Au-Sommerfest, Frankfurt, 9.06.2018
Im Folgenden lest Ihr den ersten von zwei Teilen unserer Berichterstattung zum Au-Sommerfest 2018 mit unseren Eindrücken zu den Bands SCHWACH, LUCKY MALICE (Fotos rechts und unten) und BOYKOTT.
35 Jahre ist die als Au bekannte Location in Frankfurter Stadtteil Rödelheim nun schon besetzt und das ist auch gut so. Obgleich alle Jahre wieder konservative Parteien meist zu Zeiten des Wahlkampfs eine Räumung der Örtlichkeit anregen, um das Gelände für den Bau von noch mehr unbezahlbaren Wohnungen zu nutzen, so steht das Gebäude samt Außenanlage doch nach wie vor wie ein Fels in der Brandung. Und das wird hoffentlich auch die nächsten 35 Jahre noch so bleiben, stellt die Au doch ein willkommenes Refugium vor Yuppies, Hipstern und dem allgemeinen Kommerzialisierungs- und Gentrifizierungswahn dar und liefert zudem einen nicht unbeträchtlichen Beitrag zur hiesigen (Sub)Kulturszene.
Für die Feierlichkeiten des 35. Jubiläums der Besetzung hatten sich sechs illustre Acts angekündigt, die – über den gesamten Tag verteilt – weit über 1000 Besucher anlockten, wobei viele weniger wegen der Musik, sondern hauptsächlich wegen der Party und dem Treffen alter Bekannter gekommen sein dürften. Darüber hinaus gab es wie gewohnt Stände mit diversen Leckereien, Merchandise und natürlich Infostände zu politischen Aktionen. Wie fast bei jedem Au-Fest war auch diesmal das Wetter ein großes Thema, denn trocken blieb es bei der Veranstaltung selten. Tatsächlich bedeckten am gestrigen Tag nahezu konstant dunkle Wolken den Himmel. Der befürchtete Schauer blieb aber aus, es nieselte lediglich gelegentlich.
Als ersten Act erlebten wir die Berliner Hardcore-Combo SCHWACH, die ihrem Namen zum Glück keine Ehre machte. Noch vor relativ wenigen Zuschauern lieferte das Quintett einen brachialen Auftritt, der musikalisch zwischen Oldschool-Youth-Crew-Hardcore und Punk angesiedelt war, wobei die treibende Power dem ersten und eine gehörige Portion Rotz dem zweiten Genre entliehen war. Ganz offensichtlich dienen hier die New Yorker GORILLA BISCUITS als großes Vorbild, denn nicht nur das Logo der Band präsentiert sich in der gleichen Typo wie das der Amerikaner, die Berliner haben zudem auch ein tierisches Maskottchen: Was bei den New Yorkern der Gorilla ist, ist bei den Deutschen ein Faultier, das mich auf dem bisher einzigen Longplayer „Kein Bock“ allerdings mehr an das bekannte Robben-Maskottchen der ebenso aus N.Y. stammenden Hardrocker RIOT erinnert. Anyway, Sänger Tobi klang herrlich angepisst, der Sound war rau und dreckig und die Tatsache, dass hier unter anderem dem Veganismus und dem Regenwald gehuldigt wurde, ging mir weniger auf den Zeiger als bei anderen Bands. Mit „Deutschland Du Opfer“ hatten die Jungs sogar einen echten Hit am Start. Ein solider Opener… next!
Weiter ging‘s mit LUCKY MALICE, einem selbst ernannten Riot-Grrrl-Punk-Act aus Norwegen. Tatsächlich war ich überrascht, dass sich anno 2018 noch jemand auf das Riot-Grrrl-Genre beruft, das Anfang der 1990er Jahre von schrecklichen Schrammelbands wie BIKINI KILL und den RED AUNTS ins Leben gerufen wurde. Und dies, wo es doch weitaus eindrucksvollere Vorbilder – allen voran Wendy O. Willams, die LUNACHICKS oder die INSAINTS – gäbe. Rein musikalisch war’s dann aber gar nicht so schlimm: Das Trio bot eine recht konventionelle Mischung aus Garage-Punk und Grunge, mit der man sich durchaus hätte anfreunden können – wäre da nicht der unsäglich hohe und schräge Gesang gewesen, der mich kurz überlegen ließ, ob ich nicht einem der Flaschen sammelnden Rotznasen den Gehörschutz entreißen und für mich beanspruchen sollte. Ich entschied mich jedoch lieber dafür, eine Flasche Äppler auf ex abzukippen, um mein Toleranzlevel zu erhöhen, was tatsächlich ganz gut funktionierte. LUCKY MALICE blicken auf bereits drei Alben zurück, verstehen sich als feministische Gruppe und sorgten trotz des nervigen Gekreisches bei den inzwischen schon etwas zahlreicheren Menschen vor der Bühne durchaus für gute Laune. Immerhin hatten die Mädels auch einige schnellere Songs in petto, die sogar mir gefielen. Einlagen wie ein paar Sprünge oder das Stage-Diving der Bassistin konnten sich ebenfalls sehen lassen.
Und dann – ja, dann wurde es Zeit für den scheinbar inzwischen beim Au-Fest obligatorischen Hip Hop-Act. BOYKOTT nennt sich der Mann, der da auf die Bühne kam. Er lebt in Wilhelmshaven, ist für den Gig 500 Kilometer angereist und sagte, es sei ihm bewusst, dass er bei der Veranstaltung einen Exotenstatus innehabe, komme aber gut damit klar. Mitgebracht hatte er einen DJ, der die Musik einspielte und stilecht auf den Platten scratchte. „Zeckenrap“ nennt BOYKOTT selbst seine Musik und einen Teil des Publikums, wenn auch nur einen kleinen, interessierten die Songs namens „Integrationsproblem“, „Berufsdemonstrant“ oder „Pump“. Zwischendurch ließ der in einem Shirt der „Antifaschistischen Aktion“ und Basecap aufgelaufene Musiker noch ein paar politische Botschaften ab, wetterte unter anderem gegen das novellierte bayerische Polizeiaufgabengesetz und durfte sich des Applauses der Szene natürlich sicher sein.
Der Höhepunkt der Show kündigte sich an, als der Rapper erklärte, dass man für das nächste Stück eine „solide erste Reihe“ benötige und dass die Zuhörer doch bitte mal näher ans Podest kommen möchten. Es wurden schließlich sogar drei oder vier solide Reihen und gegeben wurde der Song „Mein Hass“, in dem der Sänger seine Erlebnisse mit Polizeigewalt auf einer Demonstration schildert und verarbeitet hat. Das an die Bühne gerückte Publikum hüpfte munter mit, skandierte den Refrain und für ein paar Minuten war zu erahnen, dass solcherlei Mucke in einem vollgepackten Club bestimmt eine besondere Atmosphäre kreieren kann. Beim Au-Fest war das über weite Strecken nicht der Fall: Musik für eine Minderheit eben, die meisten Besucher nutzten die Zeit des Auftritts, um mit Freunden zu tratschen und sich mit Proviant in flüssiger oder fester Form zu versorgen.
BOYKOTT machte seine Sache sicherlich gut und für die Freund/innen von Hip Hop erlebenswert. Dennoch muss wie schon im vergangenen Jahr die Frage gestattet sein, was der Mehrwert ist, diese Musikrichtung auf dem Sommerfest zu präsentieren. Will man sich jüngeren Leuten öffnen, die so etwas mögen? Die kommen bestimmt nicht wegen eines einzigen Acts auf solch ein Festival. Dann lieber stattdessen eine Ska-Band. Da tanzen nämlich nicht 30 Besucher, sondern 300. Das ist zumindest meine Ansicht. Wie ist Eure? Nutzt die Kommentarfunktion und äußert Eure Meinung dazu. Wir sind für jeden Shitstorm offen…
Links: http://schwach-hardcore.de/, https://de-de.facebook.com/schwachhc/, https://schwach.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Schwach, http://luckymalice.com/, https://de-de.facebook.com/luckymalice/, https://kraftpest.bandcamp.com/album/lucky-malice, https://www.last.fm/de/music/Lucky+Malice, http://boykottone.de/, https://de-de.facebook.com/boykottone/, https://boykott.bandcamp.com/album/solikonzert-lp, https://www.last.fm/de/music/Boykott
Text (SCHWACH/LUCKY MALICE): Marcus / Text (BOYKOTT): Stefan
Fotos (12) & Clip: Kai / Fotos (10): Frank
Fotos (15): Eric, https://www.flickr.com/photos/vanreem
Alle Bilder:
Wie es auf dem Au-Sommerfest mit den Bands SENSA YUMA, THE BELLRAYS und SNUFF weiterging, erfahrt Ihr hier.