Café Central, Weinheim, 14.06.2018
Ähnlich wie ihre Landsmänner von THE DAMNED zählen auch ANTI-NOWHERE LEAGUE zu jenen Acts, deren Besuche in Deutschland rar gesät sind. Punk-Veteranen schwärmen noch heute von einem Auftritt, der im Jahr 1983 im Wiesbadener Club ZickZack stattfand und in einer wüsten Schlacht zwischen Punks, Skins und der Polizei gipfelte. Spricht man ANTI-NOWHERE LEAGUE-Frontman Nick „Animal“ Culmer auf den Gig an, antwortet er grinsend mit dem Wort: „Bottles!“ Der Veranstalter des Konzerts hatte damals unvorsichtigerweise volle Bierkästen unter der Bühne deponiert, die lediglich mit einer Plane abgedeckt waren. Die wurden binnen kürzester Zeit geleert und dienten dem angeheiterten Publikum im Anschluss als überaus willkommene Wurfgeschosse. Opener des Abends waren damals übrigens WALTER ELF aus Kaiserslautern.
Zuletzt waren die Engländer 2010 im Frankfurter Club Nachtleben zu Gast – diesmal ganz ohne Flaschenschlacht. Seither hat sich das Personalkarussell stetig gedreht und von den Gründungsmitgliedern ist lediglich noch Animal mit von der Partie, der aber erneut eine illustre Truppe um sich geschart hat. Nachdem im vergangenen Jahr eine Petition gestartet wurde, die Band vom Rebellion-Festival zu verbannen und das Hamburger Konzert der aktuellen Tour bereits abgesagt wurde, waren wir froh, die Jungs am gestrigen Abend im Weinheimer Café Central tatsächlich erleben zu können. Doch dazu später mehr…
Als Opener fungierte der Frankfurter Act THE NORD.END, der mir bisher kein Begriff war. Doch weil ich seit 30 Jahren im namensgebenden Frankfurter Stadtteil regelmäßig durch alle nur erdenklichen Lokale falle war ich mir sicher, die Musiker zumindest vom Sehen her zu kennen. Doch weit gefehlt, die Jungs auf der Bühne waren mir völlig unbekannt und haben ob ihrer (größtenteils) jugendlichen Energie vermutlich auch anderes zu tun, als mit über 50-Jährigen in Kneipen abzuhängen. Musikalisch war das Dargebotene grundsolide, geboten wurde eine Mischung aus traditionellem Youthcrew-
Hardcore und moderneren Stilrichtungen. Von der Aggressivität her erinnerte es mich ein wenig an HAMMERHEAD, aber auch an die finster-melancholische Vertracktheit aktueller Metalcore-Acts. Gesungen wurde in Deutsch, was dem Ganzen noch mal eine ganz eigene Note verlieh. Erwähnt sei, dass THE NORD.END sich erst in diesem Jahr gegründet und gerade mal ein Handvoll Gigs absolviert haben.
Dafür lief der Hardcore-Motor der Frankfurter schon ziemlich rund und besonders Sänger Jascha machte mit seinem agilen Stageacting und regelmäßigen Ausflügen ins Publikum eine gute Figur. THE NORD.END sind auf jeden Fall eine Bereicherung für die hiesige Musikszene, in der sich in den letzten Jahren einiges getan hat. Ich würde mich freuen, die Jungs mal in der Au zu sehen.
Musikalisch wie inhaltlich passte der Opener indes kaum zum Headliner, denn ANTI-NOWHERE LEAGUE sind ein Oldschool-Bastard des englischen Punks, der sich auf die ursprüngliche, nihilistische Philosophie des Genres stützt und dabei keine Gefangenen macht. Gegründet im Jahr 1980, teilten die Jungs aus Kent im Südosten Englands bereits auf ihrer ersten Scheibe „We are … The League“ (1983) gegen alles und jeden aus: In „We Will Not Remember You“ geht‘s gegen das konservative Spießerpack, in „Woman“ gegen verheiratete Frauen, die sich gehen lassen und der Inhalt des Songs „I Hate People“ dürfte selbsterklärend sein.
Nach einem kurzen und äußerst obskuren Ausflug in New Wave-Gefilde mit dem 1986er-Release „A Perfect Crime“ löste sich die Formation Ende der Achtziger Jahre auf. Dass es die Gruppe heute noch gibt, haben wir vermutlich METALLICA zu verdanken, die 1991 das ANTI-NOWHERE LEAGUE-Stück „So What“ coverten und Animal im folgenden Jahr einluden, dieses mit ihnen im Wembley-Stadion zu performen. Überrascht von der neuen Popularität fasste der Sänger den Entschluss, die Band zu reformieren.
Seither erschienen fünf Alben, die sich alle im ursprünglichen LEAGUE-Style präsentierten und darüber hinaus eine Split-EP mit THE DAMN GARRISON (2014), zu der ANTI-NOWHERE LEAGUE den Song „The Day the World Turned Gay“ beisteuerten, der – in inzwischen politisch korrekten Zeiten – für allerlei Aufsehen sorgte, richtet er sich doch deutlich gegen Nicht-Heterosexuelle. Der lapidare Kommentar von Animal dazu: „Ich hasse alle Menschen, da sind auch Homosexuelle nicht ausgenommen!“
Das Gros der Punk-Szene sah das Ganze gelassen. Dennoch wurde 2016 eine Petition gestartet, um ANTI-NOWHERE LEAGUE vom weltweit größten Punk-Event, dem Rebellion Fest in Blackpool, zu verbannen. Dafür konnten allerdings lediglich 200 Unterzeichner gewonnen werden, sodass die Band wie fast in jedem Jahr beim Festival auftrat. Der Eklat um den Song wirkt indes bis heute nach: So wurde beispielsweise der Hamburg-Gig der aktuellen Tour, der im Molotow stattfinden sollte, abgesagt. Doch wie sagte einst der amerikanische Philosoph Kevin Michael Allin so schön: „If you‘re playing punk and you‘re not offending someone, you‘re doing it wrong!“
Nachdem Animal in den letzten Dekaden allerlei Personal verschlissen hat, scheint inzwischen mit Gitarrist Tommy H, Basser Steve Barns und Drummer Sam Carnage ein Lineup gefunden, das Bestand hat. Zudem werden die Jungs rein optisch ihrem Bad-Boy-Image mehr denn je gerecht. Etwa 80 Besucher hatten die Engländer angelockt, von denen gefühlt jeder Zweite ein MOTÖRHEAD-Shirt trug. Und die sollten einen Gig erleben, der für Fans der LEAGUE keine Wünsche offen ließ. Animal dürfte inzwischen knapp 60 sein, präsentierte sich aber körperlich in guter Form und ebenso gut gelaunt. Er kommentierte viel, erging sich in allerlei Posen, um die gesungenen Worte zu untermalen und sprach das Publikum stets mit den Worten „Brothers and Sisters“ an.
Gespielt wurden mehr als 20 Songs, insgesamt stand die Band gut anderthalb Stunden auf der Bühne, was für einen Punk-Act nicht selbstverständlich ist. Die Setlist präsentierte sich dabei äußerst abwechslungsreich: Neben Klassikern wie „So What“, „Let‘s Break the Law“, „I Hate People“ und „We Will Not Remember You“, wurde mit „Branded“ ein Track des Wave-Albums dargeboten, mit „Streets of London“ und „Runaway“ gab es bekannte Coverversionen, in „Uncle Charlie“ wurde Punk-Ikone Charlie Harper von den UK SUBS gehuldigt und mit „God Bless Alcohol“ gab‘s am Ende noch eine imposante Mitgröl-Hymne des aktuellen Werks „The Cage“, bevor der Gig mit „We‘re the League“ endete.
Spieltechnisch wurden die Jungs ihrem Ruf als MOTÖRHEAD des Punks einmal mehr gerecht, die Formation harmonierte perfekt, der Sound war druckvoll und dreckig und die Spielfreude der Truppe sprang auch auf das Publikum über. Tatsächlich habe ich ANTI-NOWHERE LEAGUE selten so gut wie gestern erlebt. Es bleibt zu hoffen, dass uns die Combo als einer der letzten Vertreter des nihilistischen Punks noch lang erhalten bleibt. Mir hat‘s gefallen, so what!?
Links: https://www.facebook.com/Nordend.official/, https://www.backstagepro.de/nord-end, https://soundcloud.com/joe-garcia-159, https://www.instagram.com/nord.end_hc/, http://www.antinowhereleague.com/, https://www.facebook.com/antinowhereleague, https://anti-nowhereleague.bandcamp.com, https://www.last.fm/de/music/Anti-Nowhere+League
Text: Marcus / Fotos & Clips: Micha
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