Vortrag, der mit anerkennendem Applaus belohnt wurde. Wieder einmal, wie bereits 2017 (Bericht dazu hier) haben ALL THEM WITCHES befreundete Musizierende auf Tour mitgenommen, die nicht zwangsläufig demselben Genre wie sie selber zuzuordnen sind und haben damit auch unseren Horizont erweitert. Feine Sache.
Wobei Horizont- sowie Genre-Erweiterung ja durchaus einen Charakterzug der von Schlagzeuger Robby Staebler 2012 gegründeten ALL THEM WITCHES darstellt. Was ALL THEM WITCHES von anderen Stoner- oder Kifferbands unterscheidet, habe ich beim oben verlinkten 2017er Bericht bereits versucht darzustellen – an ihrer Rezeption in der Presse hat sich seitdem nicht viel geändert bis auf die Tatsache, dass inzwischen auch der Metal Hammer auf die Gruppe aufmerksam geworden ist – „Nothing As The Ideal“, das 2020 erschienene, bisher letzte Album der Formation, wurde laut Wikipedia dort als das „46. beste Metal Album 2020“ gekürt.
Eingespielt wurde „Nothing As The Ideal“ ebenso wie der Vorgänger „ATW“ als Trio, nachdem Multi-Instrumentalist Allan Van Cleave zeitweilig aus der Band raus war. Nun ist er wieder da, die Stücke der zuletzt tastenlosen Studioalben wurden live von seinem Keyboard bereichert. Nicht, dass sie das nötig hätten: Der staubtrockene, äußerst vielschichtige Bluesrock mit starker Tendenz zum Post-Rock, Psych, Stoner oder Americana, zierte nicht umsonst alle möglichen Jahresbestenlisten. Und doch darf man froh sein, diese Truppe wieder als Quartett erleben zu können – vor allem, wenn Van Cleave die Violine auspackt.
„The Children Of Coyote Woman“, dargebracht als Duett mit dem an dieser Stelle Gitarre (statt Bass) spielenden Sängers Charles Michael Parks Jr, lieferte eine Intensivität zum Niederknien. Die selbstvergessen in ihrem Flow agierenden Spieler waren weit unkommunikativer als ihr Kumpel im Vorprogramm, schienen mehr für sich zu spielen als für ihre Gäste und erschufen damit einmal mehr einen hypnotischen Sog betörender Klangkunst. Aus allen sechs Studioalben wurden Werke präsentiert, Eskalationen zum Ende hin vor allem an den Saiteninstrumenten heizten die Kapp ordentlich auf.
Was Gitarrist Ben McLeod, der neben seiner Tätigkeit bei ALL THEM WITCHES ein Soloding namens WOODSPLITTER am Laufen sowie als Session-Musiker unter anderem KING BUFFALO und die B-52s unterstützt hat, im Lauf der knapp 105 Minuten langen Show fabrizierte, ließ manch Anwesenden vor Ehrfurcht Maulsperre kriegen. Nicht wenige schmiedeten beim beseelten Verlassen der Halle Reisepläne zu weiteren Tourstationen – doch das „Ausverkauft“-Schild, es hängt auch über den Venues in Köln oder Hamburg. Bleibt nur die Hoffnung auf die nächste Tour.
Links: https://www.bighassle.com/rich-ruth, https://richruth.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Rich+Ruth, https://www.allthemwitches.org/, https://www.facebook.com/allthemwitches, https://allthemwitches.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/All+Them+Witches
Text & Fotos: Micha
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