Batschkapp – (m)ein nostalgischer Blick zurück

Frankfurt, 19.12.2013

Die Batschkapp im Frankfurter Stadtteil Eschersheim war ein traditionsreicher Tanz- und Konzertschuppen, wie es in Deutschland nur wenige andere gibt. Sie wird in Kürze Geschichte sein – eine Silvesterparty findet dort noch statt, die Konzerte gehen schon seit dem 10. Dezember in den neuen Räumlichkeiten an der Gwinnerstraße in Seckbach über die Bühne. Für mich ein Anlass, mal zurückzuschauen, denn ich habe in dem Laden meine halbe Jugend zugebracht, bin unzählige Male dort gewesen und jeder Winkel der weiträumigen Halle ist mit irgendeiner Erinnerung besetzt. Hier wurden Freundschaften geschlossen und Ehen geschieden (oder andersherum), hier gastierten Bands auf dem Weg zum Ruhm oder zurück in die Vergessenheit. Viel habe ich erlebt, Positives wie Negatives, Feuchtfröhliches und Blutiges. Vor der Tür wurde unser Auto zu Klump gefahren und einmal wurden wir nach einem Besuch sogar beschossen.

Doch der Reihe nach: Ich lernte die „Kapp“, wie sie unter den Einheimischen stets genannt wird, Mitte der Achtziger Jahre kennen. Damals kam Ralf S. in meinen Freundeskreis.
Der Aufgang zum Tanz- und Konzertsaal

Der war nicht nur ein netter Kerl, er brachte auch Cassetten mit, von denen man Bands lauschen konnte, wie ich sie bis dato nicht kannte: WIPERS, NEW MODEL ARMY, SISTERS OF MERCY, STRANGEMEN, KMFDM, usw. Schnell war klar, dass ich meine MC’s in die Tonne treten konnte. Als er mir dann auch noch erzählte, dass es einen Club gibt, in dem solcherlei Musik sowohl live als auch von DJs gespielt wird, dauerte es nicht lange, bis ich mich da einfand.

Mein erstes Konzert in der Maybachstraße 24 erlebte ich am 25. Oktober 1986, auf dem Podest stand die inzwischen längst vergessene Combo THE CHAMELEONS. Viel weiß ich von dem Abend vor 27 Jahren heute nicht mehr. Die Show war okay, nicht berauschend. Aber angefixt war ich allemal.
kkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkk Konzertticket CHAMELEONS, 25.10.1986

Gigs von Stan Ridgway (Ex-WALL OF VOODOO), den BOLLOCK BROTHERS und den SCREAMING BLUE MESSIAHS schlossen sich an. Meine Highlights aus mehr als 25 Jahren Batschkapp-Konzerten aufzuzählen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Es gab (zu)viele denkwürdige.

Dazu gehören zum Beispiel die stets vor Weihnachten wiederkehrenden, trinkfreudigen Auftritte von PETER & THE TEST TUBE BABIES (für mich erstmals 1989) und der TOY DOLLS (erstmals 1993).
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Als die Kapp-Tickets noch schön aussahen: SCREAMING BLUE MESSIAHS, 1988 (oben) und RAMMSTEIN, 1996 (rechts)
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Des weiteren SHOCK THERAPY (1989), PROJECT PITCHFORK und DAS ICH (1991), DIE KRUPPS (1992), CARTER USM und SPERMBIRDS (1993) sowie RAMMSTEIN 1996, kurz nachdem sie im Dezember 1995 das Nachtleben bespielt hatten (auch das war übrigens großartig). Nach der Jahrtausendwende sind stellvertretend für viele andere BAD MANNERS, L7 und THE THE (2000), CLAWFINGER (2001), GOGOL BORDELLO (2007), die NEW YORK DOLLS (2009), die ADICTS (2009 und 2013), JELLO BIAFRA (2010) und THIN LIZZY (2012) zu nennen.

Parallel zu den Konzerten begann ich ab 1986 die „Idiot Ballroom“-Abende zu besuchen, die freitags und samstags stattfanden und schnell zum Stelldichein des gesamten Freundeskreises mutierten.

Große Bands, dröge Karten: So fad präsentierten sich die Tickets 2o Jahre

Der Ballroom war nichts anderes als eine Disco, allerdings mit Punk-, Hardcore-, EBM- und Alternative-Musik. Die Nacht von Freitag auf Samstag zwischen 23 und 3 Uhr wurde fortan über Jahre zum Jour Fixe für die gesamte Clique. Wer nicht dabei war, war out. Daneben fand sich allerlei illustres Publikum ein, vertreten war das komplette Spektrum von Nietenpunks mit Spikes über die Waver, Jeansjacken-Typen, bis hin zu Pennälern mit spießigen Oberhemden (Vorsicht: Bei allzu langweiliger Kleidung konnte es schon mal passieren, dass jemand da

Die Halle gut gefüllt

„versehentlich“ ein Bier drüber kippte). Besonders beliebt bei den Mädels: die lebendige Ratte auf der Schulter. Und mittendrin: Mit Plastiktüten ausgerüstete Flaschensammler, die es auf das Pfandgeld abgesehen hatten. Also, immer schön festhalten die Pulle, sonst konnte die sich eventuell in Luft auflösen. In acht nehmen

musste man sich auch, wenn unmittelbar nach dem Schlusstakt des Rausschmeißerssongs das Licht anging. Dann wurde von den Bediensteten mit ungnädiger Härte der XXL-Besen geschwungen, um Müll, Scherben, Kippen (es wurde ja noch ordentlich geraucht) und was sonst so alles auf dem Boden lag, zusammenzukehren. Rücksicht auf die Füße wurde da nicht genommen. Wenn der Besen kam, hieß das unmissverständlich „Raus hier!“.
links: Saalcharts 1989 (anklicken)

Einmal im Jahr war es Zeit für die „Idiot Ballroom Saalcharts“. In den Wochen zuvor konnten im Rahmen eines Gewinnspiels Stimmzettel abgegeben werden, welche Songs die „Hits der Saison“ gewesen waren. Am Saalcharts-Abend wurden die meist gewählten Tracks im Countdown heruntergespielt, die jeweilige Position mit Interpreten und Titel als Diashow an die Wand geworfen (ja, damals gab es noch keine Beamer…). Das war kurzweilig und beeinflusste nicht selten das Kaufverhalten beim Plattendealer unserer Wahl.

BK-Klo-Damen-250x270Ich erinnere mich, dass damals auch viele amerikanische GI’s zu den Besuchern zählten. Die tobten sich zwar beim Pogo auf der Tanzfläche aus, blieben aber sonst meist unter sich. Ein glücklicher Zufall wollte es, dass ich mich eines Nachts mit einem Soldaten aus Fort Lauderdale (Florida) anfreundete. Das war der Tag, an dem wir in der Batschkapp die völlige Narrenfreiheit erlangten – denn wer die Gruppe der Stiernacken zu seinen Freunden zählte, dem kam keiner mehr dumm. Nicht, dass wir das irgendwie ausreizten. Aber es verschaffte ein angenehmes Gefühl, im Fall der Fälle eine kleine Privatarmee hinter sich zu wissen. Die Freundschaft hielt viele Jahre, auch wenn sie nie über die Ballroom-Abende hinausging, und als die

Jungs schließlich abgezogen wurden und wieder zurück in ihre Heimat gingen, gehörten wir in der Kapp längst zu den Arrivierten.

Rechts: die Abendkasse ist geöffnet

Irgendwann in den Neunzigern wurde für die Disco-Abende auf der Bühne ein zweiter Getränkeausschank aufgebaut, mit Sitzplätzen. Eigentlich eine gute Idee, denn am langen Tresen nahe des Eingangs konnte man für Biernachschub im damals meist prall gefüllten Saal schon mal eine Weile anstehen. Aber sitzen in der Kapp? Indiskutabel. Beim Ballroom stand man rum, ging von Gruppe zu Gruppe, stieß mit diesem oder jenem an, tauschte Neuigkeiten aus oder tanzte. Für uns waren die da oben Snobs.

Showtime in der Batschkapp

Gewalt habe ich in der Kapp fast nie erlebt, wohl auch, weil wir nie zu den argen Stressern gehört haben. Ich weiß aber, dass sich vor der Tür das ein oder andere Ungemach abgespielt hat. Wer erkennbar aggressiv oder zugedröhnt war, durfte nicht rein und dass diejenigen dann nicht unbedingt Verständnis zeigten, dürfte

klar sein. Freund K. holte sich drinnen mal ne blutige Nase, die

Rechts: der Eingang zur Kapp

war sogar gebrochen, aber er war, wenn ich mich richtig erinnere, an der vorausgegangenen Pöbelei nicht ganz unbeteiligt. Kumpel E. flog nach einem satten Schubser beim Pogen gegen die Wand und trug eine klaffende Kopfwunde davon. Das war der Abend, an dem wir das Kapp-Klo beim Auswaschen nicht unter Wasser, sondern unter Blut setzten, anschließend draußen den Verbandskasten meines Wagens entjungferten und dem Verletzten einen schmucken Turban anlegten.

Leiden musste auch Freundin M., deren Auto wir nach einem Batsche-Aufenthalt mit Totalschaden wiederfanden. Ein anderer Besucher hatte in der abschüssigen Kurve an der Maybachstraße Ecke Alt-Eschersheim die Kontrolle über seinen Wagen verloren und gleich mehrere geparkte Vehikel, darunter auch einen Oldtimer, ineinander geschoben. Er flehte uns an, nicht die Polizei zu rufen, aber welche Alternativen gibt es da? Wir warteten, bis alle Geschädigten bei ihren Autos waren und beschlossen dann, dem unglücklichen Verursacher eine Stunde Zeit zu geben, sich etwas auszunüchtern. Als schließlich die Ordnungshüter anrückten, machte er immerhin einen derart aufgeräumten Eindruck, dass er nicht mal pusten musste. Schwein gehabt. Witzigerweise zog ich ein paar Jahre später in eine neue Wohnung und mein Nachbar war just… der Unfallfahrer von damals. Kleines Frankfurt… Heute ist er übrigens Anwalt.
kkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkSelten so unbelagert: der Batschkapp-Tresen

Die heftigste Geschichte ereignete sich Ende der Achtziger, als wir nach einem Ballroom-Besuch auf dem Parkplatz neben dem Abgang zum S-Bahnhof Eschersheim beratschlagten, was wir um 3 Uhr nachts noch unternehmen könnten. Ein Typ gesellte sich dazu und stand lange wortlos einfach nur neben uns. Als er schließlich von einem aus unserer Runde gefragt wurde, ob wir noch zu ihm gehen können, wurde der gleich frech und daraufhin von uns aufgefordert, doch einfach seines Weges zu gehen.
Grüßen von der Außenmauer: Frank Zappa und Jimi Hendrix
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Er wich einige Meter zurück, holte dann eine Pistole raus und drückte mehrfach ab. Ich glaube, so filmreif hat man noch nie ein halbes Dutzend Jungs in die Rabatten springen sehen. Wird (hoffentlich) Schreckschussmunition gewesen sein, herausgefunden habe ich das nie. Aber wenn einer aus dem Halbdunkel mit einer Wumme auf Dich anlegt und schießt, dann ist das Adrenalin pur. Ein paar Wochen später sah ich den Kerl erneut, diesmal in der Batschkapp. Da ich mir nicht vorstellen konnte, dass er in einer vollen Halle wieder eine Waffe ziehen würde, ging ich zu ihm rüber. Auf meine Frage, was die Aktion denn gesollt habe, antwortete er, er habe sich durch uns „bedroht gefühlt“. Nun ja, klarer Fall von Realitätsverlust…

Ewig in Erinnerung bleibt mir zudem die Nacht im Januar 1991, in der aufgrund der Kampfhandlungen

des Zweiten Golfkriegs die Musik abgestellt wurde. Der DJ vermeldete über das Mikrofon, dass soeben amerikanische Bomben auf Kuwait gefallen seien und fragte, ob man unter diesen Umständen weitertanzen wolle. Per Abstimmung wurde dann entschieden, dass die Musik aus blieb. Ein Teil der Besucher ging anschließend mitten in der Nacht demonstrieren, der Rest in die heimische Wohnstube, wohin CNN das Kriegsgeschehen erstmals live sendete.

Im Laufe der Zeit sind meine Besuche in der Batschkapp immer seltener geworden, die beim Idiot Ballroom oder anderen Party-Veranstaltungen sowieso, denn da wächst man mit dem Alter raus. Auch zu Konzerten ging ich zuletzt nur noch drei bis viermal im Jahr. Heutzutage werden dort ausschließlich Namen verpflichtet, die eine zumindest annähernd ausverkaufte Halle garantieren; und die Ölsardinen- Shows sind mein Ding nicht. Viele der Bands, die gebucht werden, kenne ich auch gar nicht mehr, oder sie treffen nicht meinen Musikgeschmack.

Bald für immer dicht: Die Türen der Batschkapp in Eschersheim

Sei’s drum, ich möchte die fast ausschließlich positiven Erinnerungen an die Kapp nicht missen. Schade, dass der Laden aus Eschersheim wegzieht, aber alles hat bekanntlich irgendwann ein Ende. Auch wenn ich dem Nachfolge-Club gleichen Namens in Seckbach alles Gute wünsche, steht eines fest: Es wird dort nie mehr so sein wie früher.

Text & Fotos (6): Stefan
Fotos (9): Kai

Was fällt Euch zur „alten“ Batschkapp ein, welche Erlebnisse habt Ihr dort gehabt? Schickt uns mal Eure Kommentare!

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